E-Scooter in der Kritik Forscher schlagen Alarm: Mehr E-Scooter-Unfälle – Ruf nach Führerschein und Altersgrenze wird lauter

In Politik
Oktober 12, 2025

Berlin. Immer mehr Menschen in Deutschland nutzen E-Scooter, doch die steigende Zahl schwerer Unfälle ruft Experten auf den Plan. Forscher fordern strengere Regeln, darunter eine Führerscheinpflicht und eine Anhebung des Mindestalters. Neue Zahlen belegen: Das Trendfahrzeug birgt mehr Risiken, als viele annehmen.

Ein Boom mit Schattenseiten

Seit ihrer Einführung im Jahr 2019 haben E-Scooter das Stadtbild vieler deutscher Metropolen verändert. Sie gelten als flexible und umweltfreundliche Alternative zum Auto. Doch mit der wachsenden Beliebtheit steigt auch die Zahl der Unfälle deutlich an. Laut aktuellen Polizeistatistiken kam es 2024 zu rund 12.000 Unfällen mit Personenschaden – ein Anstieg um fast 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders alarmierend: 27 Menschen verloren dabei ihr Leben, deutlich mehr als in den Jahren zuvor.

Der Trend ist klar: Mit jedem Jahr verzeichnen Behörden mehr Verletzte und tödliche Unfälle. Fachleute sehen die Hauptursachen in mangelnder Fahrpraxis, zu geringen technischen Standards und fehlendem Verantwortungsbewusstsein vieler Nutzer. Die Diskussion um eine mögliche Führerscheinpflicht für E-Scooter-Fahrer nimmt daher an Fahrt auf.

Warum Forscher strengere Regeln fordern

„E-Scooter sind keine Spielzeuge, sondern motorisierte Fahrzeuge, die bei falscher Nutzung gefährlich werden können“, warnt ein Verkehrsforscher der Technischen Universität Dresden. Die Experten schlagen eine verpflichtende Mofa-Prüfbescheinigung oder sogar einen kleinen Führerschein der Klasse AM vor. Zudem soll das Mindestalter von derzeit 14 Jahren auf 15 oder 16 Jahre angehoben werden. Der Grund: Besonders junge Fahrer sind laut Statistik überdurchschnittlich häufig in Unfälle verwickelt – fast die Hälfte aller Verletzten ist unter 25 Jahre alt.

Führerscheinpflicht: sinnvoll oder übertrieben?

Viele Bürger fragen sich: „Brauche ich überhaupt einen Führerschein, um in Deutschland einen E-Scooter zu fahren?“ Derzeit lautet die Antwort: Nein. Für zugelassene Elektrokleinstfahrzeuge mit maximal 20 km/h Höchstgeschwindigkeit ist keine Fahrerlaubnis nötig. Doch genau diese Regelung könnte sich bald ändern. Verkehrsforscher argumentieren, dass eine Schulung in Verkehrsregeln und Fahrsicherheit Leben retten könnte. Denn rund 80 Prozent der Unfälle entstehen ohne Fremdbeteiligung – der Fahrer stürzt allein, oft wegen Bordsteinen, Unebenheiten oder zu hoher Geschwindigkeit.

Technische Defizite und Infrastrukturprobleme

Auch die Technik der E-Scooter steht in der Kritik. Viele Modelle verfügen über kleine Räder mit nur acht Zoll Durchmesser, was das Risiko von Stürzen auf unebenen Straßen erhöht. Experten empfehlen eine Mindestgröße von zehn Zoll für mehr Stabilität. Gleichzeitig fordern sie eine bessere Infrastruktur: separate Fahrspuren, glattere Beläge und klar markierte Abstellzonen. Eine Studie aus europäischen Großstädten belegt, dass Städte mit gut ausgebauter Radinfrastruktur deutlich weniger E-Scooter-Unfälle verzeichnen.

Wenn Freizeit zur Gefahr wird: Alkohol und Nachtfahrten

Ein weiteres Problemfeld ist der Alkoholkonsum. „Welche Promillegrenze gilt beim Fahren mit dem E-Scooter?“ – dieselbe wie beim Auto. Bereits ab 0,5 Promille drohen Bußgelder, Punkte und Fahrverbote. Trotzdem sind nächtliche Touren unter Alkoholeinfluss keine Seltenheit. Klinische Untersuchungen zeigen: Die meisten schweren Unfälle ereignen sich nachts und am Wochenende, häufig bei männlichen Fahrern. Besonders Kopfverletzungen dominieren das Unfallgeschehen – fast die Hälfte aller E-Scooter-Verletzten erleidet ein Trauma im Gesichts- oder Schädelbereich.

Statistische Einordnung

JahrUnfälle mit PersonenschadenTodesfälleSteigerung zum Vorjahr
20228.26022+49 %
20239.42522+14 %
202411.94427+26,7 %

Gesetzgeber unter Druck

Die Bundesregierung reagiert auf die zunehmende Kritik. Ab 2027 sollen neue E-Scooter mit Blinkern ausgestattet werden müssen. Auch härtere Strafen für Fahren auf Gehwegen oder die Mitnahme von Beifahrern sind im Gespräch. Zudem sollen Kommunen künftig mehr Befugnisse erhalten, um das Abstellen der Roller zu regeln. Eine generelle Führerscheinpflicht wird bislang zwar geprüft, stößt aber auf Widerstand der Anbieter und einiger Nutzergruppen.

