
Kehl, Oktober 2025. In Süddeutschland hat sich eine unscheinbare, aber hochgradig anpassungsfähige Ameisenart etabliert, die Forscher und Kommunen gleichermaßen alarmiert: Tapinoma magnum, auch bekannt als Große Drüsenameise. Was zunächst wie ein lokales Phänomen wirkte, entwickelt sich zunehmend zu einem bundesweiten Problem mit ökologischen, technischen und wirtschaftlichen Folgen. Immer mehr Städte berichten von Ausfällen in Strom- und Internetnetzen, Gebäudeschäden und massiven Problemen bei der Bekämpfung der invasiven Art.
Ein unscheinbarer Eindringling mit riesiger Wirkung
Herkunft und Biologie von Tapinoma magnum
Die ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammende Ameise Tapinoma magnum wurde erstmals um 2009 in Deutschland nachgewiesen. Damals galt sie als zoologische Kuriosität, heute ist sie eine ernstzunehmende invasive Art. Sie zeichnet sich durch ihre ungewöhnliche Sozialstruktur aus: Anstatt einzelner Nester bildet sie sogenannte Superkolonien, die aus mehreren Brutnestern, zahlreichen Königinnen und Millionen von Arbeiterinnen bestehen. Diese Kolonien können sich über ganze Straßenzüge, Gärten oder Industriegebiete erstrecken – ein Albtraum für Schädlingsbekämpfer.
Die Arbeiterinnen sind zwischen zwei und vier Millimeter groß, tiefschwarz gefärbt und von sehr agilem Verhalten. Charakteristisch ist der stechend unangenehme Geruch, den sie bei Störung absondern. Sie sind in der Lage, sich extrem schnell an neue Lebensräume anzupassen und nutzen kleinste Hohlräume – etwa in Mauern, Elektrokästen oder Pflanzgefäßen – zum Nestbau. Eine Forscherin vom Naturkundemuseum Baden-Württemberg beschreibt das Verhalten treffend: Diese Ameisen sind Meister der Anpassung und finden selbst in urbanen Strukturen perfekte Bedingungen, um sich ungehindert zu vermehren.
Warum die Ameisen in Deutschland Fuß fassen
Der Klimawandel begünstigt die Ausbreitung der Art erheblich. Milder werdende Winter, zunehmend mediterrane Gartenpflanzen und städtische Wärmeinseln schaffen ideale Voraussetzungen. Untersuchungen zeigen, dass Tapinoma magnum Temperaturen von bis zu –15 °C überstehen kann – deutlich mehr, als Forscher lange für möglich hielten. Damit ist sie nicht nur auf den Süden Deutschlands beschränkt: Nachweise gibt es inzwischen in Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und bis nach Hamburg.
Wie die Superkolonien entstehen und warum sie kaum zu stoppen sind
Struktur und Dynamik der Kolonien
Eine Besonderheit von Tapinoma magnum ist ihre soziale Struktur. Im Gegensatz zu den meisten einheimischen Arten mit einer einzigen Königin existieren in einer Kolonie Hunderte oder gar Tausende von Königinnen. Diese bilden ein dichtes Netzwerk von Nestern, die untereinander kooperieren. Dadurch entsteht eine Art „Megastaat“, der Flächen von bis zu 20 Hektar besiedeln kann. Wird ein Teil des Nests zerstört, ziehen andere Teile nach – die Population bleibt stabil.
Verbreitung über Pflanzenhandel und Urbanisierung
Die Einschleppung nach Mitteleuropa erfolgte höchstwahrscheinlich über den Handel mit mediterranen Pflanzen. Olivenbäume, Oleander oder Zitruspflanzen, die samt Wurzelballen importiert werden, bieten ideale Verstecke für Ameisenköniginnen. Genetische Studien belegen, dass viele Populationen in Deutschland identische DNA-Muster aufweisen – ein Hinweis auf gemeinsame Ursprungsquellen aus südlichen Pflanzentransporten. Gartencenter und Baumärkte fungieren somit unbewusst als Knotenpunkte der Verbreitung.
