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So hat die Polizei einen Angriff auf der „Marzahn Pride“ verhindert – Was ist passiert?

In Aktuelles
Juni 22, 2025
Pride

Berlin-Marzahn

Am Samstag, dem 21. Juni, wurde in Berlin-Marzahn die sechste Ausgabe der „Marzahn Pride“ veranstaltet – eine queere Demonstration für Sichtbarkeit, Akzeptanz und Selbstbestimmung, die unter massiver Polizeipräsenz und im Schatten rechtsextremer Gegenaktionen stattfand. Rund 1.100 Menschen nahmen an der bunten Parade teil, die sich mit lauter Musik, Transparenten und politischen Botschaften durch das Berliner Viertel bewegte. Am Rande des Geschehens musste die Polizei jedoch einen Angriff auf Teilnehmende verhindern – mehrere Personen wurden festgesetzt, Platzverweise ausgesprochen.

Ein Fest der Vielfalt – unter Anspannung

Trotz der Freude und Entschlossenheit der Demonstrierenden war die Atmosphäre von Anfang an angespannt. Grund dafür war eine parallel angemeldete Gegenkundgebung von Rechtsextremen. Die Zahl der Teilnehmenden auf dieser Seite schwankt je nach Quelle zwischen 40 und 300. Beobachter ordnen die Gruppe der neonazistischen Organisation „Deutsche Jugend voran“ zu – eine Gruppierung, die sich in letzter Zeit vermehrt öffentlich zeigt.

Die Gegendemonstration verlief zunächst ohne größere Zwischenfälle und wurde gegen 14:40 Uhr offiziell beendet. Doch kurze Zeit später kam es zu Provokationen und ersten Bedrohungsszenarien in der Nähe der Abschlusskundgebung der „Marzahn Pride“. Polizeikräfte schritten ein und verhinderten einen möglichen Übergriff auf abziehende Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pride.

Polizeilicher Einsatz und schnelle Reaktion

Laut Polizeisprecher Florian Nath sei die Gefahrensituation rechtzeitig erkannt und unmittelbar eingedämmt worden. Einsatzkräfte trennten potenzielle Angreifer von der friedlichen Menge, nahmen mehrere Personen fest und erteilten Platzverweise. Weitere Details über verletzte Personen oder konkrete Anklagen lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht vor; eine ausführliche Abschlussbilanz wurde für den Folgetag angekündigt.

„Unsere Kolleginnen und Kollegen waren sensibilisiert und sehr präsent“, so Nath. „Der Schutz der Versammlungsfreiheit war oberste Priorität.“

Wer steckt hinter der Marzahn Pride?

Die „Marzahn Pride“ wird von Quarteera e. V. organisiert – einem Verein, der sich insbesondere für russischsprachige LGBTQ*-Personen in Deutschland einsetzt. Ziel der Organisation ist es, queere Migrant:innen aus Osteuropa zu stärken, zu vernetzen und sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um klassische Gleichstellungsthemen, sondern auch um politische Solidarität gegen autoritäre Systeme, die in vielen Herkunftsländern der Teilnehmenden LGBTQ*-Feindlichkeit staatlich fördern.

Mit dem Projekt „Разнообразие heißt Vielfalt“ hat Quarteera eine Plattform geschaffen, auf der queere Menschen aus osteuropäischen Communities ermutigt werden, sich zu zeigen und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Marzahn Pride ist Ausdruck dieser Arbeit und wurde gezielt im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf angesiedelt, da hier ein hoher Anteil russischsprachiger und migrantischer Bevölkerung lebt.

Routenüberschneidungen – eine gefährliche Nähe

Ein besonders brisanter Punkt war in diesem Jahr die teilweise Überschneidung der Demonstrationsrouten. Die Nähe zwischen der bunten Pride-Parade und der rechten Gegendemonstration führte zu erhöhter Sicherheitsgefahr. Der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano forderte im Vorfeld ein klares räumliches Konzept und äußerte Unverständnis darüber, dass Gegendemonstranten überhaupt in Marzahn aufmarschieren durften.

„Wer bewusst in diese Räume eindringt, in denen queere Menschen leben, demonstriert nicht – er provoziert“, so Pantisano. Bereits im Vorjahr gab es ähnliche Spannungen, die dieses Jahr jedoch durch die hohe Polizeipräsenz besser abgefangen werden konnten.

