
Berlin, 17. Dezember 2025 – Der Winter liegt schwer über dem Pariser Platz. Wo sonst Menschen stehen bleiben, Kameras zücken und das Lichtermeer bewundern, prägen an diesem Nachmittag Absperrgitter, Polizeifahrzeuge und uniformierte Einsatzkräfte das Bild.
Das traditionelle Chanukka-Lichterzünden am Brandenburger Tor findet statt – doch unter strengen Auflagen. Die Berliner Polizei hat ein Versammlungsverbot erlassen und den Bereich weiträumig gesperrt.
Die Entscheidung der Berliner Polizei markiert einen außergewöhnlichen Einschnitt in eine seit Jahren etablierte Tradition. Für mehrere Stunden ist das Herz der Hauptstadt rund um das Brandenburger Tor für die Öffentlichkeit faktisch unzugänglich. Betroffen sind zentrale Orte von hoher symbolischer und touristischer Bedeutung: der Pariser Platz, der Platz des 18. März sowie ein Abschnitt der Straße Unter den Linden. Anlass ist das öffentliche Chanukka-Fest, das in diesem Jahr unter verschärften Sicherheitsbedingungen stattfindet.
Versammlungsverbot rund um das Brandenburger Tor
Mit einer Allgemeinverfügung untersagt die Polizei am heutigen Tag öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel in dem genannten Bereich. Das Verbot gilt nach Angaben der Behörden zwischen 12:00 und 18:00 Uhr. Ziel sei es, Menschenansammlungen zu vermeiden und ein kontrollierbares Sicherheitsumfeld zu gewährleisten.
Der Erlass betrifft nicht nur Demonstrationen oder geplante Kundgebungen, sondern auch spontane Zusammenkünfte. Besucherinnen und Besucher, die sich ohne triftigen Grund im Sperrgebiet aufhalten, müssen damit rechnen, von Einsatzkräften angesprochen und des Bereichs verwiesen zu werden. Die Polizei setzt dabei auf sichtbare Präsenz, Zugangskontrollen und eine klare Trennung zwischen berechtigten Personen und der Öffentlichkeit.
Einschränkungen für Verkehr und Aufenthalt
Zusätzlich zum Versammlungsverbot gelten umfassende Regelungen für den Verkehr. Fahrzeuge dürfen im abgesperrten Bereich weder parken noch kurzzeitig abgestellt werden. Auch Fahrräder sind betroffen. Die Polizei weist darauf hin, dass widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge entfernt werden können. In solchen Fällen können Kosten von etwa 150 Euro für die Betroffenen entstehen.
Anwohnerinnen und Anwohner sowie Personen mit dienstlichem Anlass werden gebeten, Ausweisdokumente mitzuführen. Nur so könne ein reibungsloser Zugang ermöglicht und unnötige Verzögerungen an Kontrollpunkten vermieden werden. Der öffentliche Nahverkehr wird umgeleitet, größere Verkehrsbehinderungen sollen durch großräumige Umfahrungen begrenzt werden.
Sicherheitslage als ausschlaggebender Faktor
Die Berliner Polizei begründet das Versammlungsverbot mit einer erhöhten abstrakten Gefährdungslage. Insbesondere die Möglichkeit spontaner Versammlungen oder unübersichtlicher Menschenansammlungen im Umfeld einer sichtbar jüdischen Veranstaltung habe zu der Entscheidung geführt. Öffentliche Chanukka-Feiern gelten seit Jahren als besonders schutzbedürftig.
Als konkreten Anlass nennt die Polizei den mutmaßlichen Terroranschlag auf ein jüdisches Fest im australischen Sydney zu Beginn dieser Woche. Der Angriff mit mehreren Todesopfern hat weltweit zu verstärkten Sicherheitsmaßnahmen geführt. In zahlreichen Metropolen wurden jüdische Einrichtungen, Synagogen und Feiertagsveranstaltungen unter zusätzlichen Polizeischutz gestellt.
