Bundeskabinett entscheidet Wenn Klagen zu Drohmitteln werden: Mehr Schutz gegen Einschüchterung per Klage

In Politik
Dezember 15, 2025

BERLIN, 12. Dezember 2025 – Im politischen Berlin ging es an diesem Mittwoch um mehr als um Paragrafen und Verfahrensfragen. Es ging um die Verteidigung öffentlicher Debattenräume, um Pressefreiheit und um die Frage, wie verletzlich demokratische Teilhabe gegenüber juristischem Druck geworden ist. Mit einem Kabinettsbeschluss setzt die Bundesregierung ein Zeichen gegen Einschüchterung per Klage – und reagiert damit auf eine Entwicklung, die europaweit Sorge bereitet.

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der den Schutz vor sogenannten Einschüchterungsklagen deutlich stärken soll. Gemeint sind strategisch eingesetzte Klagen, die nicht auf rechtlichen Erfolg zielen, sondern darauf, Kritikerinnen und Kritiker einzuschüchtern, finanziell zu belasten oder zum Schweigen zu bringen. Diese Praxis, international als SLAPP-Klagen bekannt, richtet sich häufig gegen Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftler, Aktivisten oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die Missstände öffentlich benennen.

Der nun beschlossene Entwurf setzt eine EU-Richtlinie in deutsches Recht um. Ziel ist es, missbräuchliche Verfahren schneller zu erkennen, Gerichte zu entlasten und Betroffene wirksamer zu schützen. Damit reagiert die Bundesregierung auf wachsende Hinweise, dass Einschüchterung per Klage zunehmend als Mittel genutzt wird, um kritische Berichterstattung und öffentliche Beteiligung zu unterdrücken.

Einschüchterungsklagen als demokratisches Risiko

Einschüchterungsklagen sind juristische Verfahren mit einer klaren strategischen Funktion: Sie sollen Angst erzeugen. Oft werden sie von wirtschaftlich oder politisch mächtigen Akteuren angestrengt, die über erhebliche finanzielle Ressourcen verfügen. Den Beklagten stehen dagegen häufig begrenzte Mittel zur Verfügung. Selbst wenn die Klagen inhaltlich schwach sind, entfalten sie Wirkung – durch Prozesskosten, Zeitverlust und psychischen Druck.

Gerade im Journalismus entfalten solche Verfahren eine sogenannte „abschreckende Wirkung“. Redaktionen wägen ab, ob kritische Recherchen das Risiko kostspieliger Auseinandersetzungen rechtfertigen. Ähnliches gilt für Umweltinitiativen, lokale Bürgerbündnisse oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in gesellschaftliche Debatten einbringen. Einschüchterungsklagen greifen damit nicht nur einzelne Personen an, sondern wirken strukturell auf den öffentlichen Diskurs.

Der Gesetzentwurf im Kern

Der Kabinettsbeschluss sieht mehrere gezielte Änderungen im Zivilprozessrecht vor. Sie sollen Gerichten ermöglichen, missbräuchliche Klagen frühzeitig zu identifizieren und deren Wirkung zu begrenzen. Zu den zentralen Elementen zählen:

  • eine beschleunigte gerichtliche Prüfung bei Verdacht auf Einschüchterungsklagen, um lange Verfahren von Beginn an zu verhindern,
  • die Möglichkeit, Klägerinnen und Kläger zur Hinterlegung einer Sicherheit für Prozess- und Verteidigungskosten zu verpflichten,
  • zusätzliche gerichtliche Gebühren bei offensichtlich missbräuchlicher Klageführung,
  • erweiterte Ansprüche der Beklagten auf Kostenerstattung.
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Diese Instrumente sollen das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Parteien ausgleichen und verhindern, dass allein finanzielle Stärke als Druckmittel genutzt werden kann. Einschüchterung per Klage soll dadurch an Attraktivität verlieren.

