
Berlin, 15. Dezember 2025 – Es ist eine Zeit der Lichter, der Besuche, der Nähe. Während sich Familien auf die Feiertage vorbereiten, richten Epidemiologen den Blick auf nüchterne Kurven und Tabellen. Die Zahlen, die derzeit aus den Meldesystemen des Robert Koch-Instituts kommen, deuten auf einen frühen Start der Grippesaison hin – früher als in den vergangenen Jahren.
Die entscheidende Frage lautet daher: Entwickelt sich daraus über Weihnachten eine ausgeprägte Grippewelle – oder bleibt es bei einem ungewöhnlich frühen, aber kontrollierten Anstieg?
Nach aktuellen Auswertungen des Robert Koch-Instituts (RKI) hat die diesjährige Grippesaison in Deutschland bereits Ende November eingesetzt. Damit beginnt die Influenzawelle zwei bis drei Wochen früher als in den Vorjahren. Maßgeblich für diese Einschätzung ist die Kombination aus steigenden Influenzanachweisen in den virologischen Sentinel-Systemen und einer erhöhten Aktivität akuter Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung. In der epidemiologischen Bewertung erfüllt diese Entwicklung die Kriterien für den offiziellen Beginn der Grippewelle – ein Zeitpunkt, der üblicherweise erst im Januar erreicht wird.
Ein früher Start – messbar und belegt
In der 48. und 49. Kalenderwoche lag der Anteil positiver Influenzanachweise in den eingesandten Proben deutlich über dem saisonalen Schwellenwert. Rund ein Drittel der untersuchten Proben enthielt Influenzaviren, überwiegend vom Typ Influenza A. Besonders häufig wurden die Subtypen A(H3N2) und A(H1N1)pdm09 nachgewiesen. Diese Entwicklung markiert nach den Bewertungsmaßstäben des RKI den Beginn der Grippesaison und weist auf eine zunehmende Viruszirkulation hin.
Parallel dazu zeigt auch das GrippeWeb-System, das auf wöchentlichen Selbstauskünften aus der Bevölkerung basiert, eine hohe Aktivität akuter Atemwegserkrankungen. Hochgerechnet berichteten zuletzt mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland über entsprechende Symptome. Diese Zahl umfasst zwar nicht ausschließlich Influenza, verdeutlicht aber die insgesamt angespannte Lage bei respiratorischen Infekten.
Grippewelle zu Weihnachten? Was die Daten sagen – und was nicht
Ob sich aus dem frühen Start zwangsläufig eine besonders starke Grippewelle zu Weihnachten entwickelt, lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht eindeutig ableiten. Die Surveillance-Systeme erfassen Trends, keine Prognosen. Klar ist jedoch: Ein früher Beginn verlängert den Zeitraum, in dem Influenzaviren zirkulieren. Damit steigt statistisch die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Feiertage in eine Phase erhöhter Aktivität fallen.
Gleichzeitig bleibt die Zahl schwerer Krankheitsverläufe bislang begrenzt. Die Überwachung schwerer akuter respiratorischer Infektionen in Krankenhäusern zeigt zwar Influenzanachweise, aber noch keinen sprunghaften Anstieg von Hospitalisierungen. Die Belastung der Intensivstationen liegt derzeit im saisonal erwartbaren Bereich.
Europaweit ähnliche Signale
Deutschland ist mit dieser Entwicklung nicht allein. Auch in mehreren europäischen Nachbarländern verzeichnen Gesundheitsbehörden einen frühen Anstieg der Influenzaaktivität. Besonders auffällig ist dabei die Dominanz des Subtyps A(H3N2), der in früheren Wintern mit höheren Erkrankungszahlen bei älteren Menschen in Verbindung gebracht wurde. Diese Parallelen stützen die Einschätzung, dass es sich nicht um ein lokales Phänomen handelt, sondern um einen breiter angelegten saisonalen Trend.