Auch in Berlin ist die Sicherheitsarchitektur rund um jüdische Einrichtungen seit Jahren hoch. Dennoch markiert das vollständige Versammlungsverbot im Umfeld des Brandenburger Tors eine neue Dimension der Vorsicht – und verdeutlicht, wie sehr internationale Ereignisse unmittelbare Auswirkungen auf lokale Entscheidungen haben können.
Chanukka-Feier mit langer Tradition
Das Chanukka-Fest erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem und an das sogenannte Ölwunder. Acht Tage lang wird jeden Abend eine weitere Kerze am Chanukka-Leuchter entzündet. In Berlin hat sich die öffentliche Feier am Brandenburger Tor seit Jahrzehnten als fester Bestandteil des jüdischen Festkalenders etabliert.
Der große Leuchter auf dem Pariser Platz gilt als einer der größten seiner Art in Europa. Jahr für Jahr versammeln sich dort sonst mehrere Tausend Menschen: Mitglieder der jüdischen Gemeinde, Berlinerinnen und Berliner sowie internationale Gäste. Die Zeremonie ist bewusst öffentlich angelegt – als Zeichen sichtbaren jüdischen Lebens im Zentrum der deutschen Hauptstadt.
In diesem Jahr jedoch bleibt der Zugang beschränkt. Das Lichterzünden findet statt, aber ohne Publikum im unmittelbaren Bereich. Damit wird eine Tradition fortgeführt, zugleich aber neu interpretiert – angepasst an eine Sicherheitslage, die kaum Spielraum für Offenheit lässt.
Politische und religiöse Präsenz
Trotz der Einschränkungen ist die Liste der geladenen Gäste prominent besetzt. Erwartet werden unter anderem Rabbiner Yehuda Teichtal von der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner, Bundesaußenminister Johann Wadephul sowie Israels Botschafter Ron Prosor.
Die Anwesenheit hochrangiger Vertreter aus Politik und Diplomatie verleiht der Chanukka-Feier zusätzliche Bedeutung. Sie wird verstanden als bewusstes Signal politischer Solidarität und als öffentliches Bekenntnis zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland – auch dann, wenn dieses Bekenntnis unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden muss.
Zwischen Sichtbarkeit und Schutzbedürfnis
Das Chanukka-Lichterzünden am Brandenburger Tor steht in diesem Jahr exemplarisch für ein Spannungsfeld, das jüdische Gemeinden und staatliche Stellen seit Langem begleitet. Einerseits besteht der Wunsch nach Sichtbarkeit, Öffentlichkeit und Normalität. Andererseits erzwingt die Sicherheitslage immer wieder Einschränkungen, die genau diese Offenheit begrenzen.
Das Versammlungsverbot verdeutlicht diese Ambivalenz. Es schützt, indem es Risiken minimiert – und schränkt zugleich ein zentrales Element der Veranstaltung ein: die Teilnahme der Öffentlichkeit. Für viele Beobachterinnen und Beobachter ist das ein bitterer, aber realistischer Kompromiss in einer Zeit erhöhter Wachsamkeit.
Ein stilles, aber klares Signal
Wenn am Abend die Kerzen des Chanukka-Leuchters am Brandenburger Tor entzündet werden, geschieht dies in einer Atmosphäre, die leiser ist als in den Jahren zuvor. Doch die Symbolkraft bleibt bestehen. Das Licht, das in der Dunkelheit entzündet wird, steht weiterhin für religiöse Freiheit, für Standhaftigkeit und für das Fortbestehen jüdischen Lebens.
Dass diese Botschaft heute hinter Absperrgittern und unter Polizeischutz vermittelt werden muss, ist Ausdruck einer Realität, die viele als beunruhigend empfinden. Gleichzeitig zeigt der entschlossene Ablauf der Feier: Der öffentliche Raum wird nicht aufgegeben. Auch unter schwierigen Bedingungen bleibt das Chanukka-Fest am Brandenburger Tor Teil des städtischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses Berlins.