Bruchsal: Mann filmt tödlichen Unfall auf A5 – und wird dafür verurteilt

In Bruchsal
August 19, 2025

Bruchsal – Ein tragischer Unfall auf der A5 hat nicht nur ein Menschenleben gefordert, sondern auch ein juristisches Nachspiel für einen Unbeteiligten ausgelöst. Ein Mann filmte die dramatische Szenerie mit seinem Smartphone – und wurde jetzt vom Amtsgericht Bruchsal zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Fall wirft ein grelles Licht auf ein Phänomen, das auf deutschen Straßen zunehmend zum Problem wird: das Gaffen.

Ein Todesfall, ein Smartphone – und ein Urteil

Der Vorfall ereignete sich auf der Autobahn A5 bei Bruchsal. Ein schwerer Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang erschütterte nicht nur Angehörige und Einsatzkräfte, sondern auch viele Augenzeugen. Einer davon: ein Mann aus Sinzheim. Statt zu helfen oder sich respektvoll zurückzuziehen, griff er zum Handy und filmte die Unfallstelle. Die Polizei konnte das Verhalten dokumentieren, der Fall landete schließlich vor Gericht. Obwohl der Mann sich entschuldigte und die Aufnahmen nach eigenen Angaben gelöscht hatte, wurde er vom Amtsgericht Bruchsal zu einer Geldstrafe in Höhe von 1.350 Euro verurteilt.

Das Urteil zeigt, dass das bloße Filmen eines Unfalls, selbst ohne Veröffentlichung der Bilder, juristische Konsequenzen haben kann. Besonders dann, wenn es um Szenen mit hilflosen oder verstorbenen Personen geht.

Warum wird Gaffen so hart kritisiert?

Die Diskussion rund um das sogenannte Gaffer-Verhalten ist nicht neu, doch Fälle wie der in Bruchsal machen deutlich, wie tief das Problem reicht. Es geht längst nicht mehr nur um moralische Fragen. Gaffen behindert Rettungseinsätze, verzögert lebenswichtige Maßnahmen und verletzt die Würde von Opfern. Rettungskräfte berichten regelmäßig von erschwertem Zugang zu Unfallstellen – teilweise müssen Sichtschutzwände aufgebaut werden, um Betroffene vor neugierigen Blicken zu schützen.

Auch die Polizei sieht im Gaffen eine ernsthafte Bedrohung: “Gaffer gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch das Leben anderer. Jede Ablenkung an einer Unfallstelle kann fatale Folgen haben”, betonte ein Sprecher der Polizei im Rahmen einer Präventionskampagne.

Was droht, wenn man einen Unfall filmt, ohne zu helfen?

Juristisch betrachtet kann das Verhalten mehrfache Folgen haben. Nach §201a des Strafgesetzbuches ist das Filmen hilfloser oder verstorbener Personen strafbar – auch dann, wenn die Aufnahmen nicht veröffentlicht werden. Hinzu kommt §323c StGB: Wer keine Hilfe leistet, obwohl sie möglich und zumutbar wäre, macht sich ebenfalls strafbar.

Das bedeutet konkret: Wer filmt statt hilft, riskiert Geldstrafen oder sogar Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren. Im Fall des Mannes aus Bruchsal blieb es bei einer Geldstrafe, doch das Urteil ist ein deutliches Signal.

Psychologie des Gaffens: Warum schauen Menschen hin?

Die Frage, warum Menschen in solchen Situationen nicht wegsehen können, beschäftigt auch die Wissenschaft. Psycholog:innen und Soziolog:innen erklären das Verhalten mit evolutionären und sozialen Mechanismen. “Früher war es überlebenswichtig, Gefahren zu erkennen und daraus zu lernen”, erklärt Verkehrspsychologe Haiko Ackermann. “Heute wird diese natürliche Schaulust durch soziale Medien verstärkt. Das Handy wird zur Bühne, der Gaffer zum Regisseur.”

Auch Dopamin spielt eine Rolle. Beim Filmen und anschließenden Teilen von Aufnahmen wird das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert – ähnlich wie bei einem Like auf Social Media. Gaffen ist also in vielen Fällen nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch ein Ausdruck der digitalen Selbstinszenierung.

Welche Strafen drohen Gaffern konkret?

Die Bandbreite der Sanktionen reicht von Bußgeldern bis zu Freiheitsstrafen. In der folgenden Tabelle sind typische Verstöße und deren Konsequenzen aufgeführt:

VerstoßStrafrechtliche GrundlageMögliche Strafe
Filmen hilfloser/verstorbener Personen§201a StGBBis zu 2 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe
Unterlassene Hilfeleistung§323c StGBBis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe
Behinderung von RettungskräftenVerkehrsrechtlichBußgeld bis 1.000 Euro + Punkte
Gaffen auf der GegenfahrbahnVerkehrsordnungswidrigkeit70–100 Euro + 1 Punkt

Darf die Polizei das Handy von Gaffern beschlagnahmen?

