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Bruchsal: Wiederholungstäter mit 26 Vorstrafen muss erneut hinter Gitter

In Bruchsal
August 04, 2025

Bruchsal – Die kleine badische Stadt steht erneut im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit: Ein 35-jähriger Mann, der bereits 26 Vorstrafen in seinem Register zählt, ist erneut zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Geschichte dieses Mannes wirft ein Schlaglicht auf die Schwachstellen und Herausforderungen des deutschen Strafvollzugs und wirft grundlegende Fragen nach der Wirksamkeit von Resozialisierung und Therapie auf.

Der Fall Bruchsal: Ein Leben zwischen Haft, Therapie und Rückfall

Die Verurteilung des mehrfach vorbestraften Mannes aus Bruchsal ist kein Einzelfall. Vielmehr steht er beispielhaft für ein bundesweites Problem, das seit Jahren Experten, Justiz und Gesellschaft beschäftigt: Wie kann es sein, dass Personen mit dutzenden Vorstrafen immer wieder straffällig werden – und dass weder Freiheitsstrafe noch Therapie den Teufelskreis durchbrechen? Die Geschichte beginnt früh: Bereits mit 15 Jahren war der heute 35-Jährige erstmals auffällig geworden. Zwischen Haftaufenthalten, gescheiterten Therapieversuchen und einer jahrzehntelangen Abhängigkeit von verschiedenen Drogen entwickelte sich ein Lebensweg, der scheinbar unausweichlich immer wieder in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal endete.

Rückfallquote bei Mehrfachtätern – ein strukturelles Problem?

Das Thema Rückfall beschäftigt nicht nur die Gerichte, sondern auch Wissenschaft und Gesellschaft. Wie hoch ist die Rückfallquote bei mehrfach vorbestraften Tätern? Bundesweite Studien belegen, dass das Risiko eines erneuten Rückfalls mit der Anzahl der Vorstrafen deutlich steigt: Während etwa ein Drittel aller entlassenen Häftlinge innerhalb von drei Jahren rückfällig wird, liegt die Quote bei Personen mit mehr als 20 Vorstrafen nach aktuellen Erhebungen bei 45 bis 50 Prozent. Besonders alarmierend ist, dass bei Erwachsenen eine Rückfallwahrscheinlichkeit von bis zu 50 Prozent innerhalb der ersten 15 Monate nach Haftentlassung besteht. Die Zahlen zeigen deutlich: Wer schon viele Vorstrafen hat, gehört zu einer Hochrisikogruppe. Rückfälle sind hier eher die Regel als die Ausnahme.

Der lange Schatten der Sucht: Therapie und ihre Grenzen

Immer wieder war der Bruchsaler Wiederholungstäter in therapeutischer Behandlung, doch bislang scheiterten sämtliche Versuche, ihn dauerhaft zu stabilisieren. Welche Rolle spielen gescheiterte Therapieversuche im Strafvollzug? Laut Experten gelten Therapieabbrüche und eine fortdauernde Suchtproblematik als zentrale Risikofaktoren für Rückfälle. Trotz zahlreicher Programme im Justizvollzug – wie dem Behandlungsprogramm für Gewaltstraftäter (BPG) – zeigen Evaluationen nur moderate Erfolge. Besonders bei hochgradig rückfallgefährdeten Straftätern, wie sie auch in Bruchsal inhaftiert sind, reichen klassische Therapieprogramme häufig nicht aus. Ohne konsequente Nachsorge und eine langfristige Perspektive sinkt die Wirksamkeit vieler Haftprogramme drastisch.

Gefängnisalltag und Drogen – eine unterschätzte Gefahr

Ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion häufig übersehen wird, ist die Verfügbarkeit von Drogen im Gefängnis selbst. Erfahrungsberichte aus Foren und Insiderkreisen zeigen: Nicht selten werden psychoaktive Substanzen – insbesondere sogenannte Neue Psychoaktive Substanzen (NPS) – über innovative Schmuggelwege in Haftanstalten eingeschleust. Die Kontrolle gestaltet sich schwierig, da gängige Drogentests NPS häufig nicht erfassen. Für suchtkranke Insassen bedeutet das: Auch während der Haft ist ein Rückfall jederzeit möglich. Dies erschwert nicht nur die Therapie, sondern untergräbt das Ziel der Resozialisierung grundlegend.

Stigma, Sprache und Öffentlichkeit – wie Betroffene wahrgenommen werden

Die öffentliche Diskussion um sogenannte „Karrierekriminelle“ ist oft von Stigmatisierung geprägt. Untersuchungen aus Sozialen Medien zeigen, dass die Wortwahl – etwa die Bezeichnung als „Süchtiger“ oder „Junkie“ – bei Betroffenen und ihren Angehörigen zu weiterer Ausgrenzung führt. Auch im Kontext des Bruchsaler Falls sollte daher die mediale Sprache bewusst differenziert und sachlich bleiben. Der Hintergrund, dass chronische Suchterkrankungen oft mit einer tiefgreifenden psychischen und sozialen Problemlage einhergehen, wird in der Berichterstattung selten ausreichend beleuchtet.

Strafvollzug und Resozialisierung: Systemische Herausforderungen

Das deutsche Strafvollzugsgesetz formuliert als oberstes Ziel die Resozialisierung: „Der Gefangene soll befähigt werden, zukünftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“ Doch wie sieht die Realität aus? Was unterscheidet Sozialtherapeutische Anstalten (SothA) vom regulären Vollzug? Sozialtherapeutische Einrichtungen setzen auf intensive, individuell zugeschnittene Programme, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. Studien belegen: Die Rückfallrate kann dort um acht bis 14 Prozent gesenkt werden. Dennoch bleibt der Zugang zu solchen spezialisierten Einrichtungen begrenzt. Die große Mehrheit der Hochrisikofälle wie im Bruchsaler Fall verbleibt im Standardvollzug – mit deutlich schlechteren Erfolgsquoten.

