
Nürnberg, 2. November 2025 – Es ist kurz nach Mitternacht, die Musik dröhnt noch aus der Disco am Marientorgraben, als plötzlich Schreie durch die Nacht hallen. Ein Streit unter jungen Männern eskaliert binnen Sekunden – dann fällt ein Schuss. Kein scharfer, aber ein gefährlicher: Reizgas schießt aus einer Schreckschusswaffe direkt ins Gesicht eines 21-Jährigen. Vier Umstehende werden ebenfalls verletzt. Minuten später beginnt eine Fahndung, die sich durch Videoaufnahmen zu einem schnellen Ermittlungserfolg entwickelt.
Streit, Schuss, Flucht – und Festnahme
Nach Angaben des Polizeipräsidiums Mittelfranken ereignete sich die Tat in der Nacht zum 1. November vor einem beliebten Club in Nürnbergs Stadtteil Gleißbühl. Ein 22-jähriger Mann geriet mit einem 21-Jährigen in einen Streit, der zunächst verbal blieb, dann aber in Gewalt mündete. Als das Opfer offenbar einen Schlag ausholen wollte, zog der mutmaßliche Täter eine PTB-geprüfte Schreckschusswaffe und drückte ab. Der Schuss traf das Opfer mitten ins Gesicht – das Reizgas verursachte blutende Verletzungen und Atemnot.
Mehrere Zeugen erlitten Augenreizungen, Rettungskräfte versorgten sie noch vor Ort. Der mutmaßliche Täter flüchtete zunächst, wurde aber wenige Stunden später in seiner Wohnung festgenommen – identifiziert unter anderem durch Videoaufnahmen aus der Umgebung des Clubs. Laut Polizei leistete der Mann bei der Festnahme Widerstand. Beamte stellten die Tatwaffe sowie ein verbotenes Faustmesser sicher. Gegen ihn wird nun wegen gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz ermittelt.
Wenn eine Schreckschusswaffe zur echten Gefahr wird
Was nach einem Einzelfall klingt, ist Teil eines größeren Trends. Laut dem Bundeskriminalamt wurden 2024 fast 4.800 Fälle registriert, in denen Schusswaffen tatsächlich eingesetzt wurden. Rund ebenso viele Male wurde mit einer Waffe gedroht. Zwar zählen sogenannte Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen (kurz SRS) nicht zu den „scharfen“ Waffen, doch ihr Einsatz kann gravierende gesundheitliche Folgen haben – insbesondere, wenn Reizgas aus nächster Nähe abgefeuert wird.
Ein Präventionsbericht des Deutschen Präventionstags warnt: „Fehleinschätzungen der Lage und spielerischer Umgang mit SRS-Waffen können dramatische Folgen haben.“ Gerade im Umfeld von Nachtclubs, wo Alkohol und Emotionen aufeinandertreffen, ist die Hemmschwelle oft niedrig. Der Nürnberger Fall zeigt, wie schnell ein vermeintliches „Abwehrmittel“ zur Offensivwaffe werden kann.
Rechtliche Lage: Was ist erlaubt, was nicht?
Viele Bürger glauben, eine Schreckschusswaffe sei harmlos oder frei verwendbar. Doch rechtlich sieht es anders aus. Eine Waffe mit dem PTB-Zeichen darf zwar von Volljährigen erworben werden, das Führen in der Öffentlichkeit ist jedoch nur mit einem sogenannten Kleinen Waffenschein erlaubt. Ohne diese Genehmigung drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. Hinzu kommt: Das Abfeuern solcher Waffen ist im öffentlichen Raum grundsätzlich verboten – selbst dann, wenn sie „nur“ Reizgas oder Knallpatronen verschießen.
Häufige Fragen im Zusammenhang mit SRS-Waffen
- Darf man eine Schreckschusswaffe vor einer Disco tragen? Nein. Der öffentliche Bereich umfasst auch Gehwege oder Clubvorplätze – dort ist das Tragen ohne Waffenschein illegal.
- Was bedeutet das PTB-Zeichen? Es kennzeichnet eine bauartgeprüfte, frei erwerbbare Waffe nach dem deutschen Waffengesetz, deren Besitz erlaubt, aber deren Führen genehmigungspflichtig ist.
- Welche Strafen drohen bei Missbrauch? Neben strafrechtlichen Konsequenzen droht der Entzug der Waffe und der Eintrag ins Waffenregister.
- Kann man sie zur Selbstverteidigung einsetzen? Nur in Notwehrsituationen – andernfalls gilt der Einsatz als Körperverletzung oder WaffG-Verstoß.
Zwischen Selbstschutz und Unsicherheit
In Online-Foren wie „Waffen-Online“ oder „Co2Air“ diskutieren Nutzer seit Jahren über die Rolle von Schreckschusswaffen in der Selbstverteidigung. Einige berichten von Fehlfunktionen oder mangelnder Zuverlässigkeit, andere von einem falschen Sicherheitsgefühl. „Wer so eine Waffe zieht, riskiert, dass die Situation eskaliert – selbst wenn kein Projektil abgefeuert wird“, schreibt ein Nutzer. Die rechtliche Unsicherheit trägt zur Verwirrung bei: Schon der Transport in der Handtasche oder im Auto kann als Führen gelten – ein Detail, das vielen Besitzern nicht bewusst ist.
Die Polizei warnt regelmäßig davor, SRS-Waffen als Verteidigungsinstrument zu betrachten. Denn: Der Einsatz von Reizgas oder Knallkartuschen kann bei falscher Handhabung schwere Verletzungen verursachen, insbesondere bei geringem Abstand. Das zeigt sich im Nürnberger Fall auf dramatische Weise.
Ein gesellschaftliches Warnsignal
Der Vorfall in Nürnberg ist mehr als eine lokale Schlagzeile – er ist ein Spiegelbild wachsender Unsicherheit im Umgang mit sogenannten „freien Waffen“. Während immer mehr Menschen einen Kleinen Waffenschein beantragen – über 700.000 waren es laut Statistik bis 2020 – wächst zugleich die Zahl der Vorfälle, bei denen SRS-Waffen zum Einsatz kommen. Behörden und Sicherheitsexperten fordern deshalb strengere Aufklärung, vor allem bei jungen Erwachsenen.
Ob der 22-Jährige aus Nürnberg seine Waffe legal besaß oder unerlaubt führte, wird nun die Staatsanwaltschaft klären. Fest steht: Der Schreckschuss aus kurzer Distanz war mehr als ein lauter Knall – er war ein Mahnruf, wie dünn die Grenze zwischen „Abwehr“ und Angriff sein kann. Und wie schnell ein vermeintliches Schutzinstrument zum Symbol unkontrollierter Gewalt wird.
Ein Abend, der Konsequenzen hat
Während das Opfer inzwischen wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ermittelt die Polizei weiter im Umfeld der Diskothek. Zeugen, die Videos oder Fotos aufgenommen haben, werden gebeten, sich zu melden. Der Fall dürfte auch juristisch nachwirken – als Beispiel dafür, wie gefährlich der sorglose Umgang mit Schreckschusswaffen sein kann.
Es bleibt die Frage, ob dieser Vorfall die Politik erneut zum Handeln bewegt. Eine Verschärfung der Kontrollen oder Aufklärungskampagnen wäre denkbar – ebenso wie ein gesellschaftliches Umdenken: weg von Waffen, die angeblich schützen sollen, hin zu mehr Verantwortungsbewusstsein im öffentlichen Raum.

































