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Union fordert Änderung des Selbstbestimmungsgesetzes nach Fall Liebich

In Aktuelles
August 24, 2025

Der Fall um die rechtsextreme Aktivistin Marla-Svenja Liebich hat die politische Debatte in Deutschland erneut angeheizt. Nachdem die wegen Volksverhetzung verurteilte Rechtsextremistin ihr Geschlecht offiziell in weiblich ändern ließ, fordern CDU und CSU nun eine Reform des erst seit November 2024 geltenden Selbstbestimmungsgesetzes. Im Zentrum steht die Frage, ob das Gesetz ausreichend Schutzmechanismen gegen Missbrauch bietet.

Der Fall Liebich als Auslöser einer neuen Debatte

Marla-Svenja Liebich, vormals Sven Liebich, war in den vergangenen Jahren immer wieder durch rechtsextreme Hetze und Provokationen aufgefallen. Nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Volksverhetzung muss sie eine Haftstrafe antreten. Überraschend ist jedoch, dass Liebich kurz vor Haftantritt ihren Geschlechtseintrag offiziell ändern ließ. Dies ist seit Inkrafttreten des Selbstbestimmungsgesetzes durch eine einfache Erklärung beim Standesamt möglich. Damit wurde sie formal einer Frauenhaftanstalt zugewiesen.

Die endgültige Entscheidung über die Unterbringung liegt bei den Justizvollzugsanstalten, die Sicherheitsabwägungen und Aufnahmegespräche durchführen. Doch allein der Umstand, dass eine als rechtsextrem bekannte Person dieses Gesetz für eine Geschlechtsänderung genutzt hat, sorgt für politischen Sprengstoff. Kritiker bezeichnen die Aktion als gezielte Provokation, die zeigen soll, wie das Gesetz instrumentalisiert werden kann.

Union fordert Reformen am Selbstbestimmungsgesetz

Die Union reagierte schnell und deutlich. CDU und CSU fordern Nachbesserungen am Gesetz, um Missbrauch zu verhindern. Insbesondere geht es um die Frage, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen Personen aus taktischen oder provokativen Gründen ihren Geschlechtseintrag ändern.

Unionsfraktionsvize Thorsten Frei sprach von einem „ideologisch motivierten Gesetz“, das zu einseitig auf Selbstbestimmung setze und Risiken für andere Menschen, etwa im Strafvollzug oder in Schutzräumen, außer Acht lasse. Aus den Reihen der Union heißt es zudem, dass Haftzuweisungen künftig nach dem „biologischen“ und nicht allein nach dem amtlich eingetragenen Geschlecht erfolgen müssten. Einige Stimmen gehen sogar so weit, das Gesetz ganz abschaffen zu wollen.

Kritik und Verteidigung: Stimmen zur aktuellen Rechtslage

Auf der anderen Seite wird das Gesetz von vielen als überfälliger Schritt in Richtung Gleichstellung von trans*, inter* und nicht-binären Menschen gesehen. Jahrzehntelang mussten Betroffene teure und demütigende Begutachtungen über sich ergehen lassen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu können. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wurde dieser Prozess endlich vereinfacht. Für die Community bedeutet es einen Durchbruch in Sachen Menschenrechte und gesellschaftliche Anerkennung.

SPD-Politikerinnen verweisen zudem auf eine bereits geplante Evaluation des Gesetzes im Jahr 2026. Man solle den Fall Liebich nicht als generelles Argument gegen das Gesetz nutzen, sondern ihn juristisch einordnen. Auch die Justizvollzugsanstalten haben Möglichkeiten, individuell über Unterbringungen zu entscheiden und Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen.

Die wichtigsten Fragen aus der Gesellschaft

Kann man in Deutschland das Geschlecht ändern und dadurch ins Frauengefängnis kommen?

Ja, das Selbstbestimmungsgesetz erlaubt eine Geschlechtsänderung durch eine Selbsterklärung beim Standesamt. Formal wird diese Änderung auch in allen amtlichen Dokumenten wirksam. Theoretisch kann eine Person mit weiblichem Eintrag dann in einer Frauenhaftanstalt untergebracht werden. In der Praxis entscheidet jedoch die jeweilige JVA im Aufnahmeverfahren, ob Sicherheitsbedenken bestehen und ob eine alternative Unterbringung notwendig ist.

Wurde der Fall Liebich gezielt provoziert?

Viele Expertinnen und Beobachter sehen die Änderung von Sven zu Marla-Svenja Liebich als bewusste Provokation. Die taz sprach von einer „reinen Provokation“. Auch Juristen weisen darauf hin, dass die Absicht offenkundig nicht in einer gelebten Geschlechtsidentität liegt, sondern in einem politischen Statement. Der Fall soll offenbar verdeutlichen, wie das Gesetz missbraucht werden könnte.

Wie lange muss man warten, bis die Änderung wirksam ist?

Nach dem Selbstbestimmungsgesetz gilt eine Wartefrist von drei Monaten zwischen der Erklärung beim Standesamt und der Wirksamkeit der Änderung. Außerdem besteht eine Bindungsfrist von einem Jahr, in dem keine weitere Änderung möglich ist. Damit soll verhindert werden, dass Personen ihren Eintrag beliebig oft wechseln.

Gibt es eine gesetzliche Missbrauchsprüfung im Strafvollzug?

