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Spektakuläre Vision im Hochgebirge Lina Peak: 260-Meter-Wolkenkratzer für Zermatt geplant

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Dezember 12, 2025

Zermatt, Schweiz, 12. Dezember 2025 – Der Winter legt sich früh über das autofreie Bergdorf, das Licht bricht sich an Holzfassaden und schneebedeckten Dächern. Über allem thront das Matterhorn, unverrückbar, monumental, Sinnbild alpiner Beständigkeit. Doch nun sorgt ein anderer Entwurf für Unruhe: Mitten in der hochsensiblen Berglandschaft soll ein Bauwerk entstehen, das höher wäre als alles, was Zermatt bislang kennt – und höher, als viele sich hier je vorstellen konnten.

Der geplante Wolkenkratzer trägt den Namen Lina Peak. Mit einer Höhe von rund 260 Metern und bis zu 65 Stockwerken würde er das Ortsbild des Walliser Ferienorts grundlegend verändern. Initiiert wurde das Projekt vom Zermatter Hotelier, Architekten, Künstler und Unternehmer Heinz Julen. Seit der öffentlichen Vorstellung Mitte November wird der Entwurf intensiv diskutiert – nicht nur im Dorf, sondern weit über die Region hinaus. Befürworter sehen in Lina Peak einen radikalen, aber notwendigen Lösungsansatz für die Wohnungsnot. Kritiker warnen vor einem irreversiblen Eingriff in Landschaft, Identität und Maßstab.

Hoch hinaus gegen ein drängendes Problem

Zermatt steht exemplarisch für viele alpine Tourismusorte: Während die ständige Wohnbevölkerung bei knapp 6 000 Menschen liegt, vervielfacht sich diese Zahl in Hochsaisonzeiten. Tausende Gäste, Saisonkräfte und Beschäftigte prägen dann den Alltag. Die Folge ist ein extrem angespannter Wohnungsmarkt. Bezahlbarer Wohnraum ist rar, Mieten und Immobilienpreise liegen auf einem der höchsten Niveaus der Schweiz. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Tourismus ist es zunehmend schwierig, im Ort selbst eine Unterkunft zu finden.

Genau hier setzt das Konzept Lina Peak an. Julen argumentiert, dass der chronische Platzmangel nicht durch weiteres Ausdehnen des Dorfes in die umliegenden Hänge gelöst werden könne. Stattdessen solle verdichtet, vertikal und funktional gebaut werden. Ein einzelnes Hochhaus könne, so die Idee, Wohnraum bündeln, Flächenverbrauch begrenzen und gleichzeitig neue soziale Infrastruktur schaffen. Die veranschlagten Baukosten liegen bei rund 500 Millionen Schweizer Franken. Je nach Verlauf der politischen und rechtlichen Verfahren rechnet der Initiator mit einer Bauzeit von fünf bis zehn Jahren.

Das vertikale Dorf

Nach den bislang bekannten Planungen ist Lina Peak als multifunktionales Gebäude konzipiert. Der Turm soll weit mehr sein als ein reines Wohnhaus. Vielmehr zielt das Projekt auf ein „vertikales Dorf“, in dem Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Gemeinschaft eng miteinander verzahnt sind.

  • Günstiger Wohnraum in den unteren Etagen für Einheimische und Saisonbeschäftigte
  • Hochpreisige Eigentumswohnungen in den oberen Stockwerken zur Finanzierung des Projekts
  • Ein Konzertsaal mit rund 2 500 Plätzen
  • Sport- und Freizeiteinrichtungen, darunter ein Schwimmbad und Fitnessbereiche
  • Einzelhandel und Gastronomie im Sockelbereich
  • Eine Kindertagesstätte für Bewohner und Beschäftigte
  • Rund 1 000 Parkplätze im Unter- und Erdgeschoss
  • Eine öffentlich zugängliche Aussichtsplattform mit Blick auf das Matterhorn

Insgesamt könnten mehr als 1 000 Wohnungen entstehen. Der soziale Kern des Projekts liegt dabei in der Querfinanzierung: Die Einnahmen aus dem Verkauf oder der Vermietung der Luxuswohnungen sollen ermöglichen, einen Teil der Wohnungen dauerhaft zu moderaten Preisen anzubieten. Damit will Julen einem der zentralen Strukturprobleme Zermatts begegnen.

