IGeL Patientenbeauftragter fordert Stopp unnötiger IGeL-Leistungen in Arztpraxen

In Politik
Dezember 29, 2025

Berlin, 29. Dezember 2025 – In vielen Arztpraxen gehört sie längst zum Alltag: die Frage, ob eine zusätzliche Untersuchung sinnvoll sei, auch wenn sie selbst bezahlt werden muss. Zwischen medizinischer Vorsorge, wirtschaftlichem Druck und Unsicherheit auf Patientenseite entsteht ein Spannungsfeld, das immer häufiger öffentlich diskutiert wird.

Nun hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung eine Debatte neu entfacht. Mit deutlichen Worten fordert er, bestimmte ärztliche Zusatzleistungen zu beenden – weil sie keinen belegbaren Nutzen haben und das Vertrauen in das Gesundheitssystem gefährden könnten.

IGeL-Leistungen im Fokus der Kritik

Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), hat sich mit ungewöhnlicher Klarheit zu sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, positioniert. Diese Leistungen, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehören und von Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden müssen, seien in Teilen medizinisch überflüssig. Einige Angebote bezeichnete Schwartze öffentlich als „ganz einfach unnütz“.

Im Zentrum seiner Kritik steht der Umstand, dass zahlreiche IGeL-Leistungen trotz fehlender wissenschaftlicher Evidenz regelmäßig angeboten werden. Dabei gehe es nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem, das Millionen gesetzlich Versicherte betreffe. Schwartze sieht hier nicht nur eine medizinische, sondern auch eine ethische Verantwortung der Ärzteschaft.

Was unter Individuellen Gesundheitsleistungen verstanden wird

IGeL-Leistungen umfassen ein breites Spektrum medizinischer Angebote. Dazu zählen zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen, erweiterte Diagnostik oder spezielle Behandlungen, die über das hinausgehen, was gesetzliche Krankenkassen finanzieren. Besonders häufig werden diese Leistungen in der Augenheilkunde, der Gynäkologie, der Orthopädie sowie in der Allgemeinmedizin angeboten.

Für viele Patientinnen und Patienten ist jedoch schwer nachvollziehbar, warum bestimmte Untersuchungen nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Oft entsteht der Eindruck, dass medizinisch Sinnvolles vorenthalten werde, obwohl tatsächlich genau das Gegenteil der Fall sein kann. Fachgesellschaften und unabhängige Bewertungsstellen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass einige dieser Leistungen keinen nachweisbaren Nutzen bringen.

Zwischen Vorsorgeversprechen und Fehlanreizen

Besonders umstritten sind zusätzliche Ultraschalluntersuchungen zur Krebsfrüherkennung, etwa bei Eierstock- oder Gebärmutterkrebs. Medizinische Leitlinien raten hiervon ab, da sie die Sterblichkeit nicht senken, aber häufig zu falsch-positiven Befunden führen. Diese können weitere Untersuchungen, invasive Eingriffe und erhebliche psychische Belastungen nach sich ziehen.

Der Patientenbeauftragte kritisiert, dass solche Leistungen dennoch aktiv beworben werden. Dabei entstehe ein Fehlanreiz: Was medizinisch nicht empfohlen sei, werde wirtschaftlich attraktiv gemacht. Für Schwartze ist das ein Kernproblem der aktuellen IGeL-Praxis.

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Gefühlter Druck in den Arztpraxen

Ein zentrales Argument in der Debatte um IGeL-Leistungen ist das subjektive Erleben der Patientinnen und Patienten. Viele berichten davon, sich unter Druck gesetzt zu fühlen. Die Situation ist bekannt: Im Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt wird eine zusätzliche Untersuchung angeboten – verbunden mit dem Hinweis, dass man damit „auf Nummer sicher“ gehe.

Gerade für medizinische Laien ist es kaum möglich, den tatsächlichen Nutzen solcher Angebote einzuschätzen. Die Angst, eine ernsthafte Erkrankung zu übersehen, wiegt schwer. Schwartze sieht darin eine strukturelle Schieflage: Wer medizinische Autorität besitzt, trage eine besondere Verantwortung, diese nicht zur Verunsicherung auszunutzen.

Milliardenmarkt ohne klare Regeln

Schätzungen zufolge geben gesetzlich Versicherte in Deutschland jährlich mehrere Milliarden Euro für IGeL-Leistungen aus. Trotz dieser Dimension existieren bislang nur begrenzte regulatorische Vorgaben. Zwar sind Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, vorab über Kosten aufzuklären, doch über Nutzen und Risiken wird häufig nur unzureichend informiert.

