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Apotheker warnen vor Folgen für Versorgung und Beratung Die Drogeriekette dm verkauft künftig online Medikamente

In Allgemein
Dezember 16, 2025

Berlin, 16. Dezember 2025 – Der Schritt kommt leise, seine Wirkung dürfte laut werden. Mit dem Start eines eigenen Online-Angebots für rezeptfreie Medikamente verschiebt die Drogeriekette dm die Grenzen eines bislang klar regulierten Marktes. Was für viele Kundinnen und Kunden nach Bequemlichkeit klingt, wird von Apothekern als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen. Zwischen digitalem Komfort und gesundheitlicher Verantwortung entfacht sich eine Debatte, die weit über den Einstieg eines einzelnen Unternehmens hinausreicht. Sie berührt Grundfragen der Arzneimittelversorgung, der Beratungssicherheit und der Zukunft stationärer Apotheken.

dm verkauft Medikamente online – ein neuer Player im sensiblen Markt

Mit dem neuen Angebot „dm-med“ erweitert die Drogeriemarktkette dm ihr Onlinegeschäft erstmals um rezeptfreie Medikamente. Rund 2.500 apothekenpflichtige, aber nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind seit Kurzem über den dm-Onlineshop erhältlich. Dazu zählen gängige Präparate gegen Schmerzen, Erkältungen, Allergien oder Magen-Darm-Beschwerden. Ergänzt wird das Sortiment durch etwa 1.000 Produkte aus angrenzenden Gesundheits- und Pflegebereichen.

Der Versand erfolgt aus einem Logistikzentrum in Tschechien. Diese Konstruktion ist kein Zufall: In Deutschland ist der Verkauf apothekenpflichtiger Medikamente Nicht-Apotheken untersagt. Über den grenzüberschreitenden Versand aus einem EU-Mitgliedsstaat ist der Vertrieb rezeptfreier Medikamente jedoch zulässig. Verschreibungspflichtige Arzneimittel bleiben vom Angebot ausdrücklich ausgeschlossen.

Warum dm diesen Schritt geht

Aus Unternehmenssicht ist der Einstieg in den Online-Medikamentenhandel eine Reaktion auf veränderte Kundenerwartungen. Nach Angaben von dm suchten Nutzerinnen und Nutzer im Onlineshop bereits seit Jahren nach Medikamenten, die bislang nicht angeboten werden durften. Die Drogeriekette positioniert sich damit stärker als Gesundheitsanbieter und schließt eine Lücke zwischen Pflege, Prävention und Selbstmedikation.

Für dm ist das Projekt strategisch bedeutsam. Mehrere hundert Mitarbeitende sind in Aufbau, Sortiment, IT und Logistik eingebunden. Das Investitionsvolumen liegt im zweistelligen Millionenbereich. Ziel ist es, langfristig ein stabiles Standbein im wachsenden Online-Markt für rezeptfreie Medikamente zu etablieren.

Apotheker schlagen Alarm – Sorge um Beratung und Sicherheit

Der Einstieg von dm in den Medikamentenversand bleibt nicht ohne Widerspruch. Apothekerverbände reagieren mit deutlicher Kritik. Sie sehen eine schleichende Erosion der Grenzen zwischen Drogerie und Apotheke und warnen vor Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher. Aus Sicht der Apothekerschaft ist die persönliche Beratung kein Zusatzservice, sondern ein zentraler Bestandteil der Arzneimittelsicherheit.

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Gerade bei rezeptfreien Medikamenten bestehe häufig der Irrtum, sie seien grundsätzlich harmlos. In der Praxis gehe es jedoch um Wechselwirkungen, Vorerkrankungen, Altersfaktoren oder falsche Selbstdiagnosen. Apotheken seien gesetzlich verpflichtet, aufzuklären, gegebenenfalls auch vom Kauf abzuraten oder an einen Arzt zu verweisen. Diese Funktion lasse sich in einem klassischen Online-Shop nur eingeschränkt abbilden.

Der Beratungsauftrag als Kernargument

Vertreter der Apothekerschaft betonen, dass der gesetzliche Beratungsauftrag weit über Produktinformationen hinausgehe. Er sei Teil der Daseinsvorsorge und trage zur Entlastung des Gesundheitssystems bei. Besonders ältere Menschen, chronisch Erkrankte oder Eltern mit kleinen Kindern profitierten von niedrigschwelliger, persönlicher Beratung.

