
Den Haag – Mit einem historischen Gutachten hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag den Klimaschutz offiziell zum Menschenrecht erklärt. Das nicht-bindende, aber völkerrechtlich bedeutsame Urteil könnte die juristische und politische Weltordnung in Sachen Klima neu ausrichten. Insbesondere für bedrohte Inselstaaten und künftige Generationen ist das ein Signal der Hoffnung – und für Staaten ohne wirksamen Klimaschutz ein drohender Weckruf.
Ein Meilenstein für die Klimagerechtigkeit
Am 23. Juli 2025 verkündete der Internationale Gerichtshof (ICJ/IGH) in Den Haag ein Gutachten, das als Wendepunkt im internationalen Klimarecht gilt. In der Stellungnahme wird erstmals völkerrechtlich festgehalten, dass das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ein fundamentales Menschenrecht darstellt. Das Gericht sieht Staaten in der Pflicht, ihre Emissionen zu reduzieren, die Folgen des Klimawandels einzudämmen und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen.
Obwohl es sich nicht um ein bindendes Urteil handelt, hat das Gutachten dennoch weitreichende Bedeutung. Denn: Nationale Gerichte können sich künftig auf die Auslegung des IGH stützen, wenn sie über klimapolitische Streitfälle entscheiden. Bereits jetzt zeigen sich Juristen zuversichtlich, dass das Gutachten neue Klagewellen gegen Staaten und Unternehmen auslösen wird – sowohl im Globalen Süden als auch im Norden.
Was bedeutet das Gutachten konkret für nationale Klimaklagen?
Das Gutachten schafft eine belastbare rechtliche Grundlage für die Vielzahl an nationalen und internationalen Klimaklagen, die sich in den vergangenen Jahren bereits angedeutet haben. Die Erkenntnis: Wer durch unterlassenen Klimaschutz Menschenrechte verletzt, kann künftig rechtlich zur Verantwortung gezogen werden – sei es für Schäden durch Überschwemmungen, Hitzewellen oder den Verlust von Lebensraum.
Bereits vor dem IGH-Urteil hatten andere Gerichte den Weg bereitet: Das niederländische „Urgenda-Urteil“ von 2019 zwang den Staat zu ambitionierterem Klimaschutz. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gab im April 2024 der Schweizer NGO „KlimaSeniorinnen“ recht, weil der Staat beim Klimaschutz seine Schutzpflicht gegenüber älteren Menschen verletzt habe. Das Gutachten des IGH hebt diese Tendenz nun auf eine globale Ebene und formuliert universelle Normen.
Staatenpflichten und rechtliche Folgen
Die Beratungen des IGH machen deutlich, dass die Staaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens nicht länger als freiwillige Zielvorgaben interpretieren können. Der IGH spricht von einer „juristischen Verantwortung“ gegenüber sowohl heutigen als auch zukünftigen Generationen. Eine Unterlassung könne, so die Formulierung des Gerichts, als „völkerrechtswidriger Akt“ gelten.
Welche Konsequenzen drohen Staaten bei Nichteinhaltung der Klimapflichten? Künftig könnten betroffene Staaten – etwa solche, deren Küsten durch den steigenden Meeresspiegel verschwinden – Entschädigung einfordern. Auch nationale Verfassungsgerichte oder Verwaltungsgerichte erhalten durch das IGH-Gutachten neue Argumentationslinien, um etwa Genehmigungen für fossile Großprojekte zu kippen oder strengere Emissionsgesetze zu verlangen.
Welche Staaten standen hinter dem Gutachten?
Initiiert wurde die Gutachtenanfrage durch eine Koalition aus über 130 Staaten – angeführt von Vanuatu, einem pazifischen Inselstaat, der besonders von den Folgen des Klimawandels bedroht ist. 91 dieser Staaten reichten offizielle Eingaben ein, über 100 Delegationen beteiligten sich an den Anhörungen in Den Haag. Der internationale Rückhalt für das Gutachten ist damit ungewöhnlich groß.
Wirkung auf internationale Rechtsprechung
Das Gutachten des IGH steht nicht allein. Bereits der Interamerikanische Gerichtshof (IACtHR) hatte in einer Stellungnahme umfassende Verpflichtungen von Staaten zum Schutz vulnerabler Gruppen betont – darunter Kinder, indigene Völker und Menschen in Armut. Auch das Internationale Seegericht (ITLOS) urteilte 2024, dass maritime Staaten ein Recht auf Schutz vor klimabedingten Schäden haben.
Doch was unterscheidet das IGH-Gutachten von anderen Gerichtsurteilen? Der IGH formuliert erstmals ein universelles Rahmenwerk mit globalem Anspruch. Während andere Urteile auf regionale Kontexte beschränkt bleiben, erklärt der IGH das Umweltrecht zum universellen Bestandteil der Menschenrechte. Das verleiht dem Gutachten moralische und juristische Autorität weit über Einzelfälle hinaus.