Technische und ökologische Risiken durch Tapinoma magnum
Bedrohung für Strom- und Datennetze
In Kehl, einer der am stärksten betroffenen Städte, kam es in den vergangenen Jahren zu mehreren Ausfällen der Strom- und Internetversorgung. Die Ameisen drangen in Verteilerkästen ein, überbrückten Kontakte und verursachten Kurzschlüsse. Ähnliche Vorfälle wurden auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg dokumentiert. Behörden sprechen von einem wachsenden Infrastrukturproblem, das Kommunen teuer zu stehen kommt – in Kehl beliefen sich die Bekämpfungskosten bereits auf einen sechsstelligen Betrag.
Ökologische Folgen: Konkurrenz und Artenverdrängung
Invasive Ameisenarten gelten weltweit als eine der größten Bedrohungen für die Biodiversität. Tapinoma magnum verdrängt einheimische Ameisenarten durch ihre aggressive Revierbildung und hohe Vermehrungsrate. Lokale Ökosysteme werden destabilisiert, weil die Art natürliche Gleichgewichte verändert – beispielsweise bei der Kontrolle von Blattläusen oder der Verbreitung von Pflanzensamen. Auch Vögel und Kleinsäuger können indirekt betroffen sein, wenn ihre Nahrungsgrundlage schwindet.
Wie gefährlich sind die Ameisen für Menschen und Tiere?
Gesundheitliche und psychologische Belastung
Auch wenn Tapinoma magnum für Menschen und Haustiere nicht giftig ist, kann ihr massenhaftes Auftreten erhebliche Belastungen verursachen. Bewohner berichten von Tausenden Ameisen in Küchen, Kinderzimmern und Autos. Die Insekten dringen selbst in elektrische Geräte ein. Eine betroffene Hausbesitzerin aus Kehl erzählt: Man wacht morgens auf, und die Steckdose lebt – das ist kein schönes Gefühl.
Bisse der Ameisen sind harmlos, aber unangenehm. Viel gravierender ist die psychische Belastung: Viele Menschen empfinden Ekel oder Hilflosigkeit, wenn die Insekten trotz mehrfacher Bekämpfungsversuche zurückkehren.
Bekämpfung – eine Aufgabe für Profis und Kommunen
Welche Methoden sind wirksam?
Die Bekämpfung von Tapinoma magnum stellt Experten vor enorme Herausforderungen. Herkömmliche Insektizide zeigen nur kurzfristige Wirkung, da die Ameisenkolonien schnell ausweichen oder sich teilen. Stattdessen setzen viele Kommunen auf eine Kombination aus Heißwasser- und Schaumverfahren. Dabei werden betroffene Bereiche großflächig mit heißem Wasser behandelt, das bis in tiefere Erdschichten eindringt und sowohl Arbeiterinnen als auch Königinnen trifft.
Andere Methoden wie der Einsatz von Diatomeenerde, Gelködern oder Nematoden werden ergänzend genutzt, erreichen jedoch selten die gesamte Kolonie. Fachleute warnen außerdem, dass unsachgemäße Bekämpfungsversuche durch Privatpersonen das Problem sogar verschärfen können.
Kommunale Strategien und Bürgerbeteiligung
Einige Städte haben inzwischen spezialisierte Einsatzteams gebildet, die sich ausschließlich mit invasiven Ameisen befassen. Zudem setzen Forschungsprojekte auf Citizen Science: Bürgerinnen und Bürger werden ermutigt, Ameisenfunde zu melden und Fotos einzureichen. So entsteht eine Karte der Verbreitung, die wissenschaftlich ausgewertet werden kann. Ein Sprecher des baden-württembergischen Umweltministeriums erklärt: Nur durch gezielte Datensammlung und Kooperation mit der Bevölkerung können wir die Ausbreitung eindämmen.
Rechtliche und wirtschaftliche Dimensionen
Wenn die Ameise zur Mietfrage wird
In Onlineforen häufen sich Fragen betroffener Mieter: Wer trägt die Verantwortung, wenn eine Wohnung von Tapinoma magnum befallen ist? Laut juristischen Diskussionen gilt der Befall als „Mangel der Mietsache“, sofern er nicht durch unsachgemäße Nutzung verursacht wurde. Vermieter müssen daher handeln – häufig in Zusammenarbeit mit städtischen Behörden. Kompletttilgungen sind jedoch selten, was zu langwierigen Auseinandersetzungen führt.