Ein Blick auf die Zahlen: Resozialisierung in der Praxis

VollzugsformRückfallquote nach 3 JahrenBesondere Merkmale
Standardvollzug45–50 %Grundlegende Programme, selten Nachsorge
Sozialtherapeutische Anstalt31–36 %Intensive Therapie, individuell angepasst

Juristische Hürden: Maßregelvollzug und § 64 StGB

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Einweisung in den Maßregelvollzug (§ 64 StGB) sind hoch. Welche gesetzlichen Hürden bestehen bei der Anwendung von § 64 StGB (Suchtkranke)? Gerichte müssen nachweisen, dass ein „Hang zur Sucht“ vorliegt und eine Therapiefähigkeit besteht. Doch gerade bei schwer chronifizierten Abhängigen, bei denen alle bisherigen Behandlungsversuche scheiterten, fehlt oft die Grundlage für eine positive Prognose. Das bedeutet in der Praxis: Trotz intensiver Suchterkrankung und hoher Rückfallgefahr bleibt vielen eine therapeutische Unterbringung verwehrt – sie werden stattdessen erneut in die Haftanstalt überstellt.

Alltag in der JVA Bruchsal

Die Justizvollzugsanstalt Bruchsal, in der der aktuelle Fall vollzogen wird, zählt zu den traditionsreichsten und größten Haftanstalten Baden-Württembergs. Hier verbüßten bereits bekannte Straftäter lange Freiheitsstrafen, darunter Serienmörder und Terroristen. Die Einrichtung verfügt über etwa 600 Haftplätze und bietet grundsätzlich Zugang zu Therapie- und Resozialisierungsprogrammen. Doch wie Experten immer wieder betonen, sind die Ressourcen begrenzt – und gerade bei Hochrisikofällen fehlen oft maßgeschneiderte Konzepte und eine umfassende Nachbetreuung nach der Haftentlassung.

Gesellschaftliche Debatte: Strafe, Schutz und Resozialisierung

Die wiederholte Inhaftierung von Mehrfachtätern wirft grundlegende Fragen auf. Warum wird jemand mit 26 Vorstrafen erneut strafrechtlich verfolgt? Das deutsche Recht sieht vor, dass jeder neue Verstoß gegen das Gesetz unabhängig von den Vorstrafen geahndet werden muss. Gleichzeitig werden Wiederholungstäter häufiger und härter bestraft, insbesondere wenn sie als gemeingefährlich oder als Risiko für die öffentliche Sicherheit eingeschätzt werden. Die Herausforderung bleibt: Wie kann eine Gesellschaft wirksam zwischen notwendigem Schutz und echter Resozialisierung abwägen?

Internationale Perspektiven und Reformdebatte

Während in Deutschland und vielen anderen Ländern der Haftvollzug und die Therapie immer noch weitgehend voneinander getrennt verlaufen, gibt es international innovative Modelle, die auf eine enge Verzahnung von Resozialisierung und gemeinnütziger Arbeit setzen. Besonders das norwegische System wird immer wieder als Vorbild genannt: Haftanstalten sind dort auf Reintegration statt Bestrafung ausgelegt, Rückfallquoten liegen mit 20 Prozent deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Auch Stimmen aus der britischen Bevölkerung fordern eine stärkere Fokussierung auf Resozialisierung und flexible Alternativen zur Haft, wie gemeinnützige Leistungen oder Bewährungsauflagen.

Vergleich: Rückfallquoten im internationalen Kontext

  • Norwegen: ca. 20 % Rückfallquote
  • Deutschland: 34–50 % (je nach Delikt und Vorstrafe)
  • Großbritannien: ca. 48 %

Hoffnungsträger: Innovative Konzepte und neue Wege

Neue Ansätze zeigen, dass gezielte Nachsorge und individuelle, risikobasierte Betreuung nach der Haft helfen können, die Rückfallquote signifikant zu senken. Programme wie „SIMA II“ in Hessen arbeiten mit speziell auf den Einzelfall zugeschnittenen Hilfen und erreichen dadurch Rückgangsraten von bis zu 74 Prozent bei ausgewählten Gruppen. Auch sozialtherapeutische Anstalten (SothA) zeigen, dass intensive Betreuung und langfristige Perspektiven den Teufelskreis aus Sucht, Straffälligkeit und Haft durchbrechen können – sofern ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen.

Der Fall des mehrfach vorbestraften Mannes aus Bruchsal wirft kein gutes Licht auf das bestehende System – doch er steht nicht allein. Er zeigt eindringlich, wie schwierig es ist, Menschen mit einer komplexen Sucht- und Straftatenbiografie nachhaltig zu resozialisieren und die Gesellschaft zugleich zu schützen. Solange Therapieplätze rar sind, der Maßregelvollzug hohe Zugangshürden setzt und Drogen auch im Gefängnisalltag präsent bleiben, wird der Kreislauf der Rückfälligkeit kaum zu durchbrechen sein. Die Debatte um neue Wege in der Strafvollzugs- und Suchtpolitik ist damit aktueller denn je. Es bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auf allen Ebenen Lösungen zu suchen – und zu finden.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.