Die Befürchtung: Wenn Medikamente zunehmend wie klassische Konsumgüter online vertrieben werden, könne das Bewusstsein für ihre Risiken sinken. Gleichzeitig drohe eine weitere wirtschaftliche Schwächung der stationären Apotheken, die diese Beratungsleistung tagtäglich erbringen.

Rechtlicher Rahmen: Was dm darf – und was nicht

Rechtlich bewegt sich dm mit dem neuen Angebot innerhalb der geltenden Vorschriften. Während in Deutschland nur Apotheken apothekenpflichtige Medikamente verkaufen dürfen, erlaubt das europäische Recht den Versand rezeptfreier Arzneimittel aus anderen EU-Staaten. dm nutzt diese Möglichkeit konsequent.

Die wichtigsten rechtlichen Eckpunkte

  • Rezeptfreie Medikamente dürfen aus dem EU-Ausland nach Deutschland versendet werden.
  • Der Verkauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel bleibt Apotheken vorbehalten.
  • Der Versand erfolgt nicht aus deutschen dm-Filialen, sondern aus einem EU-Logistikzentrum.

Diese Konstruktion ist im Versandapothekenmarkt etabliert, erhält jedoch durch den Markteintritt eines großen Drogeriekonzerns neue Aufmerksamkeit – und neue Brisanz.

Ein Markt unter Druck: Folgen für Apotheken und Wettbewerb

Der Online-Handel mit rezeptfreien Medikamenten wächst seit Jahren. Versandapotheken, Preisvergleichsportale und digitale Gesundheitsangebote haben den Wettbewerb spürbar verschärft. Gleichzeitig sinkt die Zahl stationärer Apotheken kontinuierlich. Steigende Kosten, Personalmangel und sinkende Margen belasten viele Betriebe.

Der Einstieg von dm in diesen Markt verstärkt diesen Druck. Als bekannte Marke mit großer Reichweite, logistischer Erfahrung und hoher Kundenbindung könnte dm Marktanteile gewinnen, die bislang klassischen Apotheken oder spezialisierten Versandapotheken vorbehalten waren. Besonders preissensible Kundengruppen und digital affine Nutzer könnten verstärkt auf das neue Angebot ausweichen.

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Preis, Bequemlichkeit, Vertrauen

Für Verbraucherinnen und Verbraucher spielen beim Kauf rezeptfreier Medikamente mehrere Faktoren eine Rolle: Preis, Verfügbarkeit, Liefergeschwindigkeit – aber auch Vertrauen. dm setzt hier auf seine Markenstärke und die Verknüpfung mit dem bestehenden Online-Sortiment. Kritiker halten dagegen, dass Vertrauen im Gesundheitsbereich mehr bedeute als Markenbekanntheit.

Zwischen Digitalisierung und Verantwortung

Der Fall dm zeigt exemplarisch, wie stark der digitale Wandel auch hochregulierte Bereiche erfasst. Die Grenzen zwischen Handel, Gesundheitsdienstleistung und Versorgung verschwimmen zunehmend. Während Politik und Aufsichtsbehörden bislang an den bestehenden Regelungen festhalten, wächst der Druck, diese an neue Marktrealitäten anzupassen.

Ob zusätzliche Auflagen, strengere Informationspflichten oder neue Formen digitaler Beratung folgen, ist offen. Klar ist jedoch: Mit dem Einstieg von dm ist eine Debatte neu entfacht, die längst nicht abgeschlossen ist.

Ein Markt im Umbruch

Der Online-Verkauf von Medikamenten durch dm markiert einen Wendepunkt im deutschen Gesundheitsmarkt. Zwischen Verbraucherkomfort und pharmazeutischer Verantwortung entsteht ein Spannungsfeld, das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen aufwirft. Wie dieses Gleichgewicht künftig ausgestaltet wird, dürfte nicht nur über den Erfolg von dm-med entscheiden, sondern über die Rolle der Apotheke im digitalen Zeitalter insgesamt.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.