
Ein ungewöhnlicher Chor mit Geschichte
Die Rosa Note wurde Anfang der 1990er-Jahre gegründet – eine Zeit, in der schwule Sichtbarkeit im öffentlichen Raum noch längst keine Selbstverständlichkeit war. Was als mutiges Projekt begann, ist heute ein etablierter Bestandteil der Stuttgarter Kulturlandschaft. Von Anfang an verstand sich der Chor als mehr als nur eine musikalische Gruppe: Die Rosa Note ist Bühne, Protest, Humor und Zusammenhalt zugleich.
Anders als klassische Männerchöre kombiniert das Ensemble Chorgesang mit Kabarett-Elementen – eine Mischung, die intern als „Chorkabarett total“ bezeichnet wird. Dabei werden Lieder aus nahezu allen Genres verwendet: Pop, Rock, Chanson, Jazz, Schlager, Musical, Kirchenmusik und sogar Volkslieder und klassische Werke finden ihren Platz im Repertoire. Was die Darbietungen besonders macht, ist jedoch die kreative Rahmung: Eigenverfasste Texte, choreografierte Szenen und visuell durchdachte Inszenierungen schaffen ein Gesamtkunstwerk auf der Bühne.
Engagiert, vernetzt und politisch
Die Rosa Note ist weit mehr als nur ein musikalisches Projekt – sie ist auch politisch aktiv und gesellschaftlich verankert. Der Chor ist Mitglied im LSBTTIQ-Zentrum Weissenburg e. V. und Teil des europäischen Dachverbands LEGATO, der queere Chöre vernetzt. Auftritte bei CSD-Veranstaltungen, Gedenktagen wie dem Welt-AIDS-Tag und politischen Kundgebungen gehören seit Jahrzehnten zum Jahresprogramm. Immer wieder bezieht der Chor klar Stellung – für Vielfalt, gegen Diskriminierung und für ein demokratisches Miteinander.
Ein Mitglied des künstlerischen Beirats formulierte es einmal so: „Wir wollen keine Moralpredigt halten. Wir zeigen unsere Haltung mit Haltung – und manchmal auch mit High Heels und Glitzer.“
Ein Blick hinter die Kulissen: Die kreative Mannschaft
Hinter der Bühne arbeitet ein kleines, aber engagiertes Team an der professionellen Umsetzung der Programme. Der Pianist Marius Traus begleitet die Rosa Note bereits seit über 20 Jahren und bringt klassische Ausbildung sowie viel Bühnenerfahrung ein. Für das visuelle und dramaturgische Konzept sorgt unter anderem Gerd „Mäffi“ Adelmann – verantwortlich für Requisite, Licht, Bühnenbild und mitverantwortlich für viele der Texte und Inszenierungsideen. Seine Erfahrung beim Stuttgarter Ballett kommt dem Chor besonders bei den aufwendigen Bühnenshows zugute.
Programme mit Tiefgang – und Humor
Die künstlerischen Programme der Rosa Note sind oft thematisch gerahmt und nehmen Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen. Das 2022er Programm trug den Titel „INZIdance“ – eine humorvolle Wortschöpfung in Anlehnung an das Pandemiegeschehen. Es verband Tanz, Popmusik und gesellschaftskritische Töne in einer kraftvollen Bühnenshow. Auch das aktuelle Programm „Rosa Note hautnah“ (2024) steht ganz im Zeichen politischer Reibungspunkte: Klassische Kirchenmusik trifft auf Popsongs, während Themen wie Homophobie, Online-Dating oder gesellschaftliche Ausgrenzung künstlerisch verarbeitet werden.
Ein zentrales Element war dabei die Kombination von Mozarts „Dies Irae“ mit aktuellen Nachrichten aus Uganda, wo homosexuelle Handlungen unter Strafe stehen. Die künstlerische Botschaft ist dabei klar: Queere Menschen haben weltweit noch immer mit Gewalt, Diskriminierung und Angst zu kämpfen – ein Thema, das auch auf deutschen Bühnen mehr Sichtbarkeit verdient.
