
Die Aktie des britischen Energieunternehmens BP steht wieder einmal im Rampenlicht. Angetrieben durch Gerüchte über einen möglichen Zusammenschluss mit dem Konkurrenten Shell, massive strategische Kurskorrekturen und eine umstrittene Rückkehr zum klassischen Ölgeschäft fragen sich viele Anleger: Ist BP aktuell ein Geheimtipp oder ein riskantes Investment?
Kursschwankungen und aktuelle Lage
Der Kurs der BP-Aktie hat sich in den letzten Wochen volatil gezeigt. Auf einen kurzfristigen Anstieg von rund sieben Prozent – ausgelöst durch Medienberichte über Übernahmegespräche mit Shell – folgten wiederholte Rücksetzer. Aktuell notiert die Aktie bei rund 30 USD. Besonders auffällig war ein stark erhöhtes Handelsvolumen bei Call-Optionen, das auf ein gestiegenes Anlegerinteresse hinweist.
Technische Indikatoren zeichnen ein durchwachsenes Bild: Während kurzfristige gleitende Durchschnitte ein Verkaufssignal geben, wird der langfristige Trend weiterhin als stabil betrachtet. Analystenmeinungen reichen von vorsichtigen „Hold“-Bewertungen bis hin zu spekulativen Kaufempfehlungen mit moderat erhöhtem Kursziel.
Fusionsgerüchte: Mega-Deal oder Luftnummer?
Im Zentrum der jüngsten Aufmerksamkeit steht die Spekulation um eine mögliche Fusion mit Shell. Laut Medienberichten sollen sich beide Konzerne in frühen Gesprächen befinden, ein offizielles Statement dazu gibt es bislang nicht. Für Anleger wäre eine solche Mega-Fusion eine Zäsur in der europäischen Energiebranche – BP und Shell zählen zu den größten Playern im fossilen Sektor.
Doch es gibt Hürden: Neben regulatorischen Bedenken und möglichen kartellrechtlichen Auflagen stellt vor allem BP’s komplexe Konzernstruktur ein Hindernis dar. Tiefsee-Bohrrechte, LNG-Anlagen und internationale Partnerschaften müssten restrukturiert oder angepasst werden. Auch die hohen Verbindlichkeiten BP’s könnten potenzielle Käufer abschrecken.
Schuldenlast als Risiko
Ein wesentlicher Kritikpunkt an BP ist die hohe Verschuldung. Zwar weist das Unternehmen offiziell eine Nettoverschuldung von rund 27 Milliarden US-Dollar aus. Doch berücksichtigt man hybride Finanzinstrumente, Leasingverpflichtungen und Altlasten wie die Macondo-Katastrophe, ergibt sich ein realistischer Schuldenstand von bis zu 65 Milliarden US-Dollar.
Zum Vergleich: Shell und TotalEnergies agieren mit deutlich niedrigeren Verschuldungsquoten. Dies wirkt sich nicht nur negativ auf die Bilanz aus, sondern beeinflusst auch wichtige Kennzahlen wie EV/DACF (Enterprise Value zu Discounted Asset Cash Flow). Ratingagenturen sehen in der Schuldenstruktur ein zentrales Risiko für zukünftige Investitionen.
Strategiewechsel: Zurück zum Öl
Seit dem Amtsantritt von CEO Murray Auchincloss ist ein deutlicher Strategiewechsel bei BP erkennbar. Während frühere Pläne noch auf einen umfassenden Ausbau erneuerbarer Energien abzielten, hat sich der Konzern inzwischen wieder stark auf fossile Energieträger konzentriert. Investitionen in Solar- und Windenergie wurden zurückgefahren, einige Projekte sogar eingestellt.
Der Fokus liegt nun wieder auf der klassischen Exploration und Produktion von Erdöl und Erdgas. Zusätzlich plant das Unternehmen den Verkauf von Vermögenswerten im Umfang von 20 Milliarden US-Dollar bis 2026, um Schulden abzubauen und Liquidität zu sichern.
„Wir setzen auf stabile Erträge und kontrolliertes Wachstum im Kerngeschäft“, so Auchincloss in einer internen Mitteilung an Investoren.
Dividende, Aktienrückkäufe und Marktverhalten
Trotz Schuldenlast und Kursrückgängen zeigt sich BP aktionärsfreundlich: Das Unternehmen schüttet weiterhin eine vergleichsweise hohe Dividende aus und führt umfangreiche Aktienrückkäufe durch – rund drei Milliarden US-Dollar jährlich. Kritiker bemängeln jedoch, dass diese Mittel besser zur Reduzierung der Verschuldung eingesetzt werden sollten.