Stimmen aus Politik und Zivilgesellschaft

Die Reaktion aus der kommunalen Politik war eindeutig. Das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf veröffentlichte eine gemeinsame Stellungnahme mehrerer Fraktionen, in der die Pride ausdrücklich begrüßt und der Einsatz der Polizei gelobt wurde. Die Bezirksbürgermeisterin sprach von einem „starken Zeichen für Vielfalt“ und forderte, dass demokratische Kräfte „enger zusammenstehen müssen, wenn es um die Verteidigung offener Gesellschaften geht.“

Auch von zivilgesellschaftlicher Seite kam viel Unterstützung. So versammelten sich zahlreiche Initiativen, Nachbarschaftsprojekte und Unterstützergruppen am Rande der Parade, um ein sichtbares Zeichen gegen Hass zu setzen. Dabei wurde deutlich: Der Widerstand gegen rechte Gewalt ist längst nicht nur eine Aufgabe der Polizei, sondern auch der Gesellschaft selbst.

Statistik queerfeindlicher Gewalt – eine wachsende Bedrohung

Die Angriffsgefahr, die in Marzahn nur durch das Eingreifen der Polizei verhindert werden konnte, reiht sich in eine alarmierende Entwicklung ein: In Deutschland nimmt die Zahl queerfeindlicher Straftaten kontinuierlich zu. Eine Auswertung des Bundeskriminalamts zeigt:

JahrAnzahl queerfeindlicher Straftaten
2022835
2023854
20241.152

Viele dieser Straftaten sind politisch motiviert und stammen aus dem rechtsextremen Spektrum. Neben Beleidigungen und Bedrohungen kommt es auch immer häufiger zu tätlichen Angriffen. Laut Einschätzung von Expert:innen ist die Dunkelziffer hoch, da viele Vorfälle nicht angezeigt oder dokumentiert werden.

Ein überregionales Muster – Brandenburg unter Druck

Wenige Tage vor der Marzahn Pride kam es im brandenburgischen Bad Freienwalde zu einem brutalen Angriff auf eine queerfreundliche Veranstaltung. Vermummte Neonazis stürmten einen Stand von „Bad Freienwalde ist bunt“, warfen Tische um und griffen Teilnehmende an. In Folge dessen leitete die Polizei Hausdurchsuchungen ein – im Fokus stand unter anderem die rechtsextreme Kleinstpartei „Der Dritte Weg“.

Solche Vorfälle zeigen, dass es sich bei Angriffen auf queere Veranstaltungen nicht um isolierte Einzelfälle handelt. Vielmehr erkennen Sicherheitsbehörden eine „neue Qualität rechter Gewalt“, die gezielt gegen gesellschaftliche Minderheiten agiert – koordiniert, organisiert und zunehmend militant.

Solidarität als Antwort

Trotz der Bedrohung war die Stimmung auf der Marzahn Pride geprägt von Entschlossenheit und Gemeinschaft. Viele Teilnehmende äußerten den Wunsch, auch im kommenden Jahr wiederzukommen – nicht trotz, sondern wegen der Gefahr.

Eine Aktivistin aus dem Orga-Team erklärte:

„Wenn wir uns jetzt zurückziehen, haben die Rechten schon gewonnen. Marzahn gehört allen – auch queeren Menschen.“

Diese Haltung spiegelt sich auch in der wachsenden Zahl von Unterstützerinnen und Unterstützern wider. Organisationen wie Quarteera, Bündnisse gegen Rechts und zahlreiche queere Netzwerke arbeiten daran, die Sichtbarkeit in als schwierig geltenden Bezirken wie Marzahn zu erhöhen – ein Balanceakt zwischen Sicherheitsbedenken und dem Recht auf Öffentlichkeit.

Zwischen Gefahr und Hoffnung

Die Ereignisse rund um die Marzahn Pride 2025 zeigen deutlich, wie fragil das Gleichgewicht zwischen demokratischer Teilhabe und Bedrohung durch Extremismus ist. Dass ein Angriff verhindert wurde, ist in erster Linie dem schnellen Handeln der Polizei zu verdanken. Doch der Einsatz uniformierter Kräfte allein reicht nicht aus.

Notwendig ist ein breiter Schulterschluss von Politik, Zivilgesellschaft, Polizei und Medien, um queerfeindlicher Gewalt nachhaltig entgegenzutreten. Die Marzahn Pride war – trotz aller Widrigkeiten – ein deutliches Zeichen dafür, dass Vielfalt nicht weicht, sondern bleibt. Sie steht stellvertretend für ein Land, das sich zwar mit alten und neuen Feindbildern konfrontiert sieht, aber auch zeigt: Wer Hass verbreiten will, stößt auf Widerstand – organisiert, laut und sichtbar.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.