
Turnhout, Belgien, 12. Dezember 2025 – Der Gerichtssaal wirkt nüchtern, fast unscheinbar. Und doch liegt an diesem Morgen eine spürbare Schwere in der Luft. In Turnhout beginnt ein Prozess, der selbst erfahrene Juristen innehalten lässt. Es geht um Gewalt in der Ehe, um Isolation, Kontrolle – und um einen Mann, der Monate lang wie ein Gefangener gelebt haben soll.
Vor dem Strafgericht muss sich eine 47-jährige Belgierin verantworten. Die Anklage wirft ihr vor, ihren Ehemann über einen längeren Zeitraum misshandelt, gedemütigt und seiner Freiheit beraubt zu haben. Erst eine dramatische Flucht brachte das Geschehen ans Licht. Der Fall, der nun als Prozessbeginn in Belgien bundesweit Beachtung findet, wirft Fragen nach Verantwortung, Wegsehen und der Dynamik häuslicher Gewalt auf.
Ein Fall, der erst durch Zufall ans Licht kam
Nach Darstellung der Staatsanwaltschaft begann das Martyrium des heute 48-jährigen Mannes nach der Eheschließung im Sommer 2024. Das Paar lebte in der Gemeinde Grobbendonk, in einem Umfeld, das nach außen kaum Anlass zur Sorge bot. Hinter den Türen des Grundstücks jedoch soll sich eine Realität abgespielt haben, die mit dem Bild einer gewöhnlichen Ehe nichts mehr gemein hatte.
Über Monate hinweg, so die Anklage, sei der Mann systematisch kontrolliert und eingeschüchtert worden. Immer wieder habe ihn seine Ehefrau in abgeschlossenen Räumen oder auf dem Grundstück festgehalten. Besonders schwer wiegt der Vorwurf, sie habe ihn zeitweise in einem Zwinger untergebracht, der eigentlich für Chihuahuas bestimmt war. Die Enge, die hygienischen Bedingungen und die psychische Belastung seien extrem gewesen.
Erst im März 2025 gelang dem Mann die Flucht. Barfuß, geschwächt und sichtbar verletzt klopfte er bei Nachbarn an und bat um Hilfe. Diese verständigten umgehend Polizei und Rettungskräfte. Mit diesem Moment endete die Isolation – und begann die strafrechtliche Aufarbeitung.
Was die Ermittlungen offenlegten
Im Zuge der Ermittlungen zeichnete sich ein Bild systematischer Gewalt. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf Zeugenaussagen, medizinische Befunde und digitale Beweise. Demnach soll der Mann nicht nur seiner Freiheit beraubt, sondern auch körperlich misshandelt worden sein.
- Der Ehemann wurde laut Anklage abwechselnd im Keller, in einem Gartenhaus und im Chihuahua-Zwinger festgehalten.
- Er musste barfuß Arbeiten verrichten, insbesondere das Säubern der Hinterlassenschaften von rund 60 Hunden.
- Nahrung und angemessene Versorgung seien ihm zeitweise verweigert worden.
- Mehrere körperliche Übergriffe mit Alltagsgegenständen werden aufgeführt.
- Ein besonders schwerer Vorwurf betrifft das Übergießen mit kochendem Wasser nach dem Tod zweier Hunde.
Zusätzlich stellten die Ermittler Videoaufnahmen sicher, die auf dem Grundstück angefertigt worden sein sollen. Auf diesen Aufnahmen, so die Anklage, sei die Angeklagte selbst zu sehen. Die Videos gelten als zentrales Beweismittel im Prozessbeginn in Belgien.
Der rechtliche Rahmen: Schwere Vorwürfe, hohe Strafforderung
Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von acht Jahren. Zur Last gelegt werden der Angeklagten unter anderem schwere Körperverletzung, Freiheitsberaubung und wiederholte Misshandlung. Nach Auffassung der Anklage handelt es sich nicht um einzelne Eskalationen, sondern um ein dauerhaftes Gewaltverhältnis, das bewusst aufrechterhalten wurde.
Im Gerichtssaal zeichnet sich bereits am ersten Verhandlungstag ab, dass der Prozess juristisch wie menschlich anspruchsvoll wird. Die Verteidigung räumt ein, dass es zu Vorfällen gekommen sei, weist jedoch die Darstellung systematischer Grausamkeit zurück. Ihre Mandantin, so die Argumentation, habe unter psychischen Problemen gelitten und befinde sich inzwischen in therapeutischer Behandlung.
Die Angeklagte selbst erklärte, sie habe sich verändert. Sie sei heute nicht mehr die Person, die sie damals gewesen sei. Konkrete Vorwürfe bestreitet sie jedoch nur teilweise. Das Gericht wird nun prüfen müssen, wie glaubhaft diese Einlassungen sind.
Die Rolle des Umfelds
Auffällig ist, dass der Fall erst durch die Flucht des Mannes bekannt wurde. Bis dahin hatte es offenbar keine offiziellen Anzeigen gegeben. Weder Nachbarn noch Behörden griffen ein. Erst der Moment, in dem der Mann sichtbar verletzt Hilfe suchte, löste die Kette polizeilicher Maßnahmen aus.
Nach seiner Flucht versuchte die Angeklagte zunächst, das Geschehen zu relativieren. Sie sprach von depressiven Episoden ihres Mannes. Doch medizinische Befunde und die Aussagen der Rettungskräfte zeichneten ein anderes Bild. Der Mann wurde ärztlich versorgt und später ausführlich vernommen.
Gewalt in der Ehe: Ein Fall mit Signalwirkung
Der Prozessbeginn in Belgien lenkt den Blick auf ein Thema, das oft im Verborgenen bleibt: Gewalt in der Ehe, ausgeübt nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen. Fachleute betonen, dass solche Fälle selten öffentlich werden, weil Scham, Abhängigkeit und Angst Betroffene davon abhalten, Hilfe zu suchen.
Der vorliegende Fall zeigt, wie schnell sich Machtverhältnisse verschieben können – und wie schwer es ist, sie von außen zu erkennen. Isolation, Kontrolle und Demütigung gelten in der Gewaltforschung als typische Muster. Dass diese Dynamik über Monate unentdeckt blieb, sorgt auch in Belgien für Diskussionen.
Juristisch steht nun die Frage im Raum, wie das Gericht die Vielzahl der Vorwürfe bewertet und welches Strafmaß am Ende angemessen erscheint. Die geforderte Haftstrafe von acht Jahren unterstreicht die Schwere der Anschuldigungen.
Ein Prozess mit offenem Ausgang
Mit dem Auftakt in Turnhout ist der Fall keineswegs abgeschlossen. Weitere Verhandlungstage sind angesetzt, Zeugen sollen gehört, Beweise gewürdigt werden. Erst am Ende dieses Weges wird ein Urteil stehen. Bis dahin gilt für die Angeklagte die Unschuldsvermutung.
Unabhängig vom Ausgang bleibt der Fall ein Mahnmal dafür, wie verborgen Gewalt stattfinden kann – und wie wichtig es ist, Warnsignale ernst zu nehmen. Der Prozessbeginn in Belgien ist mehr als ein juristisches Ereignis. Er ist eine Erinnerung daran, dass Rechtsprechung nicht nur über Schuld entscheidet, sondern auch darüber, wie eine Gesellschaft mit den Schwächsten in ihren eigenen vier Wänden umgeht.