Gleichzeitig kämpfen Öl- und Gaspreise mit Volatilität. Der Rohölpreis ist zuletzt von etwa 80 auf 65 USD je Barrel gefallen, was die Gewinnspannen erheblich schmälert. Sollte dieser Trend anhalten, könnten Dividendenausschüttungen und Rückkäufe unter Druck geraten.
Einfluss von Aktivisten und ESG-Debatte
Der Strategiewechsel von BP hat nicht nur interne Kontroversen ausgelöst, sondern auch zu externem Widerstand geführt. Aktionärsgruppen wie „Follow This“ sowie institutionelle Investoren wie Climate Action 100+ kritisieren die Abkehr von den Klimazielen scharf.
Auf der Hauptversammlung im Frühjahr 2025 stimmten 25 Prozent der Aktionäre gegen die Wiederwahl des Vorsitzenden – ein klares Zeichen der Unzufriedenheit. Zudem fordern aktivistische Investoren wie Elliott Management tiefgreifende Reformen, unter anderem drastische Kostensenkungen und einen freien Cashflow von bis zu 20 Milliarden US-Dollar bis 2027.
Nachhaltigkeitschefin tritt zurück
Ein weiteres Signal für den Richtungswechsel war der Rücktritt der Nachhaltigkeitschefin Giulia Chierchia. Ihre Demission wird vielfach als Zeichen dafür gewertet, dass innerhalb des Konzerns der Fokus auf ESG (Environmental, Social, Governance) massiv an Bedeutung verloren hat.
Reputationsrisiken und ethische Kritik
Zusätzlich zur ESG-Kritik gerät BP auch wegen möglicher ethischer Verfehlungen unter Druck. Im Zusammenhang mit einer Lizenzvergabe in Senegal werden aktuell Vorwürfe der Korruption geprüft. Auch ältere Fälle, etwa die Rolle BP’s beim Gefangenenaustausch mit Libyen, werfen Fragen zur politischen Einflussnahme auf.
Solche Themen belasten nicht nur das öffentliche Image, sondern können auch zu juristischen Konsequenzen und potenziellen Strafzahlungen führen – ein weiterer Unsicherheitsfaktor für Anleger.
Performance im Branchenvergleich
Im Vergleich zu anderen Ölkonzernen hinkt BP deutlich hinterher. Während ExxonMobil seit 2020 einen Kursanstieg von über 100 Prozent verzeichnen konnte und auch Chevron rund 55 Prozent zulegte, ist BP mit einem Zuwachs von unter 10 Prozent deutlich abgeschlagen.
Unternehmen | Kursentwicklung seit 2020 | Schulden (geschätzt) | Dividendenrendite |
---|---|---|---|
BP | +9 % | ca. 65 Mrd USD | ~4,3 % |
ExxonMobil | +102 % | ca. 40 Mrd USD | ~3,7 % |
Chevron | +55 % | ca. 32 Mrd USD | ~4,0 % |
TotalEnergies | +37 % | ca. 30 Mrd USD | ~5,0 % |
Fazit: Geheimtipp oder Risiko?
Die BP-Aktie befindet sich derzeit in einem Spannungsfeld aus kurzfristigen Chancen und langfristigen Risiken. Die Spekulation um eine Fusion mit Shell hat das Papier beflügelt – doch die Umsetzung eines solchen Megadeals bleibt ungewiss. Gleichzeitig belastet die hohe Verschuldung die Bilanz und erschwert strategische Flexibilität.
Der Rückzug aus grünen Investitionen mag kurzfristig zur Profitabilität beitragen, stellt jedoch eine klare Abkehr vom langfristigen Trend zur Dekarbonisierung dar – mit ungewissen Folgen für Reputation und regulatorische Rahmenbedingungen.
Für wen ist BP jetzt interessant?
- Value-Investoren: finden in BP eine günstige Bewertung mit attraktiver Dividende – müssen jedoch hohe Schulden akzeptieren.
- Trader: profitieren von kurzfristiger Volatilität durch Übernahmegerüchte.
- Langfristige Anleger: sollten den strategischen Kurswandel und ESG-Faktoren kritisch bewerten.
Ob BP tatsächlich ein Geheimtipp ist, hängt stark vom Risikoprofil des Anlegers ab – und von der Frage, wie glaubwürdig und nachhaltig die Konzernführung ihren neuen Kurs verfolgt.