Der Standort als strategische Entscheidung

Geplant ist der Bau nicht im historischen Dorfkern, sondern auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche rund 800 Meter vor dem Ortseingang. Dieser Standort ist bewusst gewählt. Der kompakte Grundriss von etwa 40 mal 40 Metern soll die Bodenversiegelung gering halten und das bestehende Ortsbild möglichst unangetastet lassen. Der Turm würde zwar weithin sichtbar sein, aber räumlich klar vom traditionellen Dorf getrennt stehen.

Gleichzeitig wirft die Lage neue Fragen auf. Die Anbindung an bestehende Verkehrs- und Versorgungsstrukturen gilt als eine der größten Herausforderungen. Geplant sind zusätzliche Mobilitätslösungen, darunter neue Transportangebote, um Verkehrsströme zu lenken und das Dorfzentrum zu entlasten. Auch die Integration in die bestehende alpine Infrastruktur bleibt ein zentraler Diskussionspunkt.

Rechtliche Verfahren und direkte Demokratie

Bis Lina Peak Realität werden könnte, ist der Weg lang. Zunächst muss eine Umzonung der betroffenen Fläche von Landwirtschafts- zu Bauland angestoßen werden. Dafür sind Unterschriften aus der Bevölkerung notwendig. In einem weiteren Schritt müsste die Zermatter Bevölkerung im Rahmen einer Volksabstimmung über das Projekt entscheiden. Selbst bei einer Zustimmung wären zahlreiche Genehmigungs- und Prüfverfahren zu durchlaufen, etwa in den Bereichen Raumplanung, Umweltverträglichkeit und Bauordnung.

Ein Dorf ringt um seine Zukunft

Die Reaktionen im Ort sind gespalten. Bei der öffentlichen Präsentation zeigte sich insbesondere unter jüngeren Einwohnerinnen und Einwohnern Zuspruch. Viele von ihnen sehen im Wolkenkratzer eine seltene Chance, dem Wohnungsdruck zu begegnen und langfristig im Ort bleiben zu können. Für sie steht weniger die Symbolik des Hochhauses im Vordergrund als die konkrete Frage nach Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Auf der anderen Seite formiert sich deutlicher Widerstand. Kritische Stimmen verweisen auf die Einzigartigkeit der alpinen Landschaft und die gewachsene Baukultur Zermatts. Sie befürchten, dass ein einzelnes Hochhaus einen Präzedenzfall schaffen könnte und die Identität des Ortes nachhaltig verändert. Für sie steht Lina Peak sinnbildlich für einen Bruch mit der Maßstäblichkeit, die den Ort bislang geprägt hat.

Die Auseinandersetzung geht damit weit über Architektur hinaus. Sie berührt grundlegende Fragen der Regionalentwicklung: Wie viel Wachstum verträgt ein Bergdorf? Wie lässt sich sozialer Ausgleich schaffen, ohne landschaftliche Werte zu opfern? Und wer entscheidet darüber, welche Zukunftsvision sich durchsetzt?

Ein Projekt als Spiegel eines Grundkonflikts

Lina Peak ist mehr als ein Bauvorhaben. Der geplante Wolkenkratzer verdichtet zentrale Spannungen des alpinen Tourismusraums in einem einzigen Entwurf. Zwischen Wohnraummangel und Landschaftsschutz, zwischen ökonomischer Notwendigkeit und kultureller Identität, zwischen mutiger Innovation und dem Wunsch nach Bewahrung. Ob der Turm je gebaut wird, ist offen. Sicher ist jedoch: Die Debatte um Lina Peak hat Zermatt bereits verändert – indem sie sichtbar gemacht hat, wie fragil das Gleichgewicht zwischen Fortschritt und Tradition in den Alpen geworden ist.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.