Bruchsal – Bretten
Die Nachricht schlug in der Region hohe Wellen: Die Bäckerei Thollembeek, eine der größten Handwerksbäckereien im Kraichgau mit über 50 Filialen, plant, ihre Produktion von Bretten-Neibsheim nach Bruchsal-Heidelsheim zu verlegen. Was auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Standortwechsel erscheint, hat tiefgreifende wirtschaftliche und politische Dimensionen – für beide Städte gleichermaßen.
Ein Traditionsbetrieb mit Ambitionen
Die Bäckerei Thollembeek, ehemals Bäckerei Gerweck, wird seit 2018 von Marc und Annika Thollembeek geführt. Mit unternehmerischem Geschick, klarem Qualitätsversprechen und regionaler Verwurzelung entwickelte sich das Familienunternehmen innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Bäckereibetriebe der Region.
Insgesamt betreibt Thollembeek über 50 Filialen im südwestdeutschen Raum. Die Produktionsstätte in Bretten-Neibsheim stieß jedoch bereits seit Längerem an ihre räumlichen Grenzen. „Wir brauchen Platz, um weiter wachsen und modern produzieren zu können“, so die Aussage von Marc Thollembeek im Rahmen der Standortdebatte.
Neuer Standort in Bruchsal-Heidelsheim gefunden
Mit dem Erwerb eines 15.000 Quadratmeter großen Grundstücks in Bruchsal-Heidelsheim zieht Thollembeek nun klare Konsequenzen. Das Gelände liegt verkehrsgünstig nahe der Bundesstraße B35, eingebettet in ein neu entstehendes Fachmarktzentrum. Die Pläne sind ambitioniert: eine moderne, gläserne Produktionsstätte, kombiniert mit einem Café und transparenter Besucherführung – kurz: eine „Backfactory 2.0“.
Vorteile des neuen Standorts im Überblick
- Optimale Verkehrsanbindung durch direkte Lage an der B35
- Synergien mit dem entstehenden Fachmarktzentrum (Lidl, Rewe, Rossmann)
- Moderne Produktionsbedingungen auf großzügiger Fläche
- Integration eines Cafés mit Erlebnischarakter
- Wirtschaftsförderung durch die Stadt Bruchsal
Politische Brisanz: Bretten im Gegenwind
Während sich Bruchsal über den wirtschaftlichen Zugewinn freut, herrscht in Bretten Enttäuschung – und Kritik. Besonders die frühere Stadtführung unter Alt-OB Martin Wolff steht im Fokus: Seit 2021 sei kein tragfähiger Bebauungsplan zur Erweiterung der Thollembeek-Produktion zustande gekommen. Der heutige Oberbürgermeister Morast spricht von einer „verpassten Chance“ und kündigte an, interne Prozesse künftig zu beschleunigen.
„Wertvolle Zeit wurde verstreichen gelassen. Es war letztlich ein Versäumnis unserer Verwaltung, dem Unternehmen keine realistische Perspektive geboten zu haben.“ – OB Morast
Reaktionen aus beiden Städten
Die Stimmung in Bruchsal ist dagegen fast euphorisch. Oberbürgermeisterin Petzold-Schick sprach von einer „hervorragenden Nachricht für den Wirtschaftsstandort“. Auch der Ortsvorsteher von Heidelsheim, Heinz Freidinger, äußerte sich erfreut: „Mit der Bäckerei kommt nicht nur ein wirtschaftlicher Akteur, sondern auch ein Nahversorger mit Herz.“
Wirtschaftliche Folgen im Vergleich
Bruchsal (Gewinner) | Bretten (Verlierer) |
---|---|
Neue Arbeitsplätze in Produktion und Gastronomie | Verlust eines wichtigen Arbeitgebers |
Steuermehreinnahmen durch Gewerbeansiedlung | Wegfall von Gewerbesteuern |
Stärkung des Fachmarktzentrums Heidelsheim | Enttäuschung bei Anwohnenden & Mitarbeitenden |
Innenansicht: Unternehmenskultur und Herausforderungen
Das Unternehmen wird von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für seine familiäre Atmosphäre gelobt. Gleichzeitig wird aber auch Kritik laut: In internen Bewertungen werden unter anderem eine starke Kontrolle bei Krankmeldungen sowie verbesserungswürdiges Umweltengagement angesprochen.
