Zehn Euro sind zumutbar Andreas Gassen fordert neue Praxisgebühr und entfacht Debatte über die Finanzierung des Gesundheitssystems

In Politik
Dezember 13, 2025

Berlin, 13. Dezember 2025 – Es ist ein Satz, der hängen bleibt, weil er so beiläufig daherkommt. Zehn Euro, sagt Andreas Gassen, seien „zumutbar“, nicht mehr als „der Preis eines Döners“. Ein Vergleich, der das komplexe System der Gesundheitsfinanzierung auf eine alltagsnahe Formel reduziert – und genau deshalb eine neue Grundsatzdebatte auslöst.

Mitten in einer angespannten Lage der gesetzlichen Krankenversicherung rückt damit erneut die Frage in den Fokus, wie viel Eigenbeteiligung Patientinnen und Patienten tragen sollen – und wie solidarisch das System künftig bleiben kann.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), hat sich erneut für eine Neuauflage der Praxisgebühr ausgesprochen. Konkret brachte er eine quartalsweise Pauschale von zehn Euro ins Spiel – nicht als direkte Zahlung in der Arztpraxis, sondern als Beitrag, der über die Krankenkassen erhoben werden soll. Ziel sei es, zusätzliche Einnahmen für das Gesundheitssystem zu generieren, ohne die Praxen weiter mit Bürokratie zu belasten.

Die Aussage fiel in einer Phase wachsender finanzieller Anspannung. Steigende Ausgaben, eine alternde Gesellschaft und ein hoher Versorgungsbedarf bringen die gesetzlichen Krankenkassen zunehmend unter Druck. Gassens Vorstoß reiht sich damit in eine breitere Diskussion ein, wie das solidarisch finanzierte System stabilisiert werden kann.

Die Praxisgebühr als politisches und historisches Reizthema

Die Praxisgebühr ist in Deutschland kein neues Instrument. Zwischen 2004 und 2012 mussten gesetzlich Versicherte bei Arzt- und Zahnarztbesuchen zehn Euro pro Quartal zahlen. Die Maßnahme sollte einerseits Einnahmen sichern, andererseits unnötige Arztkontakte reduzieren. Am Ende überwogen jedoch die Kritikpunkte: Der bürokratische Aufwand war hoch, die Steuerungswirkung gering. Die Gebühr wurde abgeschafft.

Gassen verweist dennoch auf den finanziellen Effekt der damaligen Regelung. Zuletzt habe sie den Krankenkassen rund zwei Milliarden Euro jährlich eingebracht. Angesichts heutiger Defizite sei es legitim, erneut über eine solche Einnahmequelle nachzudenken – allerdings in veränderter Form.

„Praxisgebühr 2.0“ – ein anderer Ansatz

Der KBV-Chef macht deutlich, dass er keine Rückkehr zum alten Modell anstrebt. Eine erneute Erhebung in den Arztpraxen lehnt er ausdrücklich ab. Der Verwaltungsaufwand sei den Ärztinnen und Ärzten nicht zuzumuten. Stattdessen solle die Abwicklung zentral über die Krankenkassen erfolgen. Damit, so Gassens Argumentation, ließe sich eine zusätzliche Belastung der Praxen vermeiden.

Das ist auch interessant:  Wirtschaftsministerium gewährt Förderung an Firma mit Guttenberg-Beteiligung

In diesem Zusammenhang verweist er auch auf die Vergütungsrealität in der ambulanten Versorgung. So erhielten Fachärzte wie Dermatologen rechnerisch nur einen niedrigen monatlichen Betrag pro Patient. Der Vergleich mit einer quartalsweisen Eigenbeteiligung solle verdeutlichen, wie begrenzt die finanziellen Spielräume im System seien.

Weitere Finanzierungsinstrumente im Blick

Die Praxisgebühr ist für Gassen nur ein Baustein in einem größeren Reformpaket. Darüber hinaus fordert er zusätzliche Steuern auf gesundheitsschädliche Produkte. Diese sollen aus seiner Sicht nicht nur Einnahmen generieren, sondern auch präventive Effekte entfalten.

