
Berlin, 5. Dezember 2025 – Ein grauer Wintermorgen, doch im Bundestag wirkt die Stimmung aufgeladen. Die Abgeordneten wissen, dass ihre Entscheidung weit über den politischen Alltag hinausreicht. Mit dem neuen Wehrdienstgesetz beginnt ein sicherheitspolitischer Umbau, der das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft langfristig prägen könnte.
Mit einer klaren, wenn auch umkämpften Mehrheit hat der Bundestag das neue Wehrdienstgesetz verabschiedet. 323 Abgeordnete stimmten dafür, 272 dagegen, eine Stimme enthielt sich. Damit schafft das Parlament die Grundlage für eine umfassende Reform, die einerseits auf Freiwilligkeit setzt, zugleich aber Elemente verpflichtender Erfassung junger Menschen wiedereinführt. Das Gesetz markiert einen sicherheitspolitischen Wendepunkt – und facht eine bundesweite Debatte neu an.
Was das neue Wehrdienstgesetz konkret vorsieht
Ab dem 1. Januar 2026 sollen alle jungen Volljährigen einen bundeseinheitlichen Fragebogen erhalten. Dieser soll die Bereitschaft und Eignung für einen möglichen Dienst in den Streitkräften erfassen. Während Frauen die Teilnahme freisteht, ist die Beantwortung für Männer verpflichtend. Zusätzlich sieht das Gesetz vor, dass männliche Jahrgänge ab 2008 zu einer ärztlichen Musterung eingeladen werden. Die Maßnahme soll helfen, frühzeitig eine realistische Einschätzung über körperliche Tauglichkeit und potenzielle Einsatzbereiche zu gewinnen.
Der Dienst selbst bleibt freiwillig. Wer eintritt, kann sich entweder für den freiwilligen Wehrdienst über sechs bis elf Monate entscheiden oder eine Verpflichtung als Soldatin oder Soldat auf Zeit eingehen. Die Reform hebt insbesondere die Attraktivität des Dienstes hervor: Einsteiger sollen künftig mindestens 2.600 Euro brutto pro Monat erhalten. Für Soldatinnen und Soldaten auf Zeit gelten darüber hinaus anspruchsvollere Karrierewege und zusätzliche Qualifikationsmöglichkeiten, etwa in technischen Bereichen oder im Sanitätsdienst. Die Bundeswehr wirbt gezielt damit, dass der Dienst berufliche Perspektiven, Qualifikationen und Anschlussmöglichkeiten etwa in der Reserve eröffnen kann.
Die strategischen Gründe hinter der Reform
Die Bundesregierung begründet das Wehrdienstgesetz mit einer veränderten sicherheitspolitischen Lage. Der Krieg gegen die Ukraine und zunehmende geopolitische Spannungen hätten verdeutlicht, dass Deutschland seine Verteidigungsfähigkeit langsamer aufgebaut habe als nötig. Die Reform soll daher langfristig dafür sorgen, dass die Truppe personell stabiler und breiter aufgestellt ist.
Laut den Planungen sollen bis 2035 rund 255.000 bis 270.000 aktive Soldatinnen und Soldaten sowie mindestens 200.000 Reservistinnen und Reservisten verfügbar sein. Diese Zahlen markieren einen deutlichen Anstieg gegenüber der heutigen Struktur. Um die Entwicklung eng zu verfolgen, verpflichtet das Gesetz das Bundesverteidigungsministerium ab 2027 zu halbjährlichen Berichten an den Bundestag.
Interessant ist eine zusätzliche Option, die das Wehrdienstgesetz vorsieht: Sollte der freiwillige Zulauf nicht ausreichen, kann eine sogenannte Bedarfswehrpflicht aktiviert werden. Diese würde bedeuten, dass bei Personalmangel bestimmte Jahrgänge verpflichtend eingezogen werden könnten – allerdings nur nach erneuter Zustimmung des Parlaments. Damit schafft das Gesetz einen Rahmen, der Flexibilität ermöglicht, ohne die allgemeine Wehrpflicht formell wieder einzuführen.
