
Rom, 26. November 2025. Im Schatten des Petersdoms ist ein jahrhundertealtes Relikt leise zu Grabe getragen worden. Die Sprache Cäsars und Ciceros verliert ihren letzten offiziellen Vorrang in der Römischen Kurie. Was bleibt, ist ein Vatikan, der sich noch ein Stück weiter von seiner römischen Vergangenheit löst – und näher an die 1,4 Milliarden Gläubigen rückt, die Latein nie verstanden haben.
Der Vatikan hat mit dem neuen „Regolamento Generale della Curia Romana“, das Papst Leo XIV. persönlich genehmigte, die letzte formale Pflicht zur Nutzung des Lateins als Amtssprache aufgehoben. Artikel 50 des Regelwerks lautet nun schlicht: „Die Behörden der Kurie schreiben ihre Akten in der Regel in Latein oder in einer anderen Sprache.“ Die alte Formulierung, die Latein noch als Regel und andere Sprachen nur als Ausnahme zuließ, gehört der Vergangenheit an.
Was genau hat sich geändert?
Die Änderung ist auf den ersten Blick klein, auf den zweiten Blick monumental. Bisher mussten Kurienmitarbeiter „gute Lateinkenntnisse“ nachweisen. Diese Anforderung wurde ersatzlos gestrichen. Künftig reicht fließendes Italienisch plus eine weitere moderne Sprache. Das eigens eingerichtete „Büro für die lateinische Sprache“ bleibt zwar bestehen und übersetzt weiter päpstliche Lehrschreiben, doch im täglichen Verwaltungsbetrieb ist Latein fortan nur noch eine Option unter vielen.
Warum dieser Schritt jetzt? Weil die Realität die Vorschrift längst überholt hat. Bereits heute werden etwa 80 Prozent aller Kurien-Akten in Italienisch oder Englisch verfasst. Eine Studie der Jesuiten-Universität aus dem Jahr 2025 beziffert den Effizienzgewinn durch den Wegfall der Lateinpflicht auf rund 25 Prozent. Und nur etwa 0,1 Prozent der weltweiten Katholiken – rund 1,4 Millionen Menschen – beherrschen Latein noch fließend.
Historischer Rückblick: Von der Universalsprache zur Nischensprache
Latein war seit dem 4. Jahrhundert die verbindliche Sprache der lateinischen Kirche. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) war es noch die einzige offizielle Debattensprache. Messen wurden bis dahin ausschließlich lateinisch gefeiert. Doch schon damals begann der Rückzug: Volkssprachliche Liturgien wurden erlaubt, päpstliche Gesetze mussten nicht mehr zwingend lateinisch im Amtsblatt erscheinen. Die aktuelle Reform ist daher weniger Revolution als konsequente Vollendung eines seit Jahrzehnten laufenden Prozesses.
Welche Sprachen dominieren künftig?
Italienisch bleibt die primäre Arbeitssprache der Kurie. Englisch, Spanisch, Französisch und Portugiesisch folgen auf den Plätzen – genau die Sprachen, in denen sich die Weltkirche heute bewegt. Papst Leo XIV., der erste US-amerikanische Pontifex, spricht neben Italienisch auch Englisch, Spanisch und Portugiesisch fließend. Seine Herkunft wird als stiller Katalysator der Reform gesehen.
Geteilte Stimmen in der Kirche
Die Reaktionen fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Progressive Theologen feiern den Schritt als „notwendig für eine synodale Kirche, die in den Sprachen der Gläubigen spricht“. Traditionalisten hingegen sehen einen weiteren Verlust der römischen Identität.
„Dieser Schritt signalisiert, dass die Kirche ihre römischen Wurzeln opfert – Latein war der Kleber der Universalität“, klagt der Kirchenhistoriker Michael Hesemann. Eine Umfrage der Priesterbruderschaft St. Pius X. aus dem Jahr 2024 ergab, dass 62 Prozent der befragten Priester obligatorisches Latein in der Kurie fordern.
In den sozialen Medien schlägt die Emotion hoch. „Leo XIV setzt dort fort, wo Papst Franziskus aufgehört hat: nach dem Ende der lateinischen Messfeier nun auch das Ende Lateins im Kirchenstaat. Es war die Universalsprache der katholischen Kirche. Bin irgendwie traurig, wenn auch nicht überrascht“, schrieb die Journalistin Ursula Stenzel. Andere sprechen gar von einem „Werk der Zerstörung auch in den kleinsten Details“.
Was bleibt vom Latein im Vatikan?
Die Sprache ist nicht tot. Päpstliche Enzykliken erscheinen weiter in lateinischer Originalfassung. Neue Begriffe wie „climatis mutatio“ für Klimawandel werden weiter geprägt. Das „Habemus papam“ bei der nächsten Papstwahl wird lateinisch verkündet werden. Und wer möchte, darf seine Akten weiter auf Latein verfassen – niemand wird daran gehindert.
Ein Vatikan, der sich der Welt öffnet
Die Abschaffung der Lateinpflicht ist mehr als eine bürokratische Kleinigkeit. Sie ist ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die älteste Institution der Welt weiter von ihrer römisch-lateinischen Hülle löst und zur globalen Kirche wird – einer Kirche, die in Afrika und Asien wächst, während sie in Europa schrumpft. Latein war einst der Garant für Einheit über alle Grenzen hinweg. Heute scheint diese Einheit eher durch gemeinsame Herausforderungen und eine gemeinsame Sprache der Gegenwart gewährleistet.
„Tempora mutantur“ – die Zeiten ändern sich. Im Vatikan mehr als irgendwo sonst.