Ja. Wenn ein konkreter Verdacht besteht, dass Aufnahmen gemacht wurden, die unter §201a StGB fallen, darf die Polizei das Handy zur Beweissicherung beschlagnahmen. In besonders schweren Fällen kann das Gerät dauerhaft eingezogen werden. Die Praxis zeigt jedoch: Nicht alle Einsatzkräfte nutzen diese Möglichkeit konsequent. In vielen Fällen fehlt es schlicht an Personal oder rechtzeitiger juristischer Begleitung vor Ort.

Wie reagieren Justiz und Politik?

Die Justiz hat in den vergangenen Jahren reagiert. Seit dem 1. Januar 2021 ist es explizit strafbar, auch verstorbene Personen zu fotografieren oder zu filmen – ein rechtlicher Meilenstein. Politisch fordern Verbände wie die Deutsche Polizeigewerkschaft inzwischen härtere Maßnahmen, darunter Fahrverbote für ertappte Gaffer. Auch Angehörige von Unfallopfern sprechen sich öffentlich für drastischere Strafen aus.

Parallel setzen viele Bundesländer auf Prävention: Mobile Sichtschutzwände, Aufklärungskampagnen und Anti-Gaffer-Spots sollen das Bewusstsein schärfen. Der Kurzfilm „Sei kein Gaffer“ wurde millionenfach angesehen und ist heute Bestandteil in der Ausbildung von Polizei und Feuerwehr.

Wie hoch können Bußgelder für Gaffer in Deutschland sein?

Die Bußgelder variieren je nach Bundesland und Schwere des Verstoßes. In vielen Fällen bewegen sich die Summen zwischen 100 und 1.000 Euro. In besonders drastischen Fällen, etwa bei blockierten Rettungswegen oder gefährlichem Verhalten im Straßenverkehr, können sogar bis zu 5.000 Euro fällig werden. Zusätzlich drohen Punkte in Flensburg oder der Entzug der Fahrerlaubnis.

Wie kann man Gaffer-Verhalten verhindern?

Prävention beginnt bei der Erziehung. Polizei, Schulen und Verkehrssicherheitskampagnen setzen verstärkt auf Aufklärung. Die Kampagne „Be Smart! Mobil“ warnt mit eindringlichen Bildern und Texten vor den Folgen des Gaffens. Wichtig sei, sagt eine Sprecherin, “nicht nur zu wissen, was verboten ist, sondern zu verstehen, warum es verboten ist.”

Auch die Zivilgesellschaft ist gefragt: Wer Gaffer beobachtet, kann dies bei der Polizei melden. In akuten Fällen können auch andere Verkehrsteilnehmer einschreiten – mit Bedacht und ohne sich selbst zu gefährden.

Warum wird Gaffen trotz Hilfeleistungsbedarf stark kritisiert?

Weil es im Kern nicht nur moralisch, sondern auch praktisch gefährlich ist. Jeder Blick durch die Kameralinse, jeder gezielte Schritt in Richtung Unfallstelle kann Leben kosten – das der Opfer, der Helfer oder des Gaffers selbst. Die öffentliche Kritik an solchen Verhaltensweisen ist daher nicht übertrieben, sondern notwendig.

Ein gesellschaftliches Problem mit juristischen Konsequenzen

Der Fall in Bruchsal steht exemplarisch für ein Phänomen, das in Deutschland zunehmend sichtbar wird. Der Griff zum Handy wird für viele zur Reflexhandlung – selbst in Momenten, in denen Menschlichkeit gefragt ist. Die Verurteilung des Mannes aus Sinzheim ist nicht nur juristisch korrekt, sondern auch ein wichtiges Signal an die Gesellschaft.

Jeder Unfall ist eine Tragödie. Für die Betroffenen, die Angehörigen – aber auch für jene, die helfen wollen. Gaffer dagegen nehmen Leid in Kauf, um ihre Neugier zu befriedigen oder sich digital zu profilieren. Das darf nicht zur Normalität werden.

Deshalb braucht es weitergehende Aufklärung, konsequente Ahndung und gesellschaftliche Ächtung solchen Verhaltens. Denn Respekt, Empathie und Zivilcourage sollten an der Unfallstelle das erste sein, was Menschen zeigen – nicht ihr Smartphone.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.