
Ein Paukenschlag bei der Deutschen Bahn: Mit Evelyn Palla übernimmt eine neue Vorstandsvorsitzende das Ruder des Konzerns – und gleich zu Beginn werden die ambitionierten Ziele zur Pünktlichkeit nach unten korrigiert. Statt unerreichbarer Versprechen soll nun eine realistischere Strategie Vertrauen schaffen. Zugleich startet Verkehrsminister Patrick Schnieder ein Reformprogramm, das die Bahn von Grund auf neu strukturieren soll.
Ein realistischerer Blick auf die Pünktlichkeit
Warum die Deutsche Bahn ihre Pünktlichkeitsziele auf 70 % bis 2029 senkt
Seit Jahren kämpfen Reisende im deutschen Fernverkehr mit erheblichen Verspätungen. Die Realität: Im Juli 2025 erreichten nur 56,1 % der ICE- und IC-Züge ihr Ziel innerhalb der definierten Verspätungsgrenze von sechs Minuten. Im August waren es 59,6 %, im Mai immerhin 62 %. Damit lag die Bahn nicht nur deutlich unter ihren eigenen Zielvorgaben, sondern auch weit hinter dem europäischen Durchschnitt.
Vor diesem Hintergrund hat Verkehrsminister Patrick Schnieder gemeinsam mit der neuen Bahn-Chefin Evelyn Palla entschieden, die Pünktlichkeitsziele neu zu definieren. Bis Ende 2029 sollen nun mindestens 70 % der Fernzüge pünktlich sein. Das zuvor gesetzte Ziel von 75 bis 80 % schon 2027 gilt als unerreichbar. „Man dürfe nichts verlangen, was nicht realistisch erreichbar ist“, heißt es dazu aus dem Ministerium. Langfristig bleibe jedoch das Ziel bestehen, eine Quote von 80 % im Fernverkehr und über 90 % im Nahverkehr zu erreichen.
Aktuelle Zahlen zur Pünktlichkeit
Monat | Pünktlichkeitsquote Fernverkehr |
---|---|
Mai 2025 | 62 % |
Juli 2025 | 56,1 % |
August 2025 | 59,6 % |
Damit bewegt sich die Bahn seit Monaten in einem Bereich, der kaum Vertrauen schafft. Viele Kunden fühlen sich von ständigen Verspätungen und Ausfällen frustriert. In sozialen Medien macht sich Spott breit: „Ein Zug, der nicht fährt, ist auch nicht verspätet“, schreiben Nutzer auf Reddit sarkastisch. Die Diskussionen zeigen, wie sehr das Thema Pünktlichkeit den Alltag prägt.
Die neue Chefin: Evelyn Palla
Wer ist Evelyn Palla und warum wurde sie ernannt?
Mit Evelyn Palla übernimmt erstmals eine Frau die Führung der Deutschen Bahn. Die gebürtige Südtirolerin studierte Betriebswirtschaft und hat sich über viele Jahre im Konzern hochgearbeitet. Zuletzt leitete sie DB Regio, wo es ihr gelang, die Sparte zu stabilisieren und wirtschaftlich besser aufzustellen. Zuvor war sie auch bei den Österreichischen Bundesbahnen tätig, wodurch sie internationale Erfahrung mitbringt.
Politik und Branche sehen in ihr die „richtige Kandidatin“, weil sie sowohl die internen Strukturen der Bahn als auch externe Perspektiven kennt. Verkehrsminister Schnieder betonte: „Sie weiß, wo es hakt – und sie hat gezeigt, dass sie schwierige Aufgaben lösen kann.“
Ein Konzern mit Milliardenverlusten
Die Herausforderung für Palla könnte größer kaum sein. Allein im vergangenen Jahr schrieb die Bahn einen Verlust von rund 1,8 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2025 betrug das Defizit bereits 760 Millionen Euro. Parallel muss das Unternehmen die umfangreichste Sanierung seiner Infrastruktur seit Jahrzehnten stemmen – die sogenannte Generalsanierung des Hochleistungsnetzes.
Maßnahmen und Programme
Drei Sofortprogramme im Fokus
Um kurzfristig Verbesserungen zu erzielen, hat Schnieder drei Sofortprogramme angekündigt:
- Sicherheit und Sauberkeit: Bahnhöfe sollen sauberer und sicherer werden, mit verstärkter Präsenz von Sicherheitspersonal und Investitionen in die Reinigung.
- Fahrgastkommunikation: Informationen zu Verspätungen oder Ausfällen sollen schneller und klarer an Reisende weitergegeben werden.
