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Fehlende Artikel im Regal – Kommende Insolvenz trifft Aldi, Lidle und auch Edeka

In Aktuelles
Juni 10, 2025

CCS, 10. Juni 2025, 10:45 Uhr

Ein Lieferant für Lebensmittel, ein wichtiger Partner für den deutschen Lebensmitteleinzelhandel, hat Ende April 2025 beim Amtsgericht Kempten ein Schutzschirmverfahren eingeleitet. Damit steht das Unternehmen zwar formal vor der Insolvenz, versucht jedoch in Eigenverwaltung eine umfassende Sanierung, um sich langfristig neu aufzustellen. Betroffen sind nicht nur rund 400 Mitarbeitende, sondern auch zahlreiche Einzelhändler wie Aldi, Lidl, Kaufland, Rewe und Edeka, die einen erheblichen Teil ihrer Fleisch- und Wurstwaren von dem regionalen Produzenten beziehen.

Ein Blick auf das Unternehmen: Tradition trifft Moderne

Das Unternehmen ist nicht nur ein einfacher Lebensmittelverarbeiter, sondern entstand durch den Zusammenschluss mehrerer traditionsreicher Metzgereien wie Reiter, Hans Dietz und Feneberg-Metzgereien. Das Unternehmen vereint klassische Handwerkskunst mit modernen Standards in der Produktion und Vermarktung regionaler und biologischer Fleischwaren.

Um wen handelt es sich genau?

Die Produktionsstandorte befinden sich in Kempten (Allgäu) und Schopfloch (Schwarzwald), mit einer Belegschaft von rund 400 Personen. In den letzten Jahren hat sich Allgäu Fresh Foods GmbH verstärkt auf Qualität und Regionalität konzentriert – ein Geschäftsmodell, das sich laut Experten zunehmend als risikobehaftet erweist, wenn gleichzeitig Preisbewusstsein bei Konsumentinnen und Konsumenten steigt.

Sanierung durch Schutzschirm: Was bedeutet das?

Mit dem beantragten Schutzschirmverfahren nach § 270d InsO verfolgt das Unternehmen das Ziel, unter gerichtlichem Schutz eine Sanierung in Eigenregie durchzuführen. Es handelt sich dabei um ein spezielles Insolvenzverfahren, das gut geführten Unternehmen mit Sanierungsperspektive die Möglichkeit gibt, ihre Geschäftsstruktur zu überarbeiten, ohne sofort liquidiert zu werden. Die Restrukturierung wird juristisch durch GRUB BRUGGER und betriebswirtschaftlich durch Rödl & Partner begleitet – beide gelten als erfahrene Partner in vergleichbaren Großverfahren.

Gläubiger signalisieren Zustimmung

Nach Unternehmensangaben gibt es eine hohe Bereitschaft der Gläubiger – darunter auch die Agentur für Arbeit und der Pensionssicherungsverein –, den eingeschlagenen Weg aktiv zu begleiten. Dies gilt als positives Signal für eine realistische Sanierung. Die Löhne der Mitarbeitenden sind über das Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit bis Ende Juli gesichert, wobei das Unternehmen sogar im April eine Lohnerhöhung von fünf Prozent umsetzte. Dies wird von Beobachtern als Zeichen gewertet, dass die Geschäftsleitung nicht auf kurzfristige Einsparungen, sondern auf nachhaltige Bindung der Belegschaft setzt.

Betroffene Einzelhändler: Aldi, Lidl, Kaufland und Edeka

Besonders im Fokus stehen die Handelsketten, die große Teile ihrer Fleischwaren von Allgäu Fresh Foods beziehen. Rund 60 % der Produktion gehen direkt an Aldi, Lidl, Rewe, Kaufland und weitere Partner. Zusätzlich beliefert AFF die eigene Muttergesellschaft Feneberg, die wiederum als Edeka-Partner im süddeutschen Raum aktiv ist.

Diese enge Verzahnung mit der Lebensmittelversorgung stellt potenzielle Risiken dar, sollte das Schutzschirmverfahren nicht wie geplant verlaufen. Bislang aber ist die Versorgung gesichert, alle Verträge laufen weiter und es gibt keine Hinweise auf bevorstehende Lieferausfälle. Dennoch könnten künftige Neuverhandlungen einzelner Kontrakte zur Reduktion von Volumen oder Preisnachlässen führen.