Eine spezielle Missbrauchskontrolle sieht das Gesetz nicht vor. Dennoch ist vorgesehen, dass Justizvollzugsanstalten individuelle Sicherheitsprüfungen vornehmen. Beim Haftantritt wird mit den Inhaftierten ein Gespräch geführt, um die Situation zu bewerten. Dabei kann auch entschieden werden, ob die Person trotz geändertem Eintrag in einer Männeranstalt untergebracht wird, falls eine Gefahr für Mitgefangene besteht.

Darf der alte Name genannt werden?

Das Gesetz enthält ein sogenanntes Offenbarungsverbot. Demnach dürfen frühere Namen oder Geschlechtseinträge nicht offenbart werden. Ausnahmen bestehen nur, wenn ein besonderes öffentliches Interesse vorliegt, etwa in Strafverfahren oder wenn es rechtlich notwendig ist. Im Fall Liebich haben Gerichte und Medien die Ausnahme in Anspruch genommen, da es sich um eine politisch relevante Person handelt.

War der Liebich-Fall der erste prominente Anwendungsfall?

Ja, der Fall Liebich ist einer der ersten prominenten und kontrovers diskutierten Anwendungsfälle des Selbstbestimmungsgesetzes. Er zeigt, wie das Gesetz in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und welche politischen Konflikte daraus entstehen können. Während Befürworter die Ausnahmen betonen, nutzen Kritiker den Fall als Beispiel für die Schwächen des Gesetzes.

Weitere Kritikpunkte aus Politik und Gesellschaft

Neben der Union äußerten auch internationale Beobachterinnen Bedenken. Die UN-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem kritisierte, dass das Gesetz nicht ausreichend Schutz für Frauen und Mädchen biete. Sie warnte davor, dass Täter Zugang zu geschlechtsspezifischen Schutzräumen erhalten könnten. Auch Teile der Ärzteschaft fordern, dass Minderjährige nicht ohne fachärztliche Begutachtung den Geschlechtseintrag ändern dürfen. Der aktuelle Gesetzestext verlangt nur eine allgemeine Beratung, die jedoch inhaltlich nicht näher definiert ist.

Kritiker sehen darin eine „Alibilösung“, die den Schutz junger Menschen nicht ausreichend gewährleistet. Gleichzeitig betonen Befürworter, dass die bisherigen Hürden für trans* Personen eine Form institutionalisierter Diskriminierung darstellten. Hier zeigt sich das Spannungsfeld zwischen Schutzbedürfnissen und Selbstbestimmung.

Statistische Einordnung und europäische Perspektive

Eine europaweite Studie zeigte, dass fast 80 Prozent aller trans Personen in der EU ihren Geschlechtseintrag bisher nicht geändert haben. Grund dafür sind in vielen Ländern hohe bürokratische Hürden, medizinische Zwangsgutachten und Diskriminierung. Deutschland hatte mit dem alten Transsexuellengesetz ähnliche Probleme, die mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz eigentlich behoben werden sollten. Der Fall Liebich verdeutlicht jedoch, wie schwierig die Balance zwischen erleichterter Selbstbestimmung und Missbrauchsverhinderung sein kann.

Der innenpolitische Streit um das Gesetz

Das Innenministerium hatte ursprünglich vorgeschlagen, Änderungen des Geschlechtseintrags automatisch an Sicherheitsbehörden zu melden, um möglichen Missbrauch zu verhindern. Dieser Vorschlag scheiterte jedoch am Datenschutz. Kritiker wie die Union sehen darin eine verpasste Chance, Risiken abzufedern. Befürworter dagegen warnen, dass eine solche Meldepflicht das Gesetz in sein Gegenteil verkehren würde, indem sie das Vertrauen und die Anonymität von Betroffenen untergräbt.

Öffentliche Wahrnehmung und soziale Medien

In sozialen Netzwerken wird der Fall Liebich breit diskutiert. Viele Nutzerinnen und Nutzer sehen darin einen „Stresstest“ für das neue Gesetz. In queeren Foren wird betont, dass es gefährlich sei, einen Missbrauchsfall zu nutzen, um ein dringend benötigtes Gesetz in Misskredit zu bringen. Andere Stimmen wiederum sehen bestätigt, dass das Gesetz zu weit gefasst ist und strengere Auflagen notwendig wären. Die gesellschaftliche Polarisierung zeigt sich damit auch in den digitalen Diskursen.

Ein Gesetz zwischen Fortschritt und Streit

Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Meilenstein für die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen. Es steht jedoch gleichzeitig für die gesellschaftlichen Konflikte über Identität, Sicherheit und Missbrauch. Der Fall Liebich hat gezeigt, wie stark politische Gegner ein Gesetz instrumentalisieren können, um ihre Agenda voranzutreiben. Für die Union ist er ein willkommener Anlass, auf Nachbesserungen zu drängen. Für die Befürworter bleibt er ein Beispiel dafür, dass Einzelfälle nicht den Fortschritt für eine gesamte Bevölkerungsgruppe blockieren dürfen.

Die Diskussion um den Fall Liebich und die Forderungen der Union nach einer Reform des Selbstbestimmungsgesetzes verdeutlichen die Spannungen in der deutschen Gesellschaft. Einerseits besteht ein berechtigtes Interesse an Sicherheit und Missbrauchsschutz, andererseits ein ebenso berechtigtes Recht auf Selbstbestimmung und Menschenwürde. Der Fall zeigt, dass das Gesetz sowohl eine Befreiung als auch eine Angriffsfläche sein kann. Ob es Reformen geben wird, bleibt abzuwarten – sicher ist jedoch, dass das Selbstbestimmungsgesetz auch in den kommenden Jahren im Zentrum politischer und gesellschaftlicher Debatten stehen wird.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.