Cannstatter Volksfest: Verbraucherzentrale zieht wegen Abzocke-Vorwürfen vor Gericht

In Stuttgart
September 30, 2025

Stuttgart – Mitten zum Start des Cannstatter Volksfestes flammt ein Streit zwischen Verbraucherschützern und Festzeltbetreibern auf. Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg (VZ BW) wirft mehreren Wirten überhöhte Gebühren und intransparente Geschäftsbedingungen vor. Nun geht die Auseinandersetzung in die nächste Runde: Gegen fünf Festzeltbetreiber sind Klagen eingereicht worden, die Gerichte sollen Klarheit schaffen.

Der Streit um die Reservierungsgebühren am Wasen

Hintergrund: Was die Verbraucherzentrale moniert

Die VZ BW hatte bereits im Frühjahr 2025 die Reservierungssysteme aller acht großen Festzelte und der Almhütte Royal unter die Lupe genommen. Dabei wurden zahlreiche Auffälligkeiten festgestellt: Versandkosten zwischen 10 und 18 Euro, Bearbeitungsgebühren zwischen 5 und 15 Euro sowie Verzehrgutscheine, die nur am Reservierungstag gültig waren. Nach Ansicht der Verbraucherschützer widersprechen solche Praktiken dem geltenden Verbraucherrecht. Lediglich tatsächlich entstehende Kosten dürfen weitergegeben werden – viele Posten erschienen jedoch künstlich aufgebläht.

Klagen gegen fünf Festzeltbetreiber

Da nicht alle Wirte bereit waren, Unterlassungserklärungen abzugeben, zog die Verbraucherzentrale vor Gericht. Betroffen sind unter anderem bekannte Namen wie Sonja Merz, Wilhelmer Festbetriebe, Göckelesmaier, Weeber Festzeltbetrieb GmbH und Mörz Festzeltbetriebs GmbH. Andere Betreiber, darunter Klauss & Klauss sowie Marcel Benz, lenkten nach den Abmahnungen ein und passten ihre Bedingungen an. Die Verfahren gegen die verbliebenen Zelte sollen nun juristisch klären, welche Kosten zulässig sind.

Das Preissystem der Festzelte im Detail

Versand- und Bearbeitungsgebühren im Fokus

Die Kritik entzündet sich vor allem an den Zusatzkosten, die über den eigentlichen Tischpreis hinausgehen. So wurden für den Versand von Eintrittsbändchen oder Gutscheinen bis zu 18 Euro verlangt. Hinzu kamen Bearbeitungsgebühren von bis zu 15 Euro. Verbraucherschützer argumentieren, dass Porto- und Verpackungskosten in dieser Höhe nicht gerechtfertigt seien. Wirte wiederum verweisen auf den Aufwand für Versicherung und Logistik.

Verzehrgutscheine und Mindestverzehr

Eine weitere Streitfrage betrifft den verpflichtenden Mindestverzehr. Je nach Tag und Kategorie mussten Besucher zwischen 16,50 Euro und bis zu 156,20 Euro pro Person in Form von Gutscheinen erwerben. Besonders an Wochenenden lag der Mindestverzehr bei rund 60 bis 70 Euro. Problematisch war zudem, dass viele Gutscheine nur am Reservierungstag eingelöst werden konnten. Wer krankheitsbedingt fehlte oder weniger konsumierte, verlor den Restwert. In sozialen Medien schilderten Besucher frustriert, dass sie deutlich mehr bezahlt hätten, als sie letztlich verzehren konnten.

Preissteigerungen als Dauerthema

Auch jenseits der Reservierungsgebühren bewegt das Preisniveau die Gemüter. Eine Maß Bier kostet inzwischen rund 15 Euro – ein Wert, der im Vergleich zu den Vorjahren spürbar gestiegen ist. Für viele Familien und kleinere Gruppen stellt sich die Frage, ob ein Festzeltbesuch unter diesen Bedingungen noch erschwinglich ist. Der Vorwurf der „Abzocke“ trifft deshalb nicht nur die Zusatzkosten, sondern auch die generelle Preisentwicklung.

Positionen der Wirte: Verteidigung und Gegenangriffe

Vorwürfe gegen die Verbraucherzentrale

Die Festzeltbetreiber weisen die Kritik entschieden zurück. Ein Sprecher bezeichnete die Klagen als „reine Geldmacherei“. Man sei transparent, alle Kosten würden auf den Webseiten klar aufgeführt. Die Gäste hätten die Wahl: buchen oder es bleiben lassen. Zudem führe die frühe Öffentlichmachung der Verfahren zu einer ungerechtfertigten Vorverurteilung.

Argumente der Betreiber

Die Wirte verweisen auf hohen organisatorischen Aufwand: Versand und Bearbeitung seien nicht nur Postgebühren, sondern deckten Versicherung, Personal und Abwicklung ab. Ein Wirt erklärte: „Wenn wir Wertgutscheine verschicken, tragen wir die Verantwortung, dass diese sicher beim Kunden ankommen.“ Dieser Standpunkt steht im Kontrast zur Position der Verbraucherschützer, die solche Zusatzkosten nur in enger Bandbreite für legitim halten.

Erfahrungen von Besuchern: Stimmen aus Foren und Social Media

Gruppenreservierungen als Hürde

In Foren wie Reddit berichten Besucher, dass viele Pakete für mindestens fünf Personen ausgelegt sind. Für Einzelpersonen oder kleine Gruppen sei das kaum finanzierbar. „The price for 5 people is out of our budget… You have to book a table“, schrieb ein Nutzer. Dies führe dazu, dass kleinere Gruppen entweder auf den Besuch verzichten oder teure Restplätze aufkaufen müssen.