Der Patientenbeauftragte fordert daher strengere Informationspflichten. Patienten müssten klar erkennen können, ob eine Leistung medizinisch sinnvoll, umstritten oder sogar potenziell schädlich sei. Transparenz sei die Grundlage für selbstbestimmte Entscheidungen.

Zwischen Therapiefreiheit und Patientenschutz

Die Forderung nach einem Stopp bestimmter IGeL-Leistungen stößt nicht überall auf Zustimmung. Vertreter ärztlicher Standesorganisationen warnen davor, pauschale Verbote auszusprechen. Sie verweisen auf die Therapiefreiheit, die es ermögliche, individuell auf Patientenbedürfnisse einzugehen.

Auch rechtlich gilt die Frage als komplex. Ein generelles Verbot einzelner Leistungen könnte als Eingriff in die Berufsfreiheit gewertet werden. Zudem betonen Kritiker, dass nicht jede nicht von Krankenkassen finanzierte Leistung automatisch nutzlos sei.

Schwartzes Ansatz: Begrenzen statt verbieten

Der Patientenbeauftragte spricht sich nicht für ein umfassendes Verbot aller IGeL-Leistungen aus. Vielmehr fordert er eine klare Trennlinie zwischen medizinisch sinnvollen Zusatzangeboten und solchen, die nachweislich keinen Nutzen haben oder sogar schaden können.

Besonders Leistungen, die von medizinischen Fachgesellschaften ausdrücklich als ungeeignet bewertet werden, sollten nach seiner Auffassung nicht mehr angeboten werden dürfen. Damit wolle er nicht die ärztliche Freiheit einschränken, sondern Patientinnen und Patienten vor Fehlentscheidungen schützen.

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Forderungen im Überblick

  • Stopp medizinischer Zusatzleistungen ohne belegten Nutzen
  • Verpflichtende, verständliche Aufklärung über Nutzen und Risiken
  • Unabhängige Entscheidungshilfen für Patientinnen und Patienten
  • Mehr Transparenz über wissenschaftliche Bewertungen

Ein System unter Reformdruck

Die Debatte um IGeL-Leistungen ist Teil einer größeren gesundheitspolitischen Diskussion. Immer häufiger wird die Frage gestellt, wie Überversorgung vermieden und gleichzeitig eine hochwertige medizinische Betreuung gewährleistet werden kann. Internationale Initiativen zeigen, dass auch in anderen Ländern der Fokus zunehmend auf evidenzbasierter Medizin liegt.

In Deutschland trifft diese Diskussion auf ein Gesundheitssystem, das stark von Solidarität geprägt ist. Zusätzliche Selbstzahlerleistungen stehen dabei in einem Spannungsverhältnis zu dem Anspruch, allen Versicherten eine gleichwertige Versorgung zu ermöglichen.

Vertrauen als zentrale Währung

Für Stefan Schwartze steht fest, dass es in der Debatte letztlich um Vertrauen geht. Vertrauen in die ärztliche Beratung, in medizinische Empfehlungen und in die Fairness des Systems. Werden Leistungen angeboten, die nachweislich keinen Nutzen haben, gerate dieses Vertrauen ins Wanken.

Der Patientenbeauftragte sieht seine Initiative daher nicht als Angriff auf die Ärzteschaft, sondern als Impuls für eine ehrliche Auseinandersetzung. Medizinische Qualität müsse sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren – nicht an wirtschaftlichen Interessen.

Ein Weg zu informierten Entscheidungen

Für Patientinnen und Patienten bleibt die Herausforderung, medizinische Angebote richtig einzuordnen. Eine klare, transparente und verständliche Kommunikation könnte helfen, Unsicherheiten zu reduzieren. Schwartzes Vorstoß zielt genau darauf ab: die Entscheidungshoheit der Patienten zu stärken, ohne sie allein zu lassen.

Ob und in welchem Umfang politische Konsequenzen folgen, ist offen. Sicher ist jedoch, dass die Diskussion um IGeL-Leistungen weiter an Bedeutung gewinnen wird. Sie berührt zentrale Fragen der modernen Medizin: Was ist sinnvoll, was ist notwendig – und was sollte besser unterlassen werden.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.