Mögliche Konsequenzen im Supermarktregal

  • Sortimentsänderungen in bestimmten Produktgruppen
  • Temporäre Umstellung auf andere Lieferanten bei Frischfleisch
  • Reduktion regionaler Bio-Angebote

Marktbeobachter weisen jedoch darauf hin, dass die Supermärkte frühzeitig informiert wurden und vorausschauend agieren könnten. Kunden dürften Veränderungen eher subtil als offensichtlich wahrnehmen.

Warum kam es zur Krise?

Die Ursachen für den Insolvenzantrag sind vielschichtig. Geschäftsführer Stephan Leibold nennt eine Kombination aus zu hohen Produktionskosten, verfehlter Preisdurchsetzung am Markt und verlustreichen Einzelaufträgen. „Endkunden sind nicht bereit, die Preise zu bezahlen, die wir für unsere hochwertigen Produkte brauchen“, erklärt Leibold.

Die Lage spiegelt die strukturelle Krise im deutschen Fleischverarbeitungssektor wider. Während Verbraucherpreise stagnieren oder sogar sinken, steigen gleichzeitig die Kosten für Energie, Personal und Logistik. Für Betriebe, die auf Qualität, Regionalität und Nachhaltigkeit setzen, entstehen dadurch enorme Wettbewerbsnachteile.

Ein Blick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

FaktorAuswirkung auf AFF
Steigende EnergiepreiseHöhere Produktionskosten
PersonalkostenTarifliche Anpassungen bei gleichzeitiger Preiskonkurrenz
Preisdruck im LebensmitteleinzelhandelWeniger Spielraum für hochwertige Produkte
NachfrageverlagerungMehr Konsum von Billigware

Regionale Verantwortung & soziale Verankerung

Allgäu Fresh Foods ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Akteur. Durch die Fusion regionaler Metzgereien ist das Unternehmen tief im Allgäu und im Schwarzwald verankert. Zahlreiche kleine Zulieferbetriebe, Familienunternehmen und Logistikpartner sind indirekt betroffen. Ein Scheitern des Sanierungsplans hätte daher nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für das regionale Netzwerk spürbare Folgen.

Wertschöpfung bleibt in der Region

Die Philosophie von AFF betont Regionalität, Bio-Qualität und Nachhaltigkeit. Das Unternehmen wurde mehrfach mit dem DLG-Preis für langjährige Produktqualität ausgezeichnet. Das Geschäftsmodell entspricht somit gängigen ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance), die auch in der Lebensmittellogistik zunehmend Relevanz gewinnen. Im aktuellen Verfahren könnte genau dieser Aspekt für Investoren und Partner zum Hoffnungsschimmer werden.

Sanierungsstrategie: Qualität erhalten, Struktur anpassen

Die neue Geschäftsführung unter Stephan Leibold plant eine umfassende Umstrukturierung. Ziel ist, unrentable Einzelaufträge zu beenden, das Produktportfolio zu verschlanken und sich stärker auf margenstärkere Segmente zu fokussieren. Dabei sollen weder Arbeitsplätze abgebaut noch Produktionsstandorte geschlossen werden.

„Wir wollen die Arbeitsplätze sichern, die Qualität beibehalten und uns wirtschaftlich neu aufstellen“, so Leibold.

Planung bis Herbst 2025

Die Dauer des Schutzschirmverfahrens ist auf wenige Monate angesetzt. Bis zum Herbst 2025 soll der Insolvenzplan mit den Gläubigern abgestimmt und beim Gericht eingereicht werden. Bei erfolgreicher Umsetzung könnte das Unternehmen ab Ende des Jahres wieder ohne gerichtliche Aufsicht operieren – mit einem gestrafften Geschäftsmodell und gestärkter Marktposition.

Ein Neustart mit Chancen und Risiken

Allgäu Fresh Foods steht stellvertretend für viele mittelständische Lebensmittelproduzenten, die zwischen Preisdruck und Qualitätsanspruch aufgerieben werden. Das Schutzschirmverfahren gibt dem Unternehmen Zeit und Raum, notwendige Veränderungen umzusetzen, ohne sofort Insolvenzmasse zu werden.

Die kommenden Monate werden zeigen, ob das Management, die Gläubiger und die Kunden gemeinsam an einem Strang ziehen – und ob es gelingt, ein regional bedeutendes Unternehmen in einer schwierigen Marktphase zu stabilisieren. Für Verbraucherinnen und Verbraucher heißt das vorerst: Fleischprodukte von AFF bleiben in den Regalen – die Zukunft aber wird hinter den Kulissen entschieden.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.