Die Rolle der Sharing-Anbieter

Einen erheblichen Anteil an den Unfällen tragen Leihfahrzeuge. Sharing-Anbieter stellen ihre Flotten oft unkontrolliert ab, was zu chaotischen Zuständen in Innenstädten führt. Die E-Scooter werden häufig von Touristen genutzt, die mit den Verkehrsregeln nicht vertraut sind. Ein Vertreter eines großen Anbieters räumt ein: „Wir sehen Handlungsbedarf – aber eine Führerscheinpflicht würde unser Geschäftsmodell stark einschränken.“ Stattdessen setzen viele Betreiber auf In-App-Schulungen und nächtliche Sperrzeiten, um riskante Fahrten zu verhindern.

Risiko Tuning: Wenn Tempo teuer wird

In Online-Foren und sozialen Medien berichten Nutzer regelmäßig über sogenanntes „Tuning“ von E-Scootern. Dabei werden Geschwindigkeitsbegrenzer deaktiviert oder Motoren aufgerüstet. „Wie wirkt sich Tuning von E-Scootern auf die Zulassung aus?“ – Wird ein Fahrzeug modifiziert und überschreitet 20 km/h, verliert es seine Straßenzulassung. Es gilt dann nicht mehr als Elektrokleinstfahrzeug, sondern als Kraftfahrzeug – mit allen Konsequenzen: Versicherungspflicht, Kennzeichen, Führerscheinanforderung. Verstöße können zur Beschlagnahmung oder sogar zur Vernichtung des Fahrzeugs führen. Die Polizei berichtet von steigenden Zahlen illegal getunter Scooter, insbesondere in Großstädten.

Rechtliche Grauzonen und Fehlannahmen

Viele Fahrer wissen nicht, dass E-Scooter grundsätzlich nicht auf dem Gehweg fahren dürfen. In Foren kursieren Gerüchte, wonach langsames Fahren unter 12 km/h erlaubt sei – ein Irrglaube. Laut Straßenverkehrsordnung sind Radwege oder die Fahrbahn vorgeschrieben. Diese Unsicherheiten zeigen, dass Aufklärung und klare Regeln dringend nötig sind.

Internationale Perspektiven und Studien

Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt: Andere Länder reagieren bereits. In Norwegen, Frankreich und Spanien gibt es teils Führerschein- oder Schulungspflichten für E-Scooter-Fahrer. Eine EU-weite Studie schlägt einheitliche Sicherheitsstandards vor – von Mindest-Raddurchmessern bis zu verpflichtenden Rückspiegeln. Eine europaweite Harmonisierung der Regeln könnte nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch den grenzüberschreitenden Verkehr erleichtern.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

Eine aktuelle Studie mit sogenannten „Naturalistic Driving Data“ – also echten Fahrdaten aus Städten – identifizierte typische Risikofaktoren: unebene Straßen, schlechte Beleuchtung, riskantes Fahrverhalten und unzureichende Infrastruktur. Besonders riskant sind Kurvenmanöver bei nassem Untergrund. Eine andere Untersuchung belegt, dass nächtliche Fahrverbote die Unfallzahlen um bis zu 64 Prozent senken können, auch wenn die Schwere der Verletzungen weitgehend gleich bleibt.

Verletzungsmuster und medizinische Folgen

Medizinische Studien zeigen ein klares Bild: Zwischen 38 und 46 Prozent der Verletzten erleiden Kopf- und Gesichtsverletzungen, häufig durch Stürze ohne Helm. Alkohol erhöht das Risiko schwerer Kopfverletzungen deutlich. Im internationalen Vergleich ähneln die Verletzungsmuster denen von Fahrrad- und Motorradunfällen. In einzelnen Kohortenstudien lag die Sterblichkeitsrate bei E-Scooter-Unfällen bei über 9 Prozent – vergleichbar mit Fahrrädern.

Was tun nach einem E-Scooter-Unfall?

Viele Nutzer fragen: „Was sind typische erste Schritte nach einem E-Scooter-Unfall?“ Wichtig ist, sofort Erste Hilfe zu leisten, die Unfallstelle zu sichern und den Notruf zu wählen. Fotos vom Unfallort, Daten der Beteiligten und Zeugenaussagen helfen später bei der Klärung. Auch eine medizinische Untersuchung sollte immer erfolgen, selbst wenn die Verletzung zunächst harmlos erscheint. Kopfverletzungen zeigen oft erst verzögert Symptome.

Tipps zur sicheren Nutzung

  • Helm tragen – auch wenn keine Pflicht besteht.
  • Keine Mitfahrer transportieren.
  • Auf Fahrbahnbeschaffenheit und Hindernisse achten.
  • Nachts Sichtbarkeit durch reflektierende Kleidung erhöhen.
  • Nie alkoholisiert fahren – Promillegrenzen gelten wie beim Auto.

Reform oder Rückschritt?

Ob eine Führerscheinpflicht kommt, ist noch offen. Experten sind sich jedoch einig, dass die aktuelle Regelung Lücken aufweist. Zu viele Menschen nutzen E-Scooter ohne Verständnis für Verkehrsregeln oder Gefahrenbewusstsein. Strengere technische Normen, verpflichtende Sicherheitsschulungen und gezielte Kontrollen könnten helfen, die Unfallzahlen zu senken, ohne die Mobilitätsfreiheit einzuschränken.

Am Ende steht die Verantwortung jedes Einzelnen

E-Scooter sind gekommen, um zu bleiben – als Teil der urbanen Mobilität. Doch sie verlangen Umsicht, Wissen und Rücksichtnahme. Der aktuelle Anstieg der Unfallzahlen zeigt, dass Deutschland in puncto Regelwerk und Aufklärung noch Nachholbedarf hat. Ob künftig eine Führerscheinpflicht eingeführt wird oder nicht, hängt letztlich davon ab, wie sich Nutzer, Städte und Anbieter verhalten. Eines ist klar: Sicherheit darf kein Nebenthema bleiben, wenn E-Scooter dauerhaft ein Teil des modernen Straßenbildes sein sollen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.