Gibt es neue Spuren? Lothar Demel seit 25 Jahren spurlos verschwunden

In Regionales
November 06, 2025

Augsburg, 6. November 2025. Es ist ein kühler Herbstmorgen, als die Sonne über dem Königsplatz aufgeht – jener Ort, an dem sich die Spur von Lothar Demel verliert. Menschen eilen über den Platz, Straßenbahnen quietschen, doch für eine Familie in Heidenheim steht die Zeit still. Seit einem Vierteljahrhundert hoffen sie auf Antworten, auf ein Lebenszeichen – vergeblich.

Ein Ausflug, der nie enden sollte

Am 28. Oktober 2000 verlässt der damals 37-jährige Lothar Leopold Demel sein Zuhause in Großkuchen, einem Stadtteil von Heidenheim an der Brenz. Gemeinsam mit einem Freund will er zu einem Schießwettbewerb im oberbayerischen Traunstein fahren. Es scheint ein ganz normaler Samstag zu werden. Doch was an diesem Tag geschieht, markiert den Beginn eines der rätselhaftesten Vermisstenfälle Süddeutschlands.

Nach dem Wettbewerb treten beide Männer die Rückfahrt an. Lothar Demel sitzt als Beifahrer im Wagen, sie fahren die A8 in Richtung Heimat. Doch in Augsburg – genauer gesagt am belebten Königsplatz – bittet Demel plötzlich darum, auszusteigen. Sein Freund zögert, lässt ihn dann aber aussteigen. Die beiden vereinbaren, sich am nächsten Morgen um 9 Uhr an derselben Stelle zu treffen. Doch Lothar Demel taucht nie wieder auf.

Die letzten bekannten Stunden

Nach allem, was heute bekannt ist, trug Demel an jenem Tag ein unauffälliges Freizeitoutfit. Sein Handy hatte er bei sich, doch es wurde kurz darauf abgeschaltet oder war nicht mehr erreichbar. Auf seinem Bankkonto wurden seither keine Bewegungen mehr festgestellt. Für die Familie, insbesondere seine Lebensgefährtin und den damals fünfjährigen Sohn, begann eine jahrelange Odyssee aus Hoffen, Bangen und Schweigen.

Finanzielle Sorgen und offene Fragen

Die Ermittlungen ergaben, dass Demel zum Zeitpunkt seines Verschwindens finanziell stark belastet war. Das gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin bewohnte Einfamilienhaus war mit rund 250.000 DM verschuldet. Weitere Schulden sollen bestanden haben. Dennoch gab es keine Hinweise darauf, dass er untertauchen wollte. Sein Umfeld beschrieb ihn als verantwortungsbewussten Familienvater, ruhig, zuverlässig, engagiert im Beruf. Nichts deutete darauf hin, dass er sein Leben freiwillig hinter sich lassen würde.

Ermittlungen ohne Ergebnis

Die Kriminalpolizei Ulm übernahm die Ermittlungen. Sie rekonstruierte die letzten Stunden, überprüfte den Weg nach Augsburg und suchte nach Zeugen, die Demel nach dem Ausstieg am Königsplatz gesehen haben könnten. Hinweise führten zeitweise zur Diskothek „Rockfabrik“, wo er möglicherweise Kontakt zu Bekannten gehabt haben könnte. Doch keiner dieser Spuren brachte Gewissheit.

Auch mögliche Hinweise auf eine geplante Auslandsreise oder einen freiwilligen Neuanfang ließen sich nie bestätigen. Laut Polizei gab es keine Belege für Aktivitäten im Ausland, keine Spuren in Reiseunterlagen oder Grenzbewegungen. So wurde aus einem Vermisstenfall ein klassischer Cold Case.

Ein Fall für „Aktenzeichen XY… ungelöst“

Im November 2025, genau 25 Jahre nach dem Verschwinden, greift das ZDF den Fall in seiner Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ erneut auf. „Wir hoffen, dass die mediale Aufmerksamkeit noch einmal Menschen erreicht, die vielleicht etwas wissen – auch wenn es nur ein kleines Detail ist“, erklärt ein Sprecher der Polizei Ulm. Die Redaktion stellt den Fall als eines der zentralen Themen der Sendung vor. Die Hoffnung: Nach einem Vierteljahrhundert könnte endlich ein Hinweis eingehen, der Licht ins Dunkel bringt.

Für Angehörige wie Freunde bedeutet diese erneute öffentliche Suche nicht nur das Wiederaufleben alter Erinnerungen, sondern auch das Aufreißen nie verheilter Wunden. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran denke“, soll ein Familienmitglied laut lokalen Medien berichtet haben.

Psychologische Belastung – wenn Ungewissheit zur Dauer wird

Das Verschwinden eines Menschen ohne Spur stellt Angehörige vor eine einzigartige seelische Belastung. Studien, wie etwa jene des Psychologen Orlowski (2013), zeigen, dass die psychologischen Folgen von Vermisstenfällen über Generationen anhalten können. Angehörige beschreiben Gefühle von Schuld, Verzweiflung und Hilflosigkeit – eine Form des Verlusts ohne Abschluss. Diese Ungewissheit führt oft zu innerer Zerrissenheit, weil Trauer und Hoffnung nebeneinander existieren.