Hohe Kosten und unsichere Prognosen
Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind erheblich: Kommunen melden steigende Ausgaben für Schädlingsbekämpfung, Sanierungen und Forschung. Weltweit werden die durch invasive Ameisen verursachten Schäden auf über 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt – Tendenz steigend. Besonders kritisch: Die meisten Bekämpfungsmaßnahmen zeigen nur temporären Erfolg, was wiederkehrende Kosten verursacht.
Erfahrungen aus der Praxis
Erfolgreiche Eindämmung in Zürich
Ein Beispiel für wirksames Handeln liefert Zürich. Dort wurde 2023 ein massiver Befall in einer Wohnsiedlung gemeldet. Über mehrere Monate kamen gezielte Maßnahmen zum Einsatz – darunter 13 Behandlungen mit Ködern und Monitoring durch Experten. Nach der Saison wurde kein weiterer Befall festgestellt. Dennoch mahnen Forscher zur Vorsicht: Rückkehr ist möglich, solange Nachbargebiete nicht vollständig behandelt sind.
Lehren für Deutschland
Das Züricher Beispiel zeigt, dass konsequentes Handeln Erfolg haben kann, wenn Monitoring, Fachwissen und Koordination zusammenkommen. Entscheidend sei eine flächendeckende Strategie, nicht isolierte Einzelmaßnahmen. Deutschland steht hier noch am Anfang, doch das Bewusstsein wächst. Städte wie Kehl und Offenbach dienen mittlerweile als Modellregionen für den Umgang mit invasiven Ameisen.
Praktische Hinweise für Bürgerinnen und Bürger
Wie man die Ameise erkennt
- Kleine schwarze Ameisen (2–4 mm) mit starkem Geruch bei Druck
- Bewegung in breiten Ameisenstraßen
- Nester in warmen, trockenen Bereichen: Mauerritzen, Pflanzkübel, Elektroanlagen
- Häufig in der Nähe von Gartencentern oder mediterranen Pflanzen
Was man tun sollte – und was nicht
Experten raten, bei Verdacht auf einen Befall keine Chemikalien oder Hausmittel einzusetzen. Stattdessen sollten Proben genommen, Fotos gemacht und Behörden oder Fachstellen informiert werden. Eine unkoordinierte Bekämpfung kann die Kolonie nur verstreuen – sie verschwindet nicht.
Die Rolle der Gemeinschaft
Die Bekämpfung von Tapinoma magnum ist keine rein private Aufgabe. Gemeinden, Bürger und Forscher müssen zusammenarbeiten, um das Ausbreitungsnetz frühzeitig zu erkennen. Plattformen wie iNaturalist helfen, Funde zu dokumentieren und Hotspots zu identifizieren. Jede Meldung trägt dazu bei, das Verständnis für das Verhalten dieser invasiven Art zu verbessern.
Warum diese Art eine unterschätzte Gefahr bleibt
Die große Drüsenameise ist ein Beispiel dafür, wie kleine, unscheinbare Organismen enorme Auswirkungen haben können. Durch ihre Superkolonien, Resistenz und Anpassungsfähigkeit wird sie zu einem ökologischen und infrastrukturellen Risiko. Noch sind viele Mechanismen ihres Erfolgs nicht vollständig verstanden, doch klar ist: Ein wirksames Management erfordert Wissen, Geduld und Zusammenarbeit.
Ausblick: Was jetzt getan werden muss
Deutschland steht erst am Anfang, das Problem ernsthaft anzugehen. Es braucht koordinierte Überwachungsprogramme, verbesserte Kontrollen im Pflanzenhandel und Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung. Die Erfahrungen aus Kehl und Zürich zeigen, dass Eindämmung möglich ist – aber nur mit konsequenter Strategie und interdisziplinärem Ansatz. Wenn invasive Arten wie Tapinoma magnum weiterhin unterschätzt werden, drohen langfristige Schäden für Umwelt, Infrastruktur und Wirtschaft. Jetzt ist der Zeitpunkt, zu handeln, bevor der kleine Gegner endgültig überhandnimmt.