
Rom, 3. November 2025. Es ist kurz nach halb zwölf, als ein dumpfer Knall die Luft an der Via dei Fori Imperiali erschüttert. Staubwolken steigen zwischen antiken Mauern auf, Touristen schreien auf, Handys filmen, Feuerwehrsirenen hallen durch das Zentrum Roms. Minuten später bestätigt sich das, was viele vor Ort kaum glauben können: Ein Teil der mittelalterlichen Torre dei Conti, nur wenige Schritte vom Kolosseum entfernt, ist eingestürzt – ein Arbeiter wurde schwer verletzt, ein weiterer eingeschlossen.
Ein Wahrzeichen Roms in Trümmern
Die Torre dei Conti, ein über 800 Jahre alter Backsteinturm aus dem frühen 13. Jahrhundert, gilt als eines der bedeutendsten Zeugnisse mittelalterlicher Architektur in der italienischen Hauptstadt. Ursprünglich mehr als 50 Meter hoch, wurde sie im Laufe der Jahrhunderte durch Erdbeben und städtische Umbauten auf etwa 29 Meter reduziert. Das Bauwerk, errichtet 1238 durch Riccardo Conti, Bruder von Papst Innozenz III., thront seit Jahrhunderten an der Kreuzung zwischen dem Forum Romanum und dem Colosseum – einem der am stärksten frequentierten Orte Italiens.
Der Einsturz ereignete sich am Montagvormittag gegen 11:30 Uhr. Nach Angaben der römischen Feuerwehr kam es während laufender Renovierungsarbeiten zunächst zu einem Teileinsturz im oberen Bereich des Turms, gefolgt von einem weiteren Kollaps rund eineinhalb Stunden später. Dabei wurde ein 64-jähriger Bauarbeiter schwer verletzt, ein weiterer blieb unter Trümmern eingeschlossen. Drei weitere Männer konnten unverletzt geborgen werden.
Rettung unter Lebensgefahr
„Wir konnten Kontakt zu dem Eingeschlossenen herstellen. Er zeigt Lebenszeichen, aber die Situation ist extrem gefährlich“, erklärte Feuerwehrsprecher Luca Cari gegenüber Sky News. Die Rettungsteams arbeiteten mit Drohnen, Spezialkameras und Absaugschläuchen, um die Luftzirkulation in den verschütteten Bereichen zu verbessern. Immer wieder mussten sie den Einsatz abbrechen – zu groß war die Gefahr weiterer Einstürze. Hunderte Schaulustige beobachteten das Geschehen hinter Absperrungen, während erneut Staub und Geröll herabstürzten.
Sanierung unter historischer Aufsicht
Die Torre dei Conti war seit Jahren geschlossen. Die laufende Sanierung war Teil eines groß angelegten Stadtprojekts im Rahmen des nationalen Wiederaufbauplans (PNRR). Geplant waren konservative Restaurierungen, statische Konsolidierungen und der Einbau moderner Aufzugs- und Elektrosysteme, um das Bauwerk künftig als Ausstellungsraum nutzen zu können. Laut der römischen Stadtentwicklungsplattform „Roma si Trasforma“ wies der Turm bereits zuvor erhebliche Schäden auf – Feuchtigkeit, Setzrisse und Mauerwerkserosion hatten die Struktur über Jahrzehnte geschwächt.
Der Einsturz wirft nun die Frage auf, ob die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen ausreichten. Zwar war die Baustelle abgesperrt und der Turm eingerüstet, doch während der Arbeiten kam es offenbar zu einer plötzlichen Strukturversagen. Die Staatsanwaltschaft von Rom hat eine Untersuchung eingeleitet, um mögliche Verstöße gegen Arbeitsschutz- oder Bauvorschriften zu prüfen.
Ursachenforschung: Warum fiel die Torre dei Conti?
Nach ersten Analysen spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Fachleute verweisen auf die Kombination aus Alter, Materialermüdung und seismischer Belastung. Eine Studie von Scamardo et al. (2022) beschreibt, dass historische Mauerwerkstürme besonders anfällig sind, wenn sie eine hohe Schlankheit – also ein ungünstiges Verhältnis von Höhe zu Basis – aufweisen. Über Jahrhunderte können kleinste Setzungen, Erschütterungen und Feuchtigkeitseinflüsse dazu führen, dass die innere Stabilität nachlässt.
Auch laut einer Untersuchung von Acito (2023) zu Schadensmechanismen historischer Bauten ist ein schleichender Prozess typisch: Nicht ein einzelnes Ereignis, sondern eine Kette kleiner Belastungen führt schließlich zum Versagen eines tragenden Abschnitts – und damit zum Einsturz. Im Fall der Torre dei Conti könnten sowohl alte Spannungsrisse als auch die Vibrationsbelastung durch Baugeräte zum Zusammenbruch beigetragen haben.
Was an diesem Tag geschah
Zeugen berichten, dass kurz vor dem Einsturz laute metallische Geräusche zu hören waren, vermutlich durch das Nachgeben des Gerüsts. Danach folgte ein lautes Krachen – und eine Staubwolke, die weite Teile der Straße einhüllte. In sozialen Netzwerken kursieren Videos, die den Moment dokumentieren: Touristen rennen davon, während Feuerwehrleute versuchen, die Umgebung zu sichern. Der zweite Einsturz ereignete sich, während Rettungskräfte bereits vor Ort waren – glücklicherweise ohne weitere Verletzte.