Typische Elemente einer Rosa-Note-Produktion:
- Musikalischer Mix aus Pop, Chanson, Klassik und Jazz
- Eigene Liedtexte mit gesellschaftlichem Kommentar
- Choreografierte Gruppenszenen und Requisiten
- Einbindung tagespolitischer Themen
- Humorvoller Zugang zu ernsten Inhalten
Generationenwechsel: Abschied und Aufbruch
Ein besonderes Ereignis war der Abschied von Chorgründer und langjährigem musikalischen Leiter Amadeus Hoffmann. Seit der Gründung im Jahr 1991 prägte er den Stil, die Inhalte und die Ausrichtung der Rosa Note maßgeblich. Im Juni 2024 verabschiedete er sich mit einem Doppelkonzert im Theater der Altstadt – dem Ort, an dem viele der Programme über die Jahre ihre Premiere feierten.
Mit **Emilia Schneider**, einer jungen Dirigentin mit klassischer Ausbildung und frischen Ideen, übernimmt nun eine neue Generation die Leitung. Mit nur 24 Jahren steht sie vor der Aufgabe, das künstlerische Niveau zu halten, neue Impulse zu setzen und die politischen wie kulturellen Traditionen des Chors weiterzutragen.
Die Resonanz innerhalb der Community ist überwiegend positiv: Viele begrüßen die neue Energie und erhoffen sich noch stärkere Verbindungen zu jungen queeren Initiativen. Schneider selbst äußerte sich in einem Interview mit einem queeren Radiosender: „Ich will das Erbe ehren, aber nicht erstarren. Die Rosa Note ist ein lebendiger Organismus.“
Ein Chor im Wandel der Zeit
Die Rosa Note steht exemplarisch für eine ganze Generation queerer Männerchöre in Deutschland. Viele dieser Ensembles entstanden Anfang der 1990er-Jahre im Kontext der AIDS-Krise und als Reaktion auf eine heteronormative Kulturlandschaft. Heute haben sie sich professionalisiert, sind in Festivals und Institutionen präsent und tragen aktiv zur Vielfalt des Kulturbetriebs bei.
Weitere bekannte queere Männerchöre im deutschsprachigen Raum:
Chor | Stadt | Gründungsjahr |
---|---|---|
Zauberflöten | Köln | 1994 |
Rosa Kehlchen | Heidelberg | 1992 |
Männer-Minne | Berlin | 1987 |
Die Rosa Note hebt sich durch ihre spezifische Verbindung aus Kabarett, Musik und politischem Anspruch besonders hervor. Ihre Programme sind weniger klassische Konzerte als vielmehr Bühnenstücke mit Tiefgang – oft ironisch, nie zynisch.
Rosa Note als kulturelles Aushängeschild
Auch über die Bühne hinaus ist der Chor aktiv: Im Jahr 2022 war er Teil einer Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, was die kulturelle Relevanz deutlich unterstreicht. Zudem war die Rosa Note „Chor der Woche“ bei lulu.fm – einem queeren Radiosender mit bundesweiter Reichweite. Diese mediale Präsenz ist wichtig, denn trotz gestiegener gesellschaftlicher Akzeptanz bleibt Sichtbarkeit für queere Kulturprojekte ein zentrales Anliegen.
Hinzu kommt das Engagement im digitalen Raum: Auf YouTube veröffentlicht die Rosa Note regelmäßig Interviews, Trailer und Konzertmitschnitte – professionell produziert und mit viel Storytelling. Das Ensemble zeigt sich dabei als selbstbewusste, aber nahbare Gruppe: „ein durchgeknallter Haufen“, wie es in einem Clip selbstironisch heißt.
Ein Vorbild mit Zukunft
Die Rosa Note ist mehr als nur ein Chor. Sie ist ein lebendiges Beispiel für kulturelle Selbstermächtigung, kreative Ausdrucksfreude und politischen Gestaltungswillen. In einer Gesellschaft, die zunehmend polarisiert scheint, ist die Rosa Note ein wohltuender Gegenpol: laut, bunt, liebevoll und mutig. Der bevorstehende Generationenwechsel eröffnet Chancen für neue Wege – ohne die Wurzeln zu vergessen.
Wer einmal ein Konzert dieses Ensembles besucht hat, verlässt den Saal nicht nur musikalisch berührt, sondern auch gesellschaftlich inspiriert. Stuttgart kann sich glücklich schätzen, einen solchen Chor in seinen Reihen zu wissen.