Bildung im Wandel Nordrhein-Westfalen will Künstliche Intelligenz im Abitur zulassen

In Regionales
Oktober 25, 2025

Düsseldorf. Nordrhein-Westfalen will mit einer tiefgreifenden Reform der gymnasialen Oberstufe einen neuen Weg gehen: Ab dem Abiturjahrgang 2030 soll der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in Prüfungsleistungen erlaubt sein. Das Bundesland wäre damit bundesweit Vorreiter – mit Chancen für eine modernisierte Lernkultur, aber auch mit neuen Herausforderungen für Schulen, Lehrkräfte und Schüler.

Ein neues Prüfungsfach soll KI offiziell einbeziehen

Reform der gymnasialen Oberstufe ab 2030

Das Schulministerium Nordrhein-Westfalens plant ab 2030 die Einführung eines neuen, fünften Abiturfachs. In diesem Fach sollen Schülerinnen und Schüler eigenständig Projekte entwickeln dürfen – unterstützt durch digitale und KI-basierte Werkzeuge. Der KI-Einsatz wird dabei nicht verpflichtend, aber ausdrücklich erlaubt. Ziel sei es, das Abitur an die Anforderungen der modernen Wissensgesellschaft anzupassen und Kompetenzen wie kritisches Denken, Kreativität und Problemlösungsfähigkeit stärker in den Vordergrund zu rücken.

Nach Angaben aus dem Landtag NRW soll Künstliche Intelligenz vor allem in sogenannten „alternativen Leistungsnachweisen“ zum Einsatz kommen, etwa bei Projektarbeiten oder Präsentationen. Die Leistungen sollen nicht nur nach dem Ergebnis, sondern auch nach dem Prozess bewertet werden. Damit will die Landesregierung den Lern- und Arbeitsprozess mit einbeziehen und nicht nur das reine Prüfungsergebnis beurteilen.

Künstliche Intelligenz als Werkzeug im Lernprozess

Das Schulministerium betont, dass KI nicht als Ersatz für menschliche Leistung gedacht ist, sondern als unterstützendes Werkzeug. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, mit KI verantwortungsvoll umzugehen, Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und eigene Urteile zu bilden. Das Konzept lehnt sich an die sogenannten 4K-Kompetenzen an – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Diese sollen im Zentrum der neuen Prüfungsformen stehen.

Vorbereitung der Schulen: Pilotprojekte und Unterrichtsangebote

Das Pilotprojekt KIMADU

Bereits seit Anfang 2025 läuft in NRW das Pilotprojekt „KIMADU“ – Künstliche Intelligenz im Mathematik- und Deutschunterricht. Beteiligt sind 25 Schulen verschiedener Schulformen, von Gymnasien über Realschulen bis hin zu Gesamtschulen. Das Projekt wird wissenschaftlich von der Universität Siegen begleitet und mit rund einer Million Euro gefördert. Es soll untersuchen, wie KI den Lernprozess unterstützen kann, ohne die Eigenleistung der Schüler zu untergraben.

Die teilnehmenden Schulen testen den Einsatz von KI-basierten Tools für individuelles Feedback, zur Erstellung von Lernaufgaben und zur Unterstützung bei der Textanalyse. Ziel ist es, Unterrichtsformate zu entwickeln, die Schülerinnen und Schüler auf die künftige KI-Nutzung im Abitur vorbereiten.

Neue Unterrichtsmaterialien und Fortbildungen

Das Schulministerium bietet ergänzend Fortbildungen und Materialpakete für Lehrkräfte an. Dazu gehört ein sogenanntes „Prompting-Kartenset“, das zeigen soll, wie man sinnvolle Eingaben für KI-Systeme formuliert, um präzise Ergebnisse zu erzielen. Außerdem wurden Praxisbeispiele für Unterrichtsplanung und alternative Leistungsnachweise entwickelt.

