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Klimaforscher Karsten Schwanke warnt: Baden-Württemberg steht vor drastischen Folgen der Erderwärmung

In Umwelt
August 07, 2025

Karsten Schwanke warnt: Der Südwesten Deutschlands gehört zu den Regionen, die besonders deutlich vom Klimawandel betroffen sind. Steigende Temperaturen, häufigere Extremwetterereignisse und neue ökologische sowie gesellschaftliche Herausforderungen zwingen Politik, Wissenschaft und Kommunen zum Handeln.

Der bekannte Meteorologe und ZDF-Wetterexperte Karsten Schwanke hat im Sommer 2024 in mehreren öffentlichen Stellungnahmen eindringlich vor den zunehmenden Risiken des Klimawandels gewarnt – mit besonderem Blick auf Süddeutschland und Baden-Württemberg. In einem Interview betonte er: „Wir marschieren auf eine völlig andere Welt zu – eine, für die unsere Körper nicht gemacht sind.“ Gemeint ist damit nicht nur die Häufung von Hitzewellen, sondern deren Intensität, Dauer und gesundheitliche Belastung. Besonders betroffen seien Städte mit hoher Versiegelung, wenig Begrünung und verdichteter Bebauung – wie sie in Baden-Württemberg in Regionen wie Stuttgart, Mannheim oder Karlsruhe typisch sind.

Schwanke hob hervor, dass die planetare Erwärmung längst nicht mehr auf Modellrechnungen beschränkt sei, sondern sich in der realen Wetterpraxis materialisiere: Die Sommer 2022 bis 2024 waren global die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnung, mit teils katastrophalen Folgen – Waldbränden, Überschwemmungen, Hitzetoten. Für Baden-Württemberg bedeute das eine Zukunft mit potenziellen Sommertemperaturen jenseits der 45 °C-Marke, einer Verdopplung der Tropennächte und der Notwendigkeit, grundlegende Fragen der Stadtentwicklung, Arbeitsschutzes und Gesundheitsvorsorge neu zu denken.

Besonders brisant ist Schwankes Verweis auf die Überforderung menschlicher Thermoregulation: Ab 35 °C Lufttemperatur und gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit sei das körpereigene Kühlsystem nicht mehr in der Lage, ausreichend Wärme abzugeben. Dies führe nicht nur zu Leistungseinbußen, sondern könne für vulnerable Gruppen akut lebensgefährlich werden. Seine Mahnung ist deutlich: Deutschland – und insbesondere stark betroffene Bundesländer wie Baden-Württemberg – müssen sich auf diese neue Hitzerealität vorbereiten, mit umfassenden Anpassungsstrategien und gesellschaftlicher Priorisierung des Themas.

Regionale Erwärmung und bereits sichtbare Veränderungen

In Baden-Württemberg sind die Auswirkungen der globalen Erderwärmung bereits heute mess- und spürbar. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die mittlere Jahrestemperatur um rund 1,3 °C gestiegen – eine Zunahme, die über dem globalen Durchschnitt liegt. Gleichzeitig nehmen Frosttage ab, während Sommertage mit Temperaturen über 25 °C und Hitzetage über 30 °C deutlich zunehmen. Besonders betroffen sind Ballungsräume wie Stuttgart, Karlsruhe oder Mannheim, die unter dem städtischen Wärmeinseleffekt leiden.

Auch die Niederschlagsmuster verändern sich signifikant: Während die Winter tendenziell feuchter werden, sind die Sommer durch längere Trockenperioden geprägt. Starkregenereignisse häufen sich, mit zunehmender Gefahr für urbane Überflutungen und Hochwasserschäden. Diese Dynamiken fordern neue Formen der Raum- und Stadtplanung.

Forschung und Modellierung: KLIMOPASS und andere Programme

Mit dem Klimaanpassungsprogramm KLIMOPASS (Klimawandel und modellbasierte Anpassung in Baden-Württemberg) betreibt das Land seit 2010 systematische Forschung zur regionalen Klimaentwicklung. Zentrale Elemente sind Klimamodelle auf kommunaler Ebene, Risikoanalysen für Infrastrukturen sowie Ableitungen für die Forst-, Wasser- und Energiepolitik. Der Fokus liegt auf Projektionen bis 2050 und 2100 – Zeiträume, die Planungs- und Investitionsentscheidungen langfristig beeinflussen.