„Ich war nur wenige Meter entfernt, es war wie ein Erdbeben“, schrieb eine Augenzeugin auf Instagram. Die Clips zeigen eindrucksvoll, wie gefährlich der Einsatz war: Immer wieder stürzten Brocken herab, während Einsatzkräfte versuchten, in den instabilen Turm vorzudringen.
Historisches Erbe unter Druck
Der Einsturz der Torre dei Conti rückt ein grundsätzliches Problem in den Fokus: die strukturelle Verwundbarkeit historischer Bauwerke in Erdbebenzonen. In Italien existieren tausende mittelalterliche Türme, Kirchen und Palazzi aus vergleichbarem Mauerwerk. Viele von ihnen leiden unter Feuchtigkeit, Erschütterungen und fehlender Wartung. Experten fordern seit Jahren eine systematische Überwachung und digitale Erfassung der Statik gefährdeter Gebäude.
Die Stadt Rom hat seit 2010 mehrere Programme gestartet, um gefährdete Bauwerke zu sichern. Doch die Herausforderungen sind enorm: Der Untergrund besteht teils aus römischen Fundamenten, teils aus instabilen Lehmschichten. Kleinste Veränderungen im Grundwasserspiegel können Setzungen auslösen. Der Torre dei Conti, nur wenige Meter von der stark befahrenen Via dei Fori Imperiali entfernt, war dieser Dauerbelastung täglich ausgesetzt.
Ein Monument zwischen Vergangenheit und Zukunft
Für Historiker ist die Torre dei Conti mehr als nur ein Bauwerk. Sie symbolisiert den Übergang vom antiken Rom ins mittelalterliche Stadtbild. Ihre massiven Ziegel und der quadratische Grundriss stehen für die Wehrarchitektur jener Zeit – ein sichtbares Zeichen der Macht der Conti-Familie. Der Verlust oder die Schädigung eines solchen Bauwerks hat deshalb nicht nur materielle, sondern auch kulturelle Bedeutung.
Die geplante Restaurierung hätte den Turm erstmals seit Jahrzehnten wieder zugänglich gemacht. „Dieses Projekt sollte die Verbindung zwischen Geschichte und Moderne zeigen“, so ein Sprecher der Stadt Rom. Nun liegt das Bauwerk in Teilen in Trümmern – und das Vorhaben steht still.
Reaktionen und laufende Ermittlungen
Der Gouverneur der Region Latium, Francesco Rocca, sprach den Verletzten und deren Familien sein Mitgefühl aus. „Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Ursachen zu klären und die Sicherheit unserer Arbeiter zu gewährleisten“, erklärte er am Montagnachmittag. Auch Italiens Kulturministerium kündigte eine unabhängige Untersuchung an.
Nach Informationen der Behörden wird geprüft, ob die Sanierungsarbeiten den geltenden Denkmalschutzrichtlinien entsprachen und ob strukturelle Gutachten ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Ein Teil der Kritik richtet sich an die Bauleitung: In sozialen Medien wird diskutiert, ob das Gerüst ausreichend gesichert war. Bisher äußerten sich die beteiligten Unternehmen nicht öffentlich.
Auswirkungen auf Tourismus und Stadtverkehr
Das Unglück hat auch praktische Folgen. Der gesamte Bereich zwischen Kolosseum und Forum Romanum wurde weiträumig abgesperrt, der Verkehr umgeleitet. Für Touristen, die an diesem Montag das antike Zentrum besuchten, war der Schock groß. Viele schilderten, wie sie plötzlich in Staubwolken standen und von Sicherheitskräften fortgeführt wurden. Hotels und Reiseanbieter berichten von kurzfristigen Stornierungen, während die Stadtverwaltung betont, dass „keine Gefahr für umliegende Bauwerke“ bestehe.
Technische Erkenntnisse aus Studien
In den vergangenen Jahren wurden europaweit mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zu historischen Mauerwerkstürmen durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass schon geringe Veränderungen in der Feuchtigkeit oder Temperatur die Stabilität beeinflussen können. Moderne 3D-Scanning-Methoden und seismische Sensoren gelten als beste Präventionsmaßnahmen. Italienische Experten fordern daher, alle Türme mit digitaler Überwachung auszustatten – ein Projekt, das nun durch den Einsturz neue Dringlichkeit erhält.
Ein Symbol der Fragilität – und ein Weckruf
Der Einsturz der Torre dei Conti ist mehr als ein tragischer Arbeitsunfall. Er steht exemplarisch für die Spannungen zwischen Erhalt und Erneuerung in einer Stadt, die auf Schichten aus Jahrtausenden gebaut ist. Zwischen archäologischer Verantwortung und moderner Nutzung liegen oft nur Millimeter – und manchmal, wie an diesem Novembertag, genügt ein Riss, um Geschichte einstürzen zu lassen.
Ob und wie der Turm wieder aufgebaut werden kann, ist derzeit unklar. Sicher ist nur: Die Ereignisse haben eine Debatte angestoßen, die weit über Rom hinausgeht – über den Wert des kulturellen Erbes, die Sicherheit der Menschen, die es bewahren, und die Grenzen technischer Kontrolle in einer Stadt, die immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt wird.






