Breite Kritik und deutliche gesellschaftliche Reaktionen
Die Abstimmung im Bundestag verlief entlang politischer Bruchlinien. Mehrere Fraktionen lehnten das Gesetz geschlossen ab und argumentierten, dass die verpflichtende Musterung männlicher Jugendlicher einer teilweisen Rückkehr zur früheren Wehrpflicht gleichkomme. Kritiker sehen im neuen Wehrdienstgesetz einen potenziell riskanten Balanceakt zwischen Freiwilligkeit und staatlicher Verpflichtung.
Auch gesellschaftlich blieb die Entscheidung nicht ohne Widerhall. In vielen deutschen Großstädten gingen tausende junge Menschen, insbesondere Schüler und Studierende, auf die Straße. Sie protestierten gegen die Pflicht zur Erfassung, gegen mögliche spätere Einberufungen und gegen das Gefühl, erneut in staatliche Strukturen eingebunden zu werden, die viele als überholt betrachten. Die Demonstrationen spiegeln eine Generation wider, die in politischen Fragen zunehmend sichtbar und lautstark auftritt.
Argumente der Regierung
Die Bundesregierung verteidigt ihr Vorgehen, betont die Notwendigkeit eines modernen Wehrdienstsystems und verweist darauf, dass der Dienst freiwillig bleibe. Der Verteidigungsminister sprach in Berlin von einem wichtigen Schritt zu mehr Sicherheit und Stabilität in einer Zeit, in der Deutschland seine Rolle in Europa neu justieren müsse. Der Wehrdienst biete jungen Menschen Chancen – beruflich, persönlich und gesellschaftlich.
Die Regierung verspricht zudem klare Strukturen, transparente Abläufe und eine deutliche Modernisierung der Personalgewinnung. Das neue System soll verlässlicher, planbarer und leistungsfähiger sein als bisherige Modelle.
Wie es weitergeht – der geplante Zeitrahmen
Konkret beginnt die Umsetzung des Wehrdienstgesetzes bereits zum Jahreswechsel. Die Fragebögen sollen ab Anfang 2026 versendet werden. Ein Jahr später startet die verpflichtende Musterung, zunächst für die betroffenen männlichen Jahrgänge. Die Bundeswehr bereitet sich parallel auf die steigende Zahl an potenziellen Bewerbern vor und investiert in Infrastruktur, Ausbildungskapazitäten sowie digitale Verwaltungswerkzeuge.
Doch trotz der klaren Zeitplanung bleiben zahlreiche Herausforderungen bestehen. Verteidigungsexperten weisen darauf hin, dass weder die Teilnahmebereitschaft junger Menschen noch die tatsächliche Erreichbarkeit der angestrebten Personalzahlen sicher prognostiziert werden können. Zudem wird darüber diskutiert, wie sich die Gesellschaft langfristig zu einem Dienstmodell positioniert, das zwar freiwillig bleibt, aber verpflichtende Erfassung beinhaltet.
- Unklar bleibt, wie hoch der Zulauf freiwilliger Bewerber ausfallen wird.
- Kritiker befürchten eine schleichende Rückkehr der Wehrpflicht.
- Gewerkschaften und Jugendverbände kündigen anhaltende Proteste und politische Diskussionen an.
Ein Schritt in eine neue sicherheitspolitische Realität
Mit der Verabschiedung des Wehrdienstgesetzes hat Deutschland einen markanten Kurs eingeschlagen. Die Reform verbindet Elemente der Freiwilligkeit mit staatlicher Erfassungspflicht und setzt damit ein Modell um, das gleichermaßen umstritten wie richtungsweisend ist. Fest steht: Die kommenden Jahre werden zeigen, ob sich die Erwartungen der Regierung erfüllen und der Umbau der Bundeswehr tatsächlich die erhoffte Stabilität bringt. Klar ist auch, dass der gesellschaftliche Diskurs über die Rolle des neuen Wehrdienstes erst begonnen hat – und Deutschland auf eine Phase intensiver sicherheitspolitischer Selbstvergewisserung zusteuert.