Ergänzt wird das Programm durch die Aktivitäten des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), das Klimasimulationen mit besonderer Auflösung für den Oberrhein und den Schwarzwald durchführt. Dabei werden nicht nur Temperatur- und Niederschlagsentwicklungen erfasst, sondern auch sogenannte kombinierte Extremereignisse wie Trockenheit gefolgt von Starkregen analysiert – eine Konstellation, die zunehmend wahrscheinlich wird.

Ökologische Auswirkungen auf Wälder, Böden und Biodiversität

Wälder in Baden-Württemberg reagieren hochsensibel auf veränderte Klimabedingungen. Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) dokumentiert zunehmend absterbende Bäume – insbesondere Fichten und Buchen – infolge von Trockenstress und Schädlingsbefall. Auch der Eichenprozessionsspinner und invasive Arten wie die Esskastanien-Gallwespe verbreiten sich infolge milderer Winter und längerer Vegetationsperioden.

Böden verlieren durch wiederholte Trockenphasen an biologischer Aktivität und Wasserhaltekapazität, was sich auf die landwirtschaftliche Produktivität und den Wasserkreislauf auswirkt. In den Auen und Feuchtgebieten sinken die Grundwasserspiegel, während Amphibien- und Insektenpopulationen durch Lebensraumverlust zurückgehen.

Urbane Risiken und die Rolle der Kommunen

Städte stehen im Zentrum der klimatischen Belastung. Neben Hitzestress betrifft sie vor allem die Herausforderung, eine überlastete Infrastruktur an plötzliche Starkregenereignisse anzupassen. Die Landeshauptstadt Stuttgart hat mit KLIMAKS (Klimaanpassungskonzept Stuttgart) ein umfangreiches Maßnahmenpaket erarbeitet, das Begrünung, Wassermanagement, Mobilitätsplanung und soziale Prävention umfasst.

Viele kleinere Kommunen hinken allerdings hinterher – es fehlen sowohl personelle Kapazitäten als auch finanzielle Mittel zur Umsetzung von Klimaanpassungskonzepten. Eine landesweite Umfrage (Klimaatlas BW) zeigt, dass nur etwa ein Drittel der Gemeinden über ein eigenes Anpassungskonzept verfügen.

Gesundheitliche und psychologische Folgen

Mit zunehmender Hitze steigt auch die gesundheitliche Belastung, insbesondere für vulnerable Gruppen wie ältere Menschen, Kleinkinder oder Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Studien des Umweltbundesamts belegen einen signifikanten Anstieg hitzebedingter Sterbefälle in Süddeutschland, vor allem in besonders belasteten urbanen Regionen.

Hinzu kommt ein noch wenig erforschtes Feld: die psychologischen Auswirkungen des Klimawandels. Erhöhte Wetterängste, existenzielle Sorgen (sogenannter „Eco-Anxiety“) und Unsicherheiten über Lebensplanung oder Wohnortwahl gewinnen an Bedeutung. Derzeit fehlen jedoch großflächige empirische Studien auf Landesebene, um gezielt Resilienzfaktoren oder Interventionsstrategien entwickeln zu können.

Streitpunkte und offene Forschungsfragen

Obwohl das Land über eine ambitionierte Anpassungsstrategie verfügt, bleiben zentrale Fragen offen: Wie effektiv ist das Monitoring aktueller Klimarisiken? Welche Indikatoren lassen sich dynamisch einsetzen? Und wie genau lassen sich einzelne Extremwetterereignisse dem anthropogenen Klimawandel zuordnen?

Ein besonders aktueller Streitpunkt ist die sogenannte Attributionsforschung. Während internationale Konsortien wie „World Weather Attribution“ erste Aussagen treffen können – etwa zur Häufigkeit von Starkregen im Südwesten – fehlen bislang fein aufgelöste Modelle für einzelne Regionen Baden-Württembergs. Auch die Bewertung wirtschaftlicher Schäden durch Hitze oder Wasserknappheit ist bislang eher grobmaschig und sektorübergreifend schwer vergleichbar.

