
Lublin, 4. Dezember 2025 | Ein Hauch zu langsam – und schon ist das Podium weg. In der Nacht zum Mittwoch liegt eine fast greifbare Spannung über der Beckenhalle von Lublin. Die Wellen brechen leise gegen die Kanten, das Wasser funkelt unter dem grellen Hallenlicht. Für einen Moment scheint die Zeit stillzustehen – dann ertönt der Startpfiff, und die Athletinnen stoßen sich kraftvoll von den Blöcken ab. Am Ende jedoch bleibt für eine der Favoritinnen nur bittere Ernüchterung.
Die deutsche Brustschwimmerin Anna Elendt, 24 Jahre alt und auf der Kurzbahn über 100 Meter traditionell stark, verpasst eine Medaille bei den European Short Course Championships um die denkbar knappste Entscheidung: Genau eine Hundertstelsekunde fehlt ihr auf Bronze. Mit einer Zeit von 1:03,91 Minuten schwimmt sie zwar Bestleistung im Wettkampf – doch das Podium bleibt ihr verwehrt. Der vierte Rang, häufig als der undankbarste Platz im Sport beschrieben, sorgt für spürbare Enttäuschung im deutschen Team.
Fakten, die für sich sprechen
Das Finale über 100 Meter Brust verlief spektakulär und bot jene Art dramatische Zuspitzung, für die Schwimmfans Meisterschaften lieben. Die Bronzemedaille ging an die israelische Athletin Anastasia Gorbenko, die mit 1:03,90 Minuten hauchdünn vor Elendt anschlug. Noch schneller waren nur Eneli Jefimova aus Estland, die in 1:02,82 Minuten triumphierte, und Florine Gaspard aus Belgien mit 1:03,73 Minuten. Für Elendt bedeutete der Ausgang einerseits den Beweis ihrer konstant hohen Form, andererseits jedoch ein überaus schmerzliches Ergebnis.
Die Frankfurterin war mit großen Erwartungen in den Wettbewerb gestartet. 2025 hatte sie ihre internationale Stellung eindrucksvoll gefestigt – besonders durch ihren triumphalen WM-Sieg über dieselbe Strecke im Sommer. Dass sie in Lublin nicht an diese Goldform anknüpfen konnte, lag nicht an fehlender Leistungsfähigkeit. Vielmehr zeigte die Kurzbahn einmal mehr ihre gnadenlose Präzision: Der Anschlag entscheidet, und manchmal fällt dieser eben zugunsten einer anderen Athletin aus.
Eine Medaille – so nah und doch verpasst
Für Elendt wäre es die erste Medaille bei einer Kurzbahn-Europameisterschaft gewesen. Nach ihrer WM-Sternstunde im Sommer hätte sie das Jahr mit einem weiteren großen Erfolg abrunden können. Doch trotz hervorragender Zwischenzeiten fehlte am Ende die Winzigkeit einer Hundertstelsekunde. In der Szene wird der vierte Platz oft als Prüfstein bezeichnet – ein Moment, der Athletinnen entweder bricht oder formt.
Für die Schwimmerin der SG Frankfurt ist das Ergebnis bitter, aber keineswegs Ausdruck eines Rückschritts. Vielmehr unterstreicht dieser Wettkampf ihre Fähigkeit, dauerhaft auf höchstem Niveau mitzuschwimmen. Ihre Bestzeit im Finale und die Stabilität ihrer Zwischenzeiten zeigen, dass sie weiterhin zu den wichtigsten Brustschwimmerinnen Europas zählt.
Der Weg bis hierhin: Ein bewegtes Jahr für die Weltmeisterin
Triumph und Turbulenz
2025 war für Anna Elendt ein Jahr voller Höhepunkte und Herausforderungen. Im Sommer krönte sie sich in Singapur zur Weltmeisterin über 100 Meter Brust – ein Triumph, der sie endgültig in die internationale Elite katapultierte. Ihre Zeit von 1:05,19 Minuten bestätigte nicht nur ihre persönlichen Titelambitionen, sondern setzte auch ein klares Zeichen im internationalen Wettbewerb. Für viele junge deutsche Schwimmerinnen wurde sie spätestens in diesem Moment zu einem Vorbild.
Trotz der sportlichen Erfolge war das Jahr für die Athletin geprägt von einem anspruchsvollen Spagat. Elendt studiert weiterhin und arbeitet parallel in Teilzeit bei einem Fin-Tech-Unternehmen, um Studium und Trainingsaufenthalte in den USA zu finanzieren. Während der EM in Lublin berichtete sie, sie müsse sich zwischen den Wettkämpfen zeitweise einloggen und Arbeitsaufgaben erledigen. Im Hochleistungssport ist dieser Alltag eine Seltenheit – und umso beachtlicher wirkt ihre Leistungsdichte.
Mit hoher Erwartung nach Lublin
Vor dem Start in Polen galt Elendt als eine der wichtigsten deutschen Hoffnungen auf Edelmetall. Ihr deutscher Rekord von 1:03,83 Minuten, erst wenige Wochen zuvor geschwommen, untermauerte die Erwartungshaltung. Bereits im Vorlauf setzte sie mit 1:04,22 Minuten ein Ausrufezeichen und ließ erahnen, dass sie im Finale noch schneller sein könnte.
Im Endlauf zeigte sie dann tatsächlich eine starke Steigerung. Die 1:03,91 Minuten markieren einen ihrer besten Kurzbahnauftritte überhaupt – und dennoch blieb ihnen die erhoffte Medaille verwehrt. In der Spitze des europäischen Brustschwimmens entscheiden heute Nuancen, oft kaum sichtbare Unterschiede im Timing des Anschlags oder der letzten Unterwasserphase.
Was bleibt – und was kommt
Die knappe Niederlage hat Elendt sichtlich getroffen, doch sie zieht daraus Kraft für die kommenden Monate. Der Wettkampf in Lublin zeigt, dass sie trotz anspruchsvoller Doppelbelastung weiterhin zur europäischen Spitze gehört. Ihre Zeiten stärken die Hoffnung, dass sie bei der nächsten Langbahn-EM im Sommer in Paris erneut um eine Medaille schwimmen kann.
Für das deutsche Team bleibt Elendt eine zentrale Athletin, deren konstante Entwicklung und mentale Stärke hervorstechen. Ihre Mischung aus Disziplin, internationaler Erfahrung und unerschütterlicher Hingabe zum Sport macht sie zu einer tragenden Figur des deutschen Schwimmsports.
Eine Nacht der Millimeter – und neue Motivation
Sport kann gnädig sein – und unerbittlich. In Lublin war es Letzteres. Doch wer Anna Elendt im vergangenen Jahr verfolgt hat, erkennt schnell ihren außergewöhnlichen Ehrgeiz. Ein vierter Platz, zumal ein so knapper, kann den Antrieb freisetzen, den es braucht, um künftig noch entschlossener anzutreten. Elendt bleibt damit nicht nur eine der stärksten Brustschwimmerinnen Europas – sie bleibt auch eine, die bereit ist, aus Rückschlägen Antrieb zu formen.