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Berlin, 10. November 2025 – Es war ein grauer Montagmorgen, als Sahra Wagenknecht vor die Presse trat. Ein kurzer Moment der Stille, dann die Worte, die viele erwartet, aber nur wenige wirklich geglaubt hatten: Sie gibt den Vorsitz ihrer eigenen Partei ab. Mit ruhiger Stimme sprach sie von einem „nächsten Schritt“ – und davon, die programmatische Arbeit künftig in den Mittelpunkt zu stellen. Für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) markiert dieser Tag eine Zäsur.
Ein Rückzug – aber kein Abschied
Wagenknecht, die Gründerin und Namensgeberin des Bündnis Sahra Wagenknecht, erklärte in Berlin, sie werde den Parteivorsitz abgeben, sich aber weiterhin aktiv einbringen. Ihr Ziel: der Aufbau und die Leitung einer neuen Grundwertekommission, die künftig die inhaltliche Ausrichtung des BSW prägen soll. Von einem Rückzug aus der Politik könne keine Rede sein, betonte sie mehrfach.
Die bisherige Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali und der Europaabgeordnete Fabio De Masi sollen künftig die Parteiführung als Doppelspitze übernehmen. Damit endet eine Phase, in der Wagenknecht gleichzeitig Symbolfigur und organisatorisches Zentrum der Partei war. Der Parteiname soll zwar das Kürzel BSW behalten, künftig aber nicht mehr für „Bündnis Sahra Wagenknecht“ stehen – vorgeschlagen wurde „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“.
Ein Schritt mit Ansage
Bereits in den Wochen zuvor war über mögliche personelle Veränderungen spekuliert worden. Innerhalb der Partei kursierten Berichte, wonach sich Wagenknecht stärker aus dem Tagesgeschäft zurückziehen und eine strategischere Rolle übernehmen wolle. In mehreren Interviews sprach sie davon, „das Profil des BSW zu schärfen“ und „die inhaltliche Linie zu festigen“. Das deckt sich mit Einschätzungen politischer Beobachter, die den Schritt als Versuch werten, Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen.
Nach Angaben aus Parteikreisen soll Wagenknecht den neuen Vorsitzenden beratend zur Seite stehen. Ihr Einfluss bleibt damit erheblich – auch wenn sie formal keine Führungsposition mehr innehat.
BSW in der Krise
Die Entscheidung fällt in einer schwierigen Phase. In bundesweiten Umfragen liegt das BSW derzeit bei drei bis vier Prozent – weit entfernt von der angestrebten Etablierung als politische Kraft jenseits der klassischen Parteien. Bei der Bundestagswahl hatte die Partei knapp die Fünf-Prozent-Hürde verpasst. Auch intern gibt es Spannungen über den Kurs, insbesondere über die Themen Migration und Außenpolitik.
Parteitag und Neuwahlen des Präsidiums sind für Anfang Dezember in Magdeburg geplant. Dort soll nicht nur die neue Führung bestätigt, sondern auch über die Namensänderung entschieden werden. Beobachter erwarten, dass der Parteitag zu einer Richtungsentscheidung für die Zukunft des BSW werden könnte.
Reaktionen aus Partei und Netz
Auf sozialen Plattformen sorgte die Ankündigung für ein gemischtes Echo. Unter dem offiziellen Statement auf X (vormals Twitter) lobten Anhänger Wagenknecht für „politische Konsequenz und Weitblick“. Kritische Stimmen warfen ihr hingegen vor, zu spät auf die schlechten Wahlergebnisse reagiert zu haben. In Reddit-Foren wurde diskutiert, ob das BSW ohne die charismatische Gründerin an Profil verlieren könnte. Einige Mitglieder in parteinahen Gruppen sehen die Veränderung dagegen als „Chance für einen Neuanfang“.
Auch der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne von der Technischen Universität Chemnitz sieht die Entwicklung differenziert: Wagenknecht bleibe „eine sehr einflussreiche Person“, selbst wenn sie sich aus der ersten Reihe zurückziehe. Ihr Rückzug sei weniger ein Machtverlust als eine strategische Neupositionierung.
Wählerstruktur und strategische Bedeutung
Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung liefert interessante Einblicke in das Wählerprofil der Partei. Demnach stammen die meisten Unterstützerinnen und Unterstützer des BSW aus sozial schwächeren Milieus, häufig mit niedrigerem Einkommen und geringem Vertrauen in klassische Institutionen. Inhaltlich steht das BSW laut Studie für eine „ökonomisch linke, gesellschaftlich konservative“ Mischung – ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Parteiensystem.
Dieses Profil könnte der Partei langfristig helfen, sich zwischen SPD, Linken und AfD zu positionieren. Wagenknechts Rückzug von der Spitze ändert daran vorerst wenig – sie bleibt das Gesicht der Bewegung, wenn auch aus dem Hintergrund.
Zwischen Rückhalt und Risiko
Politisch steht das BSW nun an einem Scheideweg. Während die neue Doppelspitze Stabilität versprechen soll, hängt die öffentliche Wahrnehmung der Partei weiterhin stark an der Person Wagenknecht. Die Umbenennung und die geplante programmatische Neuausrichtung werden zeigen, ob die Partei ohne den prägenden Namen langfristig bestehen kann. Parteiintern wird bereits über eine Modernisierung der Strukturen und den Ausbau digitaler Kommunikationskanäle gesprochen, um neue Wählergruppen anzusprechen.
Ausblick auf eine neue Phase des BSW
Die kommenden Wochen dürften entscheidend sein: Mit dem Parteitag in Magdeburg, der neuen Doppelspitze und der Grundwertekommission beginnt eine neue Etappe. Wagenknecht selbst hat angekündigt, sich künftig „auf das Schärfen des programmatischen Profils“ zu konzentrieren – ein Hinweis darauf, dass sie das Ruder inhaltlich keineswegs aus der Hand gibt.
Ob das BSW den Schritt von einer stark personalisierten Bewegung hin zu einer dauerhaften politischen Kraft schafft, bleibt offen. Sicher ist nur: Der Rückzug der Parteigründerin markiert das Ende einer ersten Ära – und den Beginn einer neuen, in der sich zeigen wird, ob das Bündnis ohne die Strahlkraft seiner Namensgeberin bestehen kann.

































