Ungewöhnliche Beute aus der Mülltonne Diebe haben es in Baden-Württemberg zunehmend auf altes Frittierfett abgesehen

In Stuttgart
Dezember 08, 2025

Stuttgart, 08. Dezember 2025 In den frühen Morgenstunden wirkt die Gasse hinter dem Restaurant beinahe still, nur der süßlich-schwere Geruch von altem Fett hängt noch in der Luft. Doch dort, wo sonst volle Sammeltonnen stehen, gähnt Leere. Was fehlt, ist kein Metall, kein Werkzeug – sondern Frittierfett, ein Stoff, der bislang kaum Beachtung fand und nun zum Ziel organisierter Diebe wird.

Im jüngsten Fall in Giengen an der Brenz drangen Unbekannte in eine verschlossene Garage ein und entwendeten eine mit rund 300 Litern altem Speisefett gefüllte Tonne. Die Polizei bestätigte den Einbruch. Es ist einer von mehreren Fällen im Land, die das Augenmerk auf ein Diebesgut lenken, das bisher als kaum wertvoll galt, nun aber in erheblichem Umfang entwendet wird. Die Vorfälle werfen Fragen auf – nicht nur zur Sicherheit, sondern zu den wirtschaftlichen Strukturen hinter diesem ungewöhnlichen Rohstoff.

Zunehmende Vorfälle in mehreren Regionen

Die Ermittlungsbehörden beobachten eine auffällige Häufung ähnlicher Diebstähle in Baden-Württemberg. Wiederholt wurden in Sindelfingen, Ludwigsburg und im Rhein-Neckar-Kreis größere Mengen Altfett entwendet. In einem Fall bei Hockenheim gelang es den Beamten, mutmaßliche Täter mit zwölf vollen Fässern zu stoppen. Die Polizei in Ulm und Ludwigsburg prüft derzeit Verbindungen zwischen einzelnen Taten.

Obwohl die Landesregierung nach eigener Einschätzung nicht von einer flächendeckenden Problemlage ausgeht, unterstreichen die steigende Zahl von Anzeigen und die teilweise beträchtlichen Mengen an entwendetem Fett, dass sich ein Muster abzeichnet. Viele Betriebe berichten von wiederholten Vorfällen, manche sogar von strukturierten Angriffen auf Lagerbereiche.

Warum Frittierfett für Diebe plötzlich interessant wird

Altertümlich, schmierig, vermeintlich wertlos – so galt Frittierfett lange. Doch die Nachfrage nach recycelbaren Rohstoffen hat sich gewandelt. Aus gebrauchtem Frittierfett lässt sich Biodiesel oder HVO-Diesel herstellen, ein alternativer Kraftstoff, der in bestimmten Bereichen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dadurch ist Altfett zu einem marktfähigen Stoff geworden, für den sich legale wie illegale Akteure interessieren.

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Entsorger verweisen darauf, dass sich gestohlenes Fett oft außerhalb nachvollziehbarer Lieferketten wiederfindet. Es wird ohne Zertifizierung weiterverkauft und in inoffiziellen Strukturen verarbeitet. Dies erschwert nicht nur die Kontrolle, sondern schwächt auch etablierte Recyclingkreisläufe. Branchenverbände gehen von mehreren tausend Diebstählen pro Jahr in Deutschland aus, wobei die Dunkelziffer höher liegen dürfte.

Betroffene Branchen: Gastronomie und Entsorgung

Für Restaurants bedeuten solche Diebstähle mehr als nur den Verlust eines Nebenprodukts. Viele Betriebe erhalten eine Vergütung für die Abgabe ihres Altöls an zertifizierte Entsorger. Fällt diese Einnahmequelle weg, kann dies insbesondere kleinere Betriebe belasten. Hinzu kommt der organisatorische Aufwand: beschädigte Schlösser, gestörte Abläufe und Unsicherheiten bei der Lagerung.

Auch die Entsorgungswirtschaft sieht sich unter Druck. Die illegale Abzweigung großer Mengen erschwert verlässliche Planung und gefährdet bestehende Recyclingprozesse. Frittierfett lässt sich nur in kontrollierten Kreisläufen aufbereiten. Wird Material aus dubiosen Quellen beigemischt, besteht das Risiko, dass ganze Chargen unbrauchbar werden. Branchenvertreter warnen daher vor Folgen für Qualität, Umweltstandards und die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben.

Herausforderungen für Polizei und Ermittlungen

Obwohl die Taten in zahlreichen Gemeinden bekannt sind, verlaufen viele Ermittlungen zäh. Die Täter agieren häufig nachts, hinterlassen kaum Spuren und entkommen in Fahrzeugen, die speziell zum Abtransport schwerer Tonnen geeignet erscheinen. In mehreren Regionen arbeitet die Polizei daran, mögliche Tätergruppen in Verbindung zu bringen. Der Verdacht organisierter Strukturen steht im Raum, ist aber bislang nicht offiziell bestätigt.

Die Behörden raten Betrieben, ihre Lager stärker zu sichern – eine Empfehlung, die zunehmend als notwendig erscheint. Abschließbare Sammelbereiche, robuste Schlösser und regelmäßige Abholung des Altöls können helfen, das Risiko zu senken.

Ein Rohstoff mit unterschätztem Wert

Während die technische Nutzung des Frittierfetts seit Jahren etabliert ist, hat der Markt zuletzt an Dynamik gewonnen. Alternative Kraftstoffe spielen in politischen Debatten eine größere Rolle, was die Nachfrage nach recycelbaren Rohstoffen steigert. Mit der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung steigt jedoch auch das Interesse krimineller Akteure.

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Altes Speisefett gilt heute als Teil eines sensiblen Stoffkreislaufs. Jeder Verlust schwächt legale Verwertungswege und führt dazu, dass Materialien in unkontrollierte Strukturen abwandern. Dies belastet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Umweltstandards, die gerade in der Rückgewinnung von Rohstoffen streng geregelt sind.

Empfehlungen für Gastronomiebetriebe und Entsorger

  • Altes Frittier- und Speisefett möglichst zeitnah abholen lassen, um Lagerbestände gering zu halten.
  • Sammelbehälter und Lagerräume verschließen und nur autorisierten Personen zugänglich machen.
  • Mit zertifizierten Entsorgungsfachbetrieben zusammenarbeiten, um rechtssichere Entsorgungsketten zu gewährleisten.
  • Verdächtige Beobachtungen dokumentieren und der Polizei melden – auch bei geringen Mengen.

Wenn selbst Abfall zum Diebesgut wird

Die Fälle aus Baden-Württemberg zeigen, wie sich die Wertschätzung vermeintlicher Abfallprodukte verschiebt. Frittierfett, das früher kaum Beachtung fand, ist heute ein begehrter Rohstoff, dessen Entwendung weitreichende Folgen haben kann. Die zunehmenden Diebstähle verdeutlichen, dass selbst unscheinbare Stoffe Teil globaler Verwertungsketten sind – und damit in das Blickfeld krimineller Strukturen geraten.

Verantwortung und Kreisläufe

Die jüngsten Entwicklungen führen vor Augen, wie eng ökonomische Interessen, ökologische Verantwortung und Sicherheitsfragen miteinander verknüpft sind. Frittierfett ist längst mehr als ein Restprodukt aus der Küche – es ist ein Bestandteil eines komplexen Rohstoffkreislaufs, dessen Integrität geschützt werden muss. Der Umgang mit diesem Stoff erfordert daher nicht nur technische Expertise, sondern zunehmend auch ein Bewusstsein dafür, welche Rolle selbst unscheinbare Ressourcen im Alltag spielen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.