Begrenzter Anwendungsbereich

Der Gesetzentwurf gilt ausschließlich für Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Europäischen Union. Rein innerstaatliche Streitigkeiten bleiben vorerst außen vor. Die Bundesregierung folgt damit dem Wortlaut der EU-Richtlinie, stößt jedoch zugleich eine Debatte an: Denn viele bekannte Einschüchterungsklagen spielen sich vollständig im nationalen Rahmen ab.

Kritiker sehen darin eine Schwäche der Regelung. Befürworter verweisen hingegen darauf, dass der Beschluss einen ersten rechtlichen Rahmen schafft, der perspektivisch ausgeweitet werden könnte. Wie häufig die neuen Regeln in der Praxis zur Anwendung kommen, wird maßgeblich davon abhängen, wie Gerichte den Begriff der Einschüchterungsklage auslegen.

Politische Einordnung und Motivation

Aus Sicht der Bundesregierung ist der Schritt notwendig, um demokratische Grundrechte zu schützen. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig betonte im Zusammenhang mit dem Kabinettsbeschluss, dass Einschüchterungsklagen eine reale Gefahr für Meinungsfreiheit und öffentliche Beteiligung darstellen. Das bestehende Prozessrecht biete zwar Ansatzpunkte, reiche aber nicht aus, um gezielt gegen strategischen Klagemissbrauch vorzugehen.

Insbesondere auf europäischer Ebene habe sich gezeigt, wie systematisch Einschüchterung per Klage eingesetzt werde. Der Blick auf andere EU-Staaten habe verdeutlicht, dass fehlende Schutzmechanismen nicht nur individuelle Schicksale betreffen, sondern langfristig Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben können.

Reaktionen aus Medien und Zivilgesellschaft

Journalistenverbände und Organisationen zum Schutz der Pressefreiheit begrüßen den Kabinettsbeschluss grundsätzlich. Sie sehen darin ein politisches Signal, dass Einschüchterungsklagen nicht als legitimes Mittel akzeptiert werden. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass der Schutz lückenhaft bleibe, solange innerstaatliche Verfahren nicht erfasst sind.

Auch aus der Zivilgesellschaft kommen differenzierte Stimmen. Umwelt- und Transparenzinitiativen betonen, dass gerade lokale Akteure häufig Ziel von Einschüchterung per Klage seien. Für sie ändere sich durch die jetzige Regelung zunächst wenig. Dennoch werde der Beschluss als wichtiger erster Schritt bewertet, der das Thema sichtbar mache und juristisch greifbar formuliere.

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Der parlamentarische Weg

Mit dem Kabinettsbeschluss ist das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Der Gesetzentwurf wird nun im Bundestag beraten und anschließend dem Bundesrat vorgelegt. Änderungen sind dabei möglich. Beobachter rechnen mit einer intensiven Debatte über Reichweite, Definitionen und mögliche Erweiterungen des Schutzes vor Einschüchterungsklagen.

Gerade die Frage, ob der Anwendungsbereich künftig auch nationale Verfahren umfassen sollte, dürfte im parlamentarischen Verfahren eine zentrale Rolle spielen. Die Diskussion berührt grundlegende Fragen des Rechtsschutzes und der Balance zwischen Klagefreiheit und Missbrauchsabwehr.

Ein Gradmesser für den Zustand der Debattenkultur

Der Beschluss des Bundeskabinetts markiert einen sensiblen Punkt in der Auseinandersetzung um Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Einschüchterungsklagen sind mehr als ein juristisches Randphänomen – sie sind ein Spiegel dafür, wie konflikthaft öffentliche Debatten geworden sind und wie stark ökonomische Macht rechtliche Mittel beeinflussen kann. Ob das neue Gesetz den gewünschten Schutz entfaltet, wird sich erst im Zusammenspiel von Gerichten, Betroffenen und politischer Weiterentwicklung zeigen. Klar ist jedoch: Die Bundesregierung erkennt das Problem an – und rückt den Schutz öffentlicher Beteiligung wieder stärker ins Zentrum rechtspolitischer Entscheidungen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.