Ökonomische Chancen und Risiken

Der Klimawandel verursacht massive volkswirtschaftliche Schäden. In Baden-Württemberg könnten diese in einzelnen Jahren mehrere Milliarden Euro erreichen – durch Ernteausfälle, Schäden an Verkehrsinfrastruktur, Gebäuden und Gesundheitssystem. Gleichzeitig entstehen neue Chancen: klimaangepasste Gebäudetechnik, Begrünungskonzepte, Speichertechnologien oder nachhaltige Mobilitätslösungen boomen als Märkte mit Zukunft.

Der Arbeitsmarkt wandelt sich ebenfalls: Während Hitzestress die Produktivität im Bauwesen oder der Landwirtschaft reduziert, entstehen neue Berufsfelder in Beratung, Umweltplanung, Resilienzmanagement und Technologieentwicklung.

Strategien für eine klimaresiliente Zukunft

Die Klimapolitik in Baden-Württemberg zielt nicht nur auf Emissionsminderung, sondern zunehmend auch auf Anpassung. Das neue Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz (2023) verpflichtet Städte und Landkreise zu verbindlicher Wärmeplanung, Klimaberichterstattung und Maßnahmenentwicklung. Die Solar- und Begrünungspflicht bei Neubauten ist dabei nur ein erster Schritt.

Wichtige Säulen sind auch interkommunale Zusammenarbeit, Bildungsoffensiven, Förderprogramme für private Klimavorsorge (z. B. Dachbegrünung) und die Integration von Klimaresilienz in regionale Entwicklungspläne. Forschungseinrichtungen wie das KIT und die FVA liefern die notwendige Datengrundlage – doch der politische Wille, diese umzusetzen, ist entscheidend.

Fazit: Baden-Württemberg als Frühindikator für den Klimawandel

Baden-Württemberg zeigt exemplarisch, wie komplex, tiefgreifend und multidimensional der Klimawandel eine hochentwickelte Region verändern kann. Zwischen Hitzestress, Starkregen, Forstschäden und sozialen Fragen entsteht ein dynamisches Spannungsfeld, das präzise beobachtet, wissenschaftlich fundiert untersucht und politisch mutig gestaltet werden muss. Nur so lässt sich aus einer klimatischen Herausforderung eine resiliente Zukunft entwickeln.

Tabellarische Übersicht: Klimatrends in Baden-Württemberg

Indikator1901–19301961–19901991–2020Prognose 2050 (unter RCP4.5)
Mittlere Jahrestemperatur (°C)8,28,49,510,8
Sommertage (>25 °C)20284360–70
Hitzetage (>30 °C)361425–35
Niederschlag Sommer (mm)260250220190–210
Starkregenereignisse pro Jahr1–235–68–10

Die Daten verdeutlichen den signifikanten Anstieg von Hitzeereignissen in nur wenigen Jahrzehnten. Besonders auffällig ist die fast Verdreifachung der Hitzetage seit den 1960er-Jahren. Gleichzeitig sinkt der Sommerniederschlag, was die Trockenheit verschärft. Starkregen nimmt zwar in der Frequenz zu, jedoch bei selteneren, dafür intensiveren Einzelereignissen.

Zitat aus dem Monitoringbericht 2025

„Die gegenwärtige Klimaentwicklung in Baden-Württemberg weist auf eine deutliche Verschärfung der Risiken für urbane Räume, Wasserhaushalt und Gesundheit hin. Nur eine systematische, sektorenübergreifende Anpassung kann irreversible Schäden vermeiden.“

– Auszug aus dem Monitoringbericht zur Anpassungsstrategie BW 2025

Datenanalyse: Vulnerabilität ausgewählter Landkreise

LandkreisHitzebelastung (Tage >30 °C, 2020)Starkregenereignisse (2020)Flächenversiegelung (%)Vorhandenes Anpassungskonzept
Stuttgart19447%Ja (KLIMAKS)
Karlsruhe22638%Ja
Ravensburg11716%Nein
Esslingen17331%In Planung

Diese Analyse zeigt die unterschiedliche Vulnerabilität einzelner Regionen. Während Städte wie Stuttgart über Konzepte verfügen, fehlt in ländlicheren Räumen häufig die organisatorische und finanzielle Grundlage zur Umsetzung. Dies führt zu einer „Anpassungslücke“, die soziale Ungleichheit verschärfen kann.