Auch in der polizeilichen Arbeit wird die psychologische Komplexität solcher Fälle zunehmend thematisiert. Eine Analyse von 2022 („Psychological contributions to cold case investigations“) betont, dass neben den forensischen Faktoren auch organisatorische und emotionale Aspekte eine zentrale Rolle spielen: fehlende Spuren, Priorisierung in Ermittlungsbehörden, aber auch der menschliche Faktor – das nicht Aufgeben der Hoffnung durch Angehörige.

Wie viele Menschen in Deutschland verschwinden

Laut einer EU-Studie aus dem Jahr 2020 werden in Deutschland jährlich mehrere zehntausend Menschen als vermisst gemeldet. Die meisten tauchen innerhalb weniger Tage wieder auf. Doch einige Fälle, meist weniger als ein Prozent, bleiben ungeklärt – oft über Jahrzehnte. Diese sogenannten „Langzeitvermisstenfälle“ stellen Ermittler vor besondere Herausforderungen, da Beweismittel verschwinden, Zeugen versterben und Spuren sich verlieren.

Ein strukturelles Problem: Die Datensysteme der Polizei sind nicht immer kompatibel, Fälle werden mehrfach erfasst oder bleiben unvollständig. Das erschwert den langfristigen Abgleich und macht die Arbeit in sogenannten Cold Cases besonders komplex.

Öffentliche Aufmerksamkeit durch soziale Medien

In sozialen Netzwerken sorgt der Fall derzeit für neue Diskussionen. Auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) wird während der Ausstrahlung von „Aktenzeichen XY“ live kommentiert. Viele Nutzer zeigen Anteilnahme und erinnern daran, wie viele Familien bis heute auf Antworten warten. Andere äußern Kritik an der damaligen Ermittlungsarbeit oder fragen, ob alle Zeugen ausreichend befragt wurden.

Auch in Foren und Facebook-Gruppen engagieren sich Nutzer. In speziellen „XY-Fanforen“ wird der Fall detailliert diskutiert – dort entstehen teils strukturierte Hypothesen, Zeitlinien und Vergleiche mit ähnlichen Vermisstenfällen. Ein wiederkehrendes Thema: der letzte Aufenthaltsort am Königsplatz, die Rolle des Freundes, aber auch mögliche psychische Belastungen Demels vor dem Verschwinden.

Neue Hoffnung durch die Öffentlichkeit

Die Erfahrung zeigt: Immer wieder bringen solche TV-Ausstrahlungen neue Hinweise. Fälle, die jahrzehntelang ungeklärt blieben, wurden durch Zuschauerhinweise gelöst. Ob das auch bei Lothar Demel gelingt, bleibt abzuwarten. Die Polizei Ulm bittet weiter um Hinweise und betont, dass selbst kleine Erinnerungen entscheidend sein könnten.

Kontakt für Hinweise:
Kriminalpolizeidirektion Ulm – Tel. 0731 / 188-0
oder jede andere Polizeidienststelle.

Wer war Lothar Demel?

Er war ein bodenständiger Familienmensch, in Großkuchen bekannt und beliebt. Beruflich war er engagiert, privat naturverbunden, mit Hobbys wie Schießsport, Hundeplatz und Terraristik. Menschen, die ihn kannten, beschreiben ihn als freundlich, ruhig und humorvoll – keiner, der einfach verschwindet.

Dass er keine Waffenbesitzkarte besaß, obwohl er an einem Schießwettbewerb teilnahm, wurde von Ermittlern später als nebensächlich eingestuft. Dennoch betonte der ZDF-Bericht, dass dieses Detail Teil der rätselhaften Umstände blieb.

Offene Fragen, die bleiben

Die Öffentlichkeit beschäftigt vor allem die Frage: Warum wollte Demel in Augsburg aussteigen? Gab es dort ein geheimes Treffen? Einen unbekannten Kontakt? Oder war es eine spontane Entscheidung? Auch nach 25 Jahren gibt es darauf keine klare Antwort.

Weitere Rätsel:

  • Warum wurde sein Handy nie wieder genutzt, obwohl es am Abend des Verschwindens eingeschaltet war?
  • Gab es tatsächlich Zeugen am Königsplatz, die etwas beobachtet haben?
  • Und: Warum fanden sich keinerlei Hinweise auf Gewalt, Unfall oder Suizid?

Die Ermittler schließen bis heute keine Theorie aus. Doch ohne neue Spuren bleibt der Fall eines jener stillen, ungelösten Mysterien, die Familien und Ermittler gleichermaßen prägen.

Ein Vierteljahrhundert des Schweigens

Wenn Angehörige über Jahrzehnte warten, verändert das alles: den Alltag, die Familie, die Perspektive. Der Fall Lothar Demel steht sinnbildlich für viele dieser Geschichten – für das Ungewisse, das bleibt, wenn ein Mensch einfach verschwindet. In Heidenheim und Augsburg erinnert man sich noch heute an den ruhigen Mann, der eines Tages aus einem Auto stieg und nie wieder gesehen wurde.

Mit der erneuten Ausstrahlung in „Aktenzeichen XY… ungelöst“ flammt die Hoffnung wieder auf. Vielleicht, so hoffen viele, erinnert sich jemand an ein Gespräch, ein Gesicht, ein kleines, längst vergessenes Detail. Denn auch nach 25 Jahren gilt: Jeder Hinweis könnte der entscheidende sein.

Avatar
Redaktion / Published posts: 2985

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.