Sekundärmarkt für Reservierungen

Ein weiterer Aspekt: Manche Besucher kaufen ganze Tische und versuchen anschließend, Restplätze weiterzuverkaufen. Andere hoffen, vor Ort Tickets von Menschen zu erwerben, die ihre Plätze nicht nutzen. Dieses Phänomen deutet darauf hin, dass das offizielle Buchungssystem nicht flexibel genug auf individuelle Bedürfnisse reagiert.

Verlust von Restbeträgen

In sozialen Netzwerken häufen sich zudem Berichte über ungenutzte Restbeträge. Besucher schildern, dass sie gezwungen waren, deutlich mehr zu bezahlen, als sie tatsächlich konsumieren konnten. Da eine Rückerstattung in vielen Fällen ausgeschlossen ist, bleibt ein Gefühl von Benachteiligung zurück. Auf Facebook kommentierten Nutzer: „Warum soll ich 70 Euro im Voraus zahlen, wenn ich vielleicht nur für 40 Euro esse und trinke?“

Randzeiten als Chance

Einige Besucher berichten jedoch auch von positiven Erfahrungen. Wer werktags am Nachmittag erscheint, hat oft Chancen, ohne Reservierung ins Zelt zu kommen. Dies deutet darauf hin, dass der hohe Druck auf Reservierungen vor allem an den Abenden und Wochenenden besteht. Hier entsteht ein Spannungsfeld: Zwischen strenger Reservierungspflicht für garantierten Zugang und der tatsächlichen Möglichkeit, auch ohne Vorabbuchung mitzufeiern.

Einordnung: Reservierungspraktiken im größeren Kontext

Vergleich mit Festivals und anderen Events

Die Debatte am Cannstatter Wasen reiht sich ein in eine größere Diskussion um Zusatzkosten bei Veranstaltungen. Verbraucherzentralen haben in der Vergangenheit auch Festivalveranstalter abgemahnt, weil dort Gebühren für Bezahlchips oder Rückerstattungen erhoben wurden. Häufig stellte sich heraus, dass diese Zusatzkosten rechtlich unzulässig waren. Dies zeigt, dass die Kritik kein Einzelfall, sondern Teil eines generellen Trends ist.

Transparenzprobleme bei Eventgastronomie

Besonders problematisch ist die mangelnde Transparenz vieler Anbieter. So kritisierte die VZ BW, dass bei Reservierungen häufig unklar war, wie die Gutscheine genau einzulösen sind. In manchen Fällen fehlten aktuelle Speisekarten oder Preislisten, sodass Besucher nicht nachvollziehen konnten, welche Leistungen sie für ihren Mindestverzehr erhalten. Zwei Zelte boten immerhin die Möglichkeit, Bändchen kostenfrei abzuholen – ein Beispiel, dass transparente und verbraucherfreundliche Lösungen möglich sind.

Auswirkungen auf das Volksfest und seine Besucher

Ökonomische Bedeutung des Wasens

Der Cannstatter Wasen ist nach dem Münchner Oktoberfest das zweitgrößte Volksfest in Deutschland. Er zieht jedes Jahr Millionen von Besuchern an und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Region Stuttgart. Hohe Preise und Streitigkeiten um Gebühren könnten jedoch das Image des Festes beschädigen und manche Besucher abschrecken.

Die Perspektive der Verbraucher

Für viele Menschen steht die Freude am Feiern im Vordergrund. Doch wenn die Kosten den Rahmen sprengen oder als unfair empfunden werden, sinkt die Bereitschaft, das Fest zu besuchen. Die Kernfrage lautet: Ist ein Festzeltbesuch noch für alle Bevölkerungsschichten zugänglich – oder wird er zunehmend zum Luxusereignis?

Tabellarische Übersicht: Kritische Punkte bei Reservierungen

KritikpunktBeschreibungAuswirkung auf Besucher
Versandkosten10–18 Euro pro BestellungTeuer und teils unverhältnismäßig
Bearbeitungsgebühren5–15 Euro zusätzlichBelastung, die schwer nachvollziehbar ist
Mindestverzehr16,50 bis 156,20 EuroHoher Vorausaufwand, Risiko von Restbeträgen
GutscheinbindungOft nur am Reservierungstag gültigBenachteiligung bei Krankheit oder Absage
GruppenstrukturPakete für 5+ Personen üblichEinzelpersonen und Paare benachteiligt

Was Gerichte nun klären müssen

Die zentrale Frage, die vor Gericht beantwortet werden soll, lautet: Welche Zusatzkosten dürfen Festzeltbetreiber ihren Gästen tatsächlich auferlegen? Während die Wirte auf organisatorische Zwänge und Transparenz pochen, bestehen Verbraucherschützer auf klaren gesetzlichen Grenzen. Das Urteil könnte Signalwirkung haben – nicht nur für den Wasen, sondern für zahlreiche andere Großveranstaltungen in Deutschland.

Schlussbetrachtung: Zwischen Tradition und Modernisierung

Das Cannstatter Volksfest ist tief in der Tradition der Region verwurzelt und steht für Geselligkeit, Musik und Lebensfreude. Doch die aktuellen Klagen werfen die Frage auf, wie ein Volksfest in Zeiten steigender Preise gestaltet sein sollte. Transparente Bedingungen, faire Kostenmodelle und verbraucherfreundliche Lösungen könnten der Schlüssel sein, um die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit der Wirte und der Zugänglichkeit für die Besucher zu sichern. Nur so bleibt der Wasen das, was er seit Generationen war: ein Fest für alle.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.