Eltern und Schüler reagieren gespalten

Viele Eltern begrüßen zwar, dass Schulen mit der Zeit gehen, sehen aber auch Risiken. Eine Umfrage der Landeselternschaft Gymnasien NRW ergab, dass rund 60 % der befragten Eltern befürchten, der Lernprozess ihrer Kinder könne durch KI-Werkzeuge verwässert werden. Dennoch erkennt eine Mehrheit die Notwendigkeit, Kinder frühzeitig im verantwortungsvollen Umgang mit solchen Technologien zu schulen.

Kritik an der Umsetzung: „Zu spät und zu wenig“

FDP und Philologenverband fordern schnellere Integration

Die FDP-Landtagsfraktion bezeichnete die geplante Einführung erst ab 2030 als „zu spät und zu wenig“. Bereits heute, so die Fraktion, würden viele Schülerinnen und Schüler KI-Tools im Alltag verwenden – etwa zur Textformulierung, Übersetzung oder Zusammenfassung von Lerninhalten. Ohne klare Regeln entstehe ein „Graubereich“, in dem der Einsatz weder erlaubt noch verboten sei.

Auch der Philologenverband NRW äußerte Bedenken. Vorsitzender Sabine Vogt erklärte, man dürfe „nicht den Fehler machen, KI zu früh in Leistungsbewertungen einzubeziehen, bevor die Rahmenbedingungen geschaffen sind“. Gemeint sind Fragen nach Chancengerechtigkeit, Datenschutz und technischer Ausstattung der Schulen. Besonders an Schulen in sozial schwächeren Regionen fehle es oft an stabilen Internetverbindungen oder modernen Endgeräten.

Ungleiche Chancen durch technische Ausstattung

Ein wesentlicher Kritikpunkt betrifft die digitale Kluft: Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben zu Hause Zugang zu leistungsfähigen Geräten oder stabilen Internetverbindungen. Dadurch könnten sich soziale Unterschiede in den Prüfungsergebnissen verstärken. Die Landesregierung verweist jedoch darauf, dass bis 2030 alle Schulen mit standardisierten IT-Systemen ausgestattet werden sollen, um gleiche Bedingungen zu schaffen.

Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis

Bildungsforscher sehen Potenzial und Risiken

Eine internationale Scoping-Studie von 2023 untersuchte über 100 Bildungsprojekte mit großen Sprachmodellen wie ChatGPT. Sie kam zu dem Schluss, dass KI-Systeme zwar Lernprozesse individualisieren und Feedback verbessern können, gleichzeitig aber erhebliche ethische und praktische Probleme bestehen. Dazu gehören Datenschutz, Transparenz und die Gefahr, dass Lernende Inhalte ungeprüft übernehmen.

Erfahrungen aus Klassenzimmern und Foren

In Lehrerforen und sozialen Netzwerken wird bereits intensiv über den Einsatz von KI im Unterricht diskutiert. Lehrkräfte berichten von ersten Erfahrungen – sowohl positiv als auch kritisch. Eine Lehrerin schrieb etwa: „Wir haben gerade einen Fall, wo jemand einen Essay mithilfe von KI geschrieben hat.“ Diese Fälle verdeutlichen die Notwendigkeit klarer Regelungen, um Prüfungsbetrug vorzubeugen.

Auch internationale Lehrkräfte äußern sich skeptisch. In einem Diskussionsforum heißt es: „It’s accuracy is really bad, especially for math and science.“ Damit wird auf die begrenzte Zuverlässigkeit aktueller KI-Systeme in naturwissenschaftlichen Fächern hingewiesen. Diese Bedenken fließen auch in die Bewertung der NRW-Pläne ein: Der KI-Einsatz muss didaktisch sinnvoll gestaltet werden, sonst droht Überforderung statt Entlastung.

Fragen aus der Bevölkerung

  • Ab wann darf KI im Abitur in NRW eingesetzt werden? – Ab 2030, zunächst in einem neuen fünften Abiturfach mit projektorientierten Prüfungen.
  • Welche Prüfungsformate sollen KI-gestützt werden? – Projektarbeiten, Präsentationen und besondere Lernleistungen.
  • Welche Chancen und Risiken sehen Lehrkräfte? – Unterstützung bei Recherche und Strukturierung, aber Gefahr des Verlusts eigenständigen Denkens.
  • Wie steht die Elternschaft zur KI im Abitur? – Viele Eltern begrüßen Innovation, sehen jedoch Chancengerechtigkeit gefährdet.

