
Berlin, 11. November 2025. Ein leises Summen, das durch die nächtliche Luft hallt, dann das Aufblitzen von Landescheinwerfern über dem Rollfeld des Flughafens Hannover: In dieser Nacht landeten erneut afghanische Familien, deren Aufnahme nach Deutschland lange ausgesetzt war. Nach Jahren des Wartens und juristischer Unsicherheit sind sie nun angekommen – Teil eines humanitären Aufnahmeprogramms, das politisch umstritten und rechtlich bindend zugleich ist.
Hintergrund: Das Bundesaufnahmeprogramm und sein Stillstand
Das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen wurde im Oktober 2022 ins Leben gerufen. Ziel war es, Personen, die in Afghanistan aufgrund ihrer Tätigkeit oder ihrer Lebenssituation besonders gefährdet sind – darunter Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten und ehemalige Ortskräfte – eine sichere Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes und mehrerer Hilfsorganisationen wurden bisher weniger als 1.600 Personen aufgenommen.
Seit Mitte 2023 stand das Programm jedoch still. Ein Regierungsbeschluss hatte neue Aufnahmen vorläufig gestoppt, während laufende Verfahren überprüft wurden. Trotzdem blieb Deutschland rechtlich verpflichtet, bereits erteilte Zusagen einzuhalten. „Deutschland muss sich an das halten, was in der Vergangenheit zugesagt wurde“, erklärte CDU-Politiker Johann Wadephul im Gespräch mit der Presse. Mehrere Gerichtsentscheidungen bestätigten diese Linie: Personen mit rechtskräftiger Zusage dürfen einreisen – unabhängig vom politischen Kurswechsel.
Aktuelle Einreisen: Von Islamabad nach Hannover
Am vergangenen Wochenende landeten mehrere Flüge aus Islamabad mit Zwischenstopp in Istanbul auf deutschem Boden. Die Ankünfte wurden unter anderem vom Deutschlandfunk, Infomigrants und Handelsblatt bestätigt. Demnach handelte es sich um Gruppen von 14 bis 28 Afghaninnen und Afghanen, die bereits seit Monaten in Pakistan auf ihre Ausreise gewartet hatten. Vor jedem Abflug erfolgten Sicherheits- und Dokumentenprüfungen durch das Bundesinnenministerium. Organisiert wurden viele der Reisen in Kooperation mit der zivilen Initiative Kabul Luftbrücke.
Nach Angaben aus Regierungs- und NGO-Kreisen warten derzeit rund 2.400 Afghaninnen und Afghanen mit gültiger Aufnahmezusage auf ihre Einreise nach Deutschland. Schätzungen von Hilfsorganisationen sprechen sogar von bis zu 17.000 weiteren Personen, die sich noch in der Vorprüfung befinden. Parallel dazu gelten in Deutschland rund 11.500 afghanische Staatsbürger als ausreisepflichtig, davon etwa 9.600 mit Duldungsstatus – ein Spiegel der komplexen Migrationslage zwischen humanitärer Verantwortung und politischem Druck.
Rechtliche Verpflichtungen und politische Spannungen
Während die Bundesregierung das Programm faktisch beenden möchte, erzwingen rechtliche und humanitäre Argumente weiterhin einzelne Einreisen. Das Berliner Verwaltungsgericht stellte klar, dass die Bundesrepublik gegenüber Personen mit bereits erteilten Visa zur Aufnahme verpflichtet bleibt. Dies führt zu einem Spannungsfeld: Einerseits bemüht sich die Regierung, neue Zusagen zu vermeiden, andererseits können laufende Verfahren nicht einfach gestoppt werden.
In sozialen Netzwerken wie Reddit diskutieren Beobachter die Ungleichgewichte zwischen politischer Verantwortung und humanitärem Anspruch. Nutzer verweisen auf die lange Dauer der Verfahren, fehlende Kommunikation und Unsicherheit für die Betroffenen. „Fewer than 1,600 arrived in over two years due to holdups and the cancellation of flights,“ heißt es in einem vielbeachteten Diskussionsbeitrag. Diese Stimmen zeigen die menschliche Seite eines bürokratisch geprägten Prozesses – das Gefühl, zwischen zwei Systemen festzustecken.
Finanzielle Angebote und Kritik
Im Sommer 2025 wurde bekannt, dass Deutschland afghanischen Antragstellenden in Pakistan finanzielle Anreize bot, wenn sie auf ihre Aufnahme verzichten – bis zu 6.500 Euro insgesamt. Diese Maßnahme sollte den Druck auf das überlastete Aufnahmeverfahren verringern, stieß jedoch auf scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Sie warfen der Bundesregierung vor, Verpflichtungen zu umgehen, anstatt Lösungen zu schaffen.
Wer darf kommen – und wer bleibt zurück?
Das Aufnahmeprogramm richtet sich ausschließlich an besonders gefährdete Personen. Dazu gehören Menschen, die durch ihre Arbeit oder ihr Engagement in Afghanistan in Lebensgefahr geraten sind. Eine Eigenbewerbung ist nicht möglich. Stattdessen werden gefährdete Personen von autorisierten Organisationen vorgeschlagen, die ihre Situation prüfen und an das Bundesinnenministerium melden.
Auch Familienangehörige dürfen mitreisen, sofern eine enge familiäre Beziehung besteht. Die Aufnahme erfolgt nur nach gründlicher Sicherheitsprüfung und Identitätsfeststellung. Dennoch bleibt der Weg für viele versperrt – insbesondere für jene, die ohne offizielle Zusage Schutz suchen.
Statistische Übersicht der aktuellen Lage
| Kategorie | Zahl (Stand 2025) |
|---|---|
| Eingereiste Afghaninnen und Afghanen mit Zusage | ca. 1.600 |
| Wartende mit gültiger Aufnahmezusage | rund 2.400 |
| Personen in Vorprüfung | bis zu 17.000 |
| Afghanische Staatsbürger mit Duldung in Deutschland | ca. 9.600 |
Ausblick: Zwischen Verpflichtung und Verantwortung
Die aktuelle Entwicklung markiert keine Rückkehr zu einem regulären Aufnahmeprogramm, sondern vielmehr das Abarbeiten rechtlicher Verpflichtungen. Dennoch hat jeder Flug symbolische Bedeutung – für die Menschen, die ankommen, und für die deutsche Politik, die zwischen humanitärem Anspruch und innenpolitischem Druck balanciert.
Während Hilfsorganisationen eine verlässliche Fortführung fordern, betont die Bundesregierung die Notwendigkeit, bestehende Verfahren zügig, aber begrenzt abzuschließen. Ob dies gelingt, bleibt offen. Sicher ist nur: Für jene, die in dieser Woche deutschen Boden betreten haben, endet eine lange Zeit der Ungewissheit – und für viele andere beginnt sie erst.

