Zwischen Influenza, Corona und Erkältungsviren
Ein entscheidender Aspekt der aktuellen Lage ist die gleichzeitige Zirkulation mehrerer Atemwegserreger. Neben Influenzaviren werden weiterhin SARS-CoV-2 sowie Rhinoviren regelmäßig nachgewiesen. Für die Bewertung der Grippewelle bedeutet das: Nicht jede Atemwegserkrankung ist eine Grippe, doch die parallele Verbreitung erhöht insgesamt den Druck auf Arztpraxen und Kliniken.
Die Abgrenzung erfolgt über Labordiagnostik und Sentinel-Erhebungen. Dort zeigt sich, dass Influenza inzwischen einen wachsenden Anteil am Gesamtgeschehen einnimmt – ein typisches Merkmal für den Übergang in die Grippesaison.
Welche Viren derzeit dominieren
- Influenza A(H3N2) mit steigender Nachweisrate
- Influenza A(H1N1)pdm09 in relevanter Häufigkeit
- Influenza B bislang nur vereinzelt
- SARS-CoV-2 und Rhinoviren weiterhin präsent
Impfquote als kritischer Faktor
Besondere Aufmerksamkeit erhält in diesem Winter die Impfquote. Nach aktuellen Erhebungen liegt die Influenza-Impfquote bei Menschen über 60 Jahren bei etwas mehr als einem Drittel. Damit bleibt sie deutlich unter den Zielwerten, die Fachgremien für einen wirksamen Bevölkerungsschutz empfehlen. Gerade diese Altersgruppe trägt jedoch ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe einer Grippewelle.
Der frühe Beginn der Grippesaison trifft somit auf eine vergleichsweise geringe Immunisierung in den besonders vulnerablen Gruppen. Epidemiologisch erhöht diese Konstellation die Wahrscheinlichkeit schwerer Krankheitsverläufe im weiteren Saisonverlauf, auch wenn sich daraus derzeit noch keine akute Überlastung des Gesundheitssystems ableiten lässt.
Regionale Unterschiede innerhalb Deutschlands
Die RKI-Daten zeigen zudem deutliche regionale Unterschiede. In einzelnen Bundesländern wurden bereits in den ersten Adventswochen erhöhte Influenzaraten gemeldet, während andere Regionen noch unterhalb vergleichbarer Schwellenwerte liegen. Solche zeitlichen Verschiebungen sind typisch für die Ausbreitung einer Grippewelle und spiegeln unterschiedliche Kontaktmuster, Bevölkerungsdichten und regionale Mobilität wider.
Historischer Vergleich: Früh, aber nicht beispiellos
Ein Blick in die vergangenen Jahrzehnte zeigt: Auch früher einsetzende Grippesaisons hat es gegeben, wenn auch selten. In den letzten Jahren begann die Grippewelle meist erst nach dem Jahreswechsel. Der jetzige Verlauf sticht daher heraus, ohne epidemiologisch völlig aus dem Rahmen zu fallen. Entscheidend wird sein, ob die Fallzahlen weiter kontinuierlich steigen oder sich auf moderatem Niveau stabilisieren.
Was in den kommenden Wochen entscheidend wird
Mit Blick auf Weihnachten richten sich die Erwartungen auf die nächsten Wochenberichte des RKI. Sie werden zeigen, ob die Positivenraten weiter zunehmen, ob sich Influenza B stärker ausbreitet und ob sich die Lage in den Krankenhäusern verändert. Erst diese Daten erlauben eine belastbare Einschätzung der Intensität der Grippewelle.
Ein Winter mit verlängertem Risiko
Schon jetzt lässt sich festhalten: Deutschland steuert auf einen Winter zu, in dem die Grippesaison früher beginnt und länger andauern dürfte als zuletzt gewohnt. Ob daraus zu Weihnachten eine ausgeprägte Grippewelle entsteht, bleibt offen. Die vorliegenden Daten zeichnen jedoch ein klares Bild erhöhter Aktivität – und unterstreichen die Bedeutung von Prävention, Aufmerksamkeit und einem nüchternen Blick auf die epidemiische Lage in einer Zeit, in der Nähe und Begegnung zum Alltag gehören.