Erweiterte Risiken: Wasserhaushalt und Infrastruktur

Die Studie „Wasser in Zeiten des Klimawandels“ des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigt, dass sich in Süddeutschland die sommerliche Wasserverfügbarkeit um bis zu 30 % verringern könnte. Trinkwasserversorgung, Landwirtschaft und Industrie geraten damit in Konkurrenz. Besonders Flussauen des Neckars und kleinere Nebengewässer sind betroffen.

Auch die Infrastruktur ist gefährdet: Versiegelte Flächen können Starkregen nur unzureichend aufnehmen. Schäden an Straßenbelägen, Brücken und Abwasseranlagen treten vermehrt auf. Präventive Investitionen in Regenrückhaltebecken, durchlässige Böden oder Flutmulden sind langfristig kosteneffizienter als Notfallmaßnahmen.

Empfehlungen aus wissenschaftlicher Sicht

  • Verbindliche Klimaanpassungspläne für alle Kommunen
  • Pflicht zur Nutzung klimaresilienter Baumaterialien und Begrünung
  • Einführung eines Klimawandel-Vulnerabilitätsindex zur Priorisierung von Fördergeldern
  • Schulungsprogramme für kommunale Verwaltungseinheiten
  • Ausbau regionaler Klima-Dateninfrastruktur und Frühwarnsysteme

FAQ zum Thema Klimawandel in Baden-Württemberg

Welche Folgen hat der Klimawandel bereits heute für Baden-Württemberg?

Häufigere Hitzetage, veränderte Niederschlagsverteilungen, Starkregen, Trockenperioden und damit verbunden höhere Gesundheits- und Umweltrisiken gehören zu den bereits heute messbaren Folgen.

Wie sind die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte?

Bis 2050 wird ein weiterer Temperaturanstieg von 1,2–1,8 °C erwartet. Hitzetage könnten sich verdoppeln. Starkregen und Trockenperioden treten häufiger auf – oft kombiniert. Die Auswirkungen auf Landwirtschaft, Gesundheit und Infrastruktur werden sich verschärfen.

Wie unterstützt das Land die Anpassung?

Durch Programme wie KLIMOPASS, das Klimaanpassungsgesetz, Förderinstrumente für Kommunen sowie Investitionen in Forschung und Datenaufbereitung. Zentrale Anlaufstelle ist das Umweltministerium BW.

Langfassung Fazit: Perspektive für ein klimaresilientes Baden-Württemberg

Die klimatische Entwicklung in Baden-Württemberg ist ein Frühindikator für die dramatische Veränderung gemäßigter Zonen. Während die globale Erwärmung über Jahrzehnte als abstraktes Risiko galt, entfaltet sie nun mit sichtbarer Wucht konkrete Folgen: für Städte, für Wälder, für den Wasserhaushalt – und für die Gesundheit der Bevölkerung.

Diese Realität erfordert einen radikalen Perspektivwechsel in Planung, Politik und Lebensweise. Der Wandel betrifft nicht nur die ökologische Dimension, sondern stellt auch eine soziale, wirtschaftliche und psychologische Herausforderung dar. Baden-Württemberg zeigt, wie regionale Klimafolgenforschung, strukturierte Anpassung und politische Rahmensetzung ineinandergreifen können – wenn der Wille zur Umsetzung vorhanden ist.

Gleichzeitig zeigt sich: Zwischen Forschung und Realität klafft noch eine Lücke. Viele Kommunen kämpfen mit Ressourcenknappheit, Unsicherheit bei der Priorisierung von Maßnahmen oder mangelnder Expertise. Umso wichtiger sind Schulungsangebote, Förderprogramme, praxisnahe Tools und verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen.

Langfristig kann Baden-Württemberg eine Modellregion für klimaresiliente Strukturen werden – vorausgesetzt, der Transformationsprozess wird konsequent, gerecht und wissenschaftsbasiert gestaltet. Nur so lässt sich aus dem Klimarisiko eine Zukunftsstrategie entwickeln, die Mensch und Umwelt gleichermaßen schützt.

Verwendete Quellen (Auswahl)

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Redaktion / Published posts: 1925

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.