Einfluss auf Unternehmen und fossile Energie
Bedeutet das Urteil das Ende fossiler Brennstoffe? Nicht direkt – doch es verstärkt den Druck auf Regierungen, Subventionen für fossile Energien abzubauen und private Unternehmen stärker zu regulieren. Das Gutachten legt ausdrücklich fest, dass Staaten nicht nur selbst aktiv werden müssen, sondern auch private Akteure zum Schutz des Klimas verpflichten dürfen – etwa durch Gesetzgebung, Lizenzvergaben oder steuerliche Lenkung.
Damit gewinnen auch zivilrechtliche Klagen gegen Unternehmen neue Schlagkraft. Die Forderung: Wer durch seine Geschäftstätigkeit massiv zur globalen Erwärmung beiträgt, könnte haftbar gemacht werden – ob für Sturmschäden, Trinkwasserverluste oder Umsiedlungen.
Intergenerationelle Gerechtigkeit als Schlüsselbegriff
Inwiefern betrifft das Gutachten auch zukünftige Generationen? Der IGH betont, dass Klimaschutz nicht nur eine Pflicht gegenüber der heutigen Bevölkerung ist, sondern auch gegenüber den kommenden Generationen. Dieser Fokus auf „intergenerationelle Gerechtigkeit“ ist zentral und hebt das Gutachten von vielen früheren Klimarechtsurteilen ab.
Der Gerichtshof erkennt damit an, dass das Handeln oder Nichthandeln der heutigen Staaten direkte Auswirkungen auf das Überleben und die Rechte künftiger Menschen hat. In diesem Zusammenhang wird das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens als rechtlich relevante Grenze gewertet – ein Novum im internationalen Recht.
Kritik und Polarisierung
Trotz der positiven Rezeption in vielen Ländern gibt es auch kritische Stimmen. Einige Rechtsexperten sehen in der „Advisory Opinion“ des IGH lediglich eine symbolische Geste ohne konkrete Durchsetzungskraft. Gerade auf sozialen Plattformen wie Reddit oder Twitter wird diskutiert, ob der IGH damit nicht lediglich politische Erwartungen bedient, ohne effektive Kontrollmechanismen zu bieten.
Zudem befeuert das Gutachten die ohnehin stark polarisierte Klimadebatte. Während Aktivist:innen und Umweltorganisationen jubeln, werfen konservative Stimmen dem IGH vor, sich über nationale Souveränität hinwegzusetzen. Auch Unternehmen in der fossilen Industrie zeigen sich besorgt über mögliche Reputations- und Klagerisiken.
Wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Begleitung
Die Entscheidung des IGH wurde nicht im luftleeren Raum getroffen. Sie basiert auf umfangreichen wissenschaftlichen Gutachten, etwa des Stockholm Environment Institute, das eindrucksvoll die menschenrechtlichen Auswirkungen von Hitze, Dürre, Meeresspiegelanstieg und Extremwetter belegte. Auch die Oslo Principles, ein wissenschaftlich-juristisches Regelwerk von 2015, dienten als Vorlage für das heutige Verständnis staatlicher Klimaverantwortung.
Zudem wurde das Verfahren maßgeblich von der Zivilgesellschaft begleitet. Junge Aktivist:innen aus pazifischen Staaten, Umwelt-NGOs und indigene Gemeinschaften trieben den Prozess mit großem Engagement voran. Ihr Ziel: Sichtbarkeit, Verantwortung und Gerechtigkeit für jene, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, aber am meisten darunter leiden.
Neue Dynamik für den Klimaschutz
Wie geht es jetzt weiter? Schon jetzt mehren sich Hinweise, dass erste nationale Gerichte die IGH-Stellungnahme aufgreifen. Auch politische Entscheidungsträger:innen kündigen an, neue Klimaschutzmaßnahmen nun auch mit Verweis auf das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt zu rechtfertigen.
Ein internationaler Standard ist geboren – wenn auch noch ohne Sanktionsmechanismus. Der Wert dieses Gutachtens liegt vor allem in seiner symbolischen Kraft und seiner juristischen Anschlussfähigkeit. Es bietet einen moralisch und rechtlich tragfähigen Rahmen für alle, die sich für echten, global gerechten Klimaschutz einsetzen wollen.
Abschließende Gedanken
Das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs ist ein Meilenstein, aber kein Endpunkt. Es zeigt, dass Klimaschutz nicht mehr nur eine umweltpolitische oder wirtschaftliche Frage ist, sondern eine fundamentale Gerechtigkeitsfrage. Staaten sind in der Pflicht – nicht nur aus moralischer Verantwortung, sondern zunehmend auch aus juristischer. Für viele bedrohte Bevölkerungsgruppen, zukünftige Generationen und engagierte Bürger:innen ist das ein Hoffnungssignal. Für klimapolitisch träge Regierungen hingegen ist es ein deutliches Mahnzeichen: Die Weltgemeinschaft schaut hin – und das Völkerrecht ist aufgewacht.