Gesellschaftliche Debatte über KI-Kompetenz

Die Bedeutung digitaler Bildung wächst

Die Integration von KI ins Abitur ist mehr als ein technischer Schritt – sie ist ein gesellschaftliches Signal. Nordrhein-Westfalen möchte die digitale Bildung systematisch in den Schulalltag integrieren. Das Ziel: Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur Wissen konsumieren, sondern verstehen, wie KI funktioniert und wie sie diese kritisch und reflektiert einsetzen können.

Lehrkräfte zwischen Begeisterung und Überforderung

Viele Lehrkräfte stehen vor der Herausforderung, sich selbst weiterzubilden. Während einige die neuen Technologien begeistert aufnehmen, empfinden andere den rasanten Wandel als Überforderung. Ohne gezielte Weiterbildung und personelle Entlastung droht die Reform an der Praxis zu scheitern.

Neue Anforderungen an die Lehrerrolle

Lehrkräfte werden künftig nicht nur Wissensvermittler, sondern Lernbegleiter im Umgang mit intelligenten Werkzeugen. Sie müssen Schüler darin schulen, KI-Ergebnisse zu überprüfen, zu bewerten und kritisch einzuordnen – Fähigkeiten, die in der modernen Arbeitswelt entscheidend sind.

Internationale Vergleiche

Andere Länder wie Dänemark oder Finnland experimentieren bereits mit KI-gestützten Prüfungen. In Dänemark werden Chatbots etwa bei mündlichen Prüfungen zur Simulation von Diskussionen eingesetzt. NRW will ähnliche Formate vorerst nicht übernehmen, sondern sich auf schriftliche und projektbasierte Leistungen konzentrieren. Dennoch zeigt der Blick ins Ausland: Die Richtung ist klar – Bildungssysteme weltweit passen sich der Realität künstlicher Intelligenz an.

Statistiken zur Nutzung von KI im Bildungsalltag

BereichNutzungshäufigkeit laut Studien (2025)
Textformulierung und Zusammenfassungen68 %
Hausaufgabenhilfe und Übersetzungen57 %
Mathematische Problemstellungen34 %
Prüfungsvorbereitung / Lernkarten49 %

Datenschutz und ethische Aspekte

Ein zentraler Punkt bleibt der Datenschutz. KI-Systeme verarbeiten große Mengen sensibler Daten. Das Schulministerium betont, dass alle Anwendungen im Rahmen der DSGVO bleiben müssen. Die Systeme sollen lokal oder in zertifizierten Cloud-Umgebungen betrieben werden, ohne personenbezogene Daten zu speichern. Dennoch fordern Datenschützer klare Standards, bevor KI dauerhaft im Abitur zugelassen wird.

Ein Schritt mit Signalwirkung

NRW positioniert sich mit dieser Entscheidung an der Spitze der Bildungsinnovation in Deutschland. Der Schritt könnte andere Bundesländer zum Nachziehen bewegen – ähnlich wie frühere Schulreformen, die zunächst in einem Land erprobt und später bundesweit übernommen wurden. Bildungsexperten sehen darin eine Chance, die Kluft zwischen schulischer Realität und digitaler Arbeitswelt zu verringern.

Abschließender Ausblick: Bildung zwischen Tradition und Zukunft

Mit dem geplanten Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Abitur betritt Nordrhein-Westfalen Neuland. Die Entscheidung spiegelt den gesellschaftlichen Wandel wider – weg von reiner Wissensabfrage hin zu einer Bewertung von Kompetenzen und Problemlösungsfähigkeiten. Gleichzeitig steht das Bildungssystem vor einer Bewährungsprobe: Gelingt es, die Chancen der Technologie zu nutzen, ohne die menschliche Leistung zu entwerten? Bis 2030 bleibt Zeit, um Antworten zu finden – und den Unterricht der Zukunft zu gestalten.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.