Abgaben mit Lenkungswirkung

  • Zuckersteuer: Eine Abgabe auf zuckerhaltige Produkte nach dem Vorbild anderer europäischer Länder, um Konsumverhalten zu beeinflussen und Gesundheitskosten langfristig zu senken.
  • Tabaksteuer: Eine deutliche Erhöhung der Abgaben auf Zigaretten, die nach Gassens Berechnungen Milliardenbeträge einbringen könnte.
  • Alkoholsteuern: Auch hier sieht er Spielraum für zusätzliche Einnahmen und gesundheitspolitische Impulse.

Gassen betont zugleich, dass solche Maßnahmen sozial ausgewogen gestaltet werden müssten. Ziel dürfe nicht sein, Menschen mit geringem Einkommen unverhältnismäßig zu belasten.

Kritik und politische Gegenpositionen

Der Vorstoß bleibt nicht unwidersprochen. Sozialverbände und Teile der Politik warnen vor neuen finanziellen Hürden im Zugang zur medizinischen Versorgung. Gerade einkommensschwache Menschen könnten durch zusätzliche Gebühren davon abgehalten werden, notwendige Arztbesuche wahrzunehmen.

Kritiker erinnern zudem daran, dass die frühere Praxisgebühr kaum zur Reduzierung von Arztkontakten beigetragen habe. Die strukturellen Probleme des Systems – etwa ineffiziente Versorgungsstrukturen, Fachkräftemangel oder regionale Ungleichheiten – ließen sich durch pauschale Gebühren nicht lösen.

Widersprüche und Alternativen

Bemerkenswert ist auch, dass Gassen selbst in der Vergangenheit andere Wege favorisierte. Noch vor wenigen Wochen hatte er sich skeptisch gegenüber einer Neuauflage der Praxisgebühr gezeigt und stattdessen für Wahltarife plädiert. Solche Modelle sollen Versicherten finanzielle Vorteile bieten, wenn sie sich bewusst für bestimmte Versorgungswege entscheiden.

Innerhalb der KBV wird zudem intensiv darüber diskutiert, wie zusätzliche Einnahmen generiert werden können, ohne die ärztliche Arbeit weiter zu belasten. Einigkeit besteht vor allem darin, dass neue Bürokratie vermieden werden muss.

Das ist auch interessant:  Nun hat der Bundestag für das neue Wehrdienstgesetz gestimmt

Öffentliche Reaktionen und symbolische Wirkung

Der Vergleich mit dem „Preis eines Döners“ hat der Debatte eine besondere Dynamik verliehen. In sozialen Netzwerken und Leserkommentaren wird er sowohl als anschauliches Bild wie auch als problematische Verkürzung kritisiert. Für die einen macht er die Größenordnung greifbar, für die anderen verharmlost er die finanzielle Realität vieler Menschen.

Gesellschaftliche Bruchlinien

  • Befürworter sehen in der Praxisgebühr ein Instrument gegen Übernutzung medizinischer Leistungen.
  • Gegner warnen vor sozialer Selektion im Gesundheitssystem.
  • Viele fordern stattdessen tiefgreifende Strukturreformen.

Unabhängig von der Bewertung zeigt die Reaktion, wie sensibel das Thema Eigenbeteiligung im Gesundheitswesen ist. Kaum ein anderer Bereich berührt so unmittelbar Fragen von Gerechtigkeit, Solidarität und staatlicher Verantwortung.

Zwischen Solidarität und Eigenverantwortung

Die Debatte um die Praxisgebühr macht deutlich, vor welchem Dilemma die Gesundheitspolitik steht. Einerseits wächst der finanzielle Druck auf das System, andererseits gilt der uneingeschränkte Zugang zur medizinischen Versorgung als zentrales gesellschaftliches Versprechen. Jede neue Abgabe stellt dieses Gleichgewicht auf die Probe.

Gassens Vorschläge haben die Diskussion neu belebt, ohne sie zu entscheiden. Ob eine „Praxisgebühr 2.0“ tatsächlich kommt, ist offen. Klar ist jedoch: Die Frage nach der Finanzierung des Gesundheitssystems wird in den kommenden Monaten weiter an Schärfe gewinnen.

Eine Debatte mit Langzeitwirkung

Was als pointierter Vergleich begann, hat sich zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung entwickelt. Sie reicht weit über zehn Euro hinaus und berührt den Kern des solidarischen Modells. Wie diese Balance künftig aussehen soll, wird nicht nur im politischen Raum entschieden, sondern auch in einer Gesellschaft, die zunehmend über die Grenzen des Leistbaren diskutiert.

Avatar
Redaktion / Published posts: 3253

Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.