Stimmen aus der Belegschaft (anonymisiert)
- „Tolle Kolleginnen, aber der Umgang mit Ausfällen ist oft streng.“
- „Ich mag die Nähe zur Chefin, aber Nachhaltigkeit spielt intern keine Rolle.“
- „Sicherer Arbeitsplatz, aber Kommunikation zwischen Filialen und Zentrale ist ausbaufähig.“
Auch auf der offiziellen Website des Unternehmens fehlt bislang ein klar formulierter Nachhaltigkeitsbericht. In Zeiten wachsender Verbraucheransprüche in Richtung Klimaschutz und sozialer Verantwortung könnte dies mittelfristig zum Wettbewerbsnachteil werden – oder Anlass für einen Imagewandel.
Gläserne Produktion: Marketing oder Substanz?
Ein zentrales Element des neuen Standorts soll die „gläserne Backstube“ sein. Besucherinnen und Besucher sollen durch große Fenster Einblick in die Herstellung erhalten – ein Konzept, das Transparenz signalisiert und Vertrauen aufbauen soll.
Ob dieses Konzept allerdings primär der Markenbildung dient oder echte Nachhaltigkeit sichtbar macht, bleibt abzuwarten. Bisher gibt es keine Anzeichen für Öko-Zertifizierungen, CO₂-Bilanzierungen oder faire Lieferkettenzertifikate – Aspekte, die bei modernen Konsumenten immer stärker ins Gewicht fallen.
Baurechtlich auf Kurs – aber mit offenen Fragen
Das Grundstück wurde im Juni 2025 offiziell erworben. Im Amtsblatt Bruchsal sind erste Hinweise zur Einbindung in die städtebauliche Entwicklung zu finden, allerdings ohne genaue Details zum Bauantrag oder Zeitplan. Es ist anzunehmen, dass die behördlichen Verfahren noch im Gange sind – was eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich des Eröffnungstermins mit sich bringt.
Ausblick: Was bedeutet das für die Region?
Die Entscheidung der Bäckerei Thollembeek wird nachhaltig Spuren hinterlassen. Für Bruchsal eröffnet sich die Möglichkeit, mit einem modernen Handwerksbetrieb neue wirtschaftliche Impulse zu setzen. Für Bretten hingegen stellt sich die Frage nach der strategischen Ausrichtung künftiger Gewerbeansiedlungen – und nach Lehren aus dem Kommunikationsversagen mit einem langjährigen Partner.
Fünf zentrale Erkenntnisse
- Standortpolitik entscheidet: Schnelle, verbindliche Angebote sind entscheidend für Unternehmensbindung.
- Transparenz ist gefragt: Gläserne Produktion muss durch echte Nachhaltigkeit gestützt werden.
- Arbeitskultur unter der Lupe: Familienklima reicht nicht aus, wenn Personalführung kritisch gesehen wird.
- Städte im Wettbewerb: Wer Fläche, Förderung und Perspektive bietet, wird wirtschaftlich belohnt.
- Kommunikation ist zentral: Frühzeitiger Austausch zwischen Stadt und Wirtschaft ist unverzichtbar.
Der geplante Umzug der Bäckerei Thollembeek von Bretten nach Bruchsal ist mehr als ein einfacher Standortwechsel. Er ist Ausdruck eines Wandels in der regionalen Wirtschaftsstruktur, ein Prüfstein für kommunale Gewerbepolitik und ein Spiegelbild unternehmerischer Zukunftsstrategien. Während Bruchsal von neuer Dynamik profitiert, bleibt Bretten mit einem schmerzlichen Verlust und der Aufgabe zurück, sich neu zu positionieren.
Ob der neue Standort tatsächlich das hält, was er verspricht – in Sachen Transparenz, Nachhaltigkeit und Arbeitsplatzqualität – wird sich erst mit der Inbetriebnahme zeigen. Klar ist jedoch: Die Entscheidung ist gefallen, und sie wird die Region langfristig prägen.