- Komfort: In Fernzügen soll die Aufenthaltsqualität steigen – etwa durch bessere Sitzplatzinformationen und modernisierte Wagen.
Strukturreformen im Konzern
Auch organisatorisch ist ein tiefgreifender Umbau geplant. Der Vorstand der Bahn wird verkleinert, Verantwortlichkeiten in den Regionen gestärkt. Ziel ist es, Doppelstrukturen zu vermeiden und Entscheidungen schneller zu treffen. Zudem wird die Netztochter DB InfraGO eine stärkere Rolle spielen, um den Fokus auf die Sanierung des Schienennetzes zu legen.
Generalsanierung Hochleistungsnetz
Ein zentrales Projekt ist die Generalsanierung, die von 2024 bis 2035 laufen soll. In mehreren Etappen werden über 4 000 Streckenkilometer vollständig erneuert. Allein in der ersten Phase bis 2027 sind rund 1 500 Kilometer betroffen. Die Arbeiten erfolgen mit Vollsperrungen, um schneller und effizienter zu modernisieren. Kritiker warnen jedoch, dass dadurch ganze Regionen zeitweise schlechter angebunden sein könnten und Kosten höher ausfallen als geplant.
Kritik und Diskussionen
Kritik an den neuen Pünktlichkeitszielen
Die Senkung der Pünktlichkeitsziele sorgt für gemischte Reaktionen. Während die Politik das Vorhaben als „ehrlich“ bezeichnet, sprechen Kritiker von einer „Absenkung der Ansprüche“ und einem „Eingeständnis des Scheiterns“. Branchenverbände wie „Die Güterbahnen“ betonen, dass es nicht ausreiche, Ziele zu verschieben. Sie fordern stattdessen eine klare Eigentümerstrategie und eine professionelle Spitzenbesetzung, notfalls auch mit externen Fachleuten.
Öffentliche Wahrnehmung und soziale Medien
In Foren und sozialen Netzwerken wird heftig diskutiert. Viele Nutzer verweisen auf jahrzehntelange Unterinvestitionen, die kaum durch kurzfristige Programme zu beheben seien. Schätzungen zufolge investierte Deutschland pro Bürger und Jahr weniger als 70 Euro in die Schieneninfrastruktur – deutlich weniger als viele Nachbarländer. „Das ist die eigentliche Wurzel des Problems“, heißt es in einem Beitrag auf Reddit.
Häufige Fragen zum Thema
Wie war die Pünktlichkeit der Fernzüge derzeit, bevor die Ziele geändert wurden?
Im Fernverkehr lagen die Werte in den Sommermonaten 2025 bei lediglich 56 bis 62 %. Angesichts der ambitionierten Vorgaben von 75 bis 80 % bis 2027 war klar, dass diese nicht zu halten sind.
Welche Maßnahmen plant die Bahn, um die Zuverlässigkeit zu verbessern?
Neben den genannten Sofortprogrammen stehen die Generalsanierung des Hochleistungsnetzes, der Abbau von Bürokratie im Konzern sowie ein neues Baustellenmanagement im Vordergrund. Ziel ist es, die vorhandene Infrastruktur nicht nur zu erneuern, sondern auch besser zu koordinieren.
Die Herausforderung für die kommenden Jahre
Ein Spagat zwischen Ausbau und Stabilisierung
Die Deutsche Bahn steht vor einem doppelten Spagat: Einerseits sollen Angebot und Kapazitäten ausgebaut werden, um mehr Menschen zum Umstieg vom Auto oder Flugzeug auf die Schiene zu bewegen. Andererseits zwingt der Zustand des Netzes zur Generalsanierung. Jede zusätzliche Baustelle bedeutet kurzfristig neue Einschränkungen, die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit gefährden.
Was bedeutet das für die Fahrgäste?
Für die Reisenden heißt das: Geduld ist gefragt. In den nächsten Jahren wird es durch Vollsperrungen und Ersatzverkehre immer wieder zu Belastungen kommen. Die Hoffnung: Ab Mitte der 2030er-Jahre könnte sich die Qualität des Netzes spürbar verbessern – vorausgesetzt, die Pläne werden konsequent umgesetzt.
Ausblick auf langfristige Ziele
Langfristig will die Bahn 80 % Pünktlichkeit im Fernverkehr und 90 % im Nahverkehr erreichen. Das klingt angesichts der aktuellen Zahlen ambitioniert. Doch mit einer neuen Führungsspitze, klareren Verantwortlichkeiten und massiven Investitionen sieht die Politik die Chance, dass die Bahn wieder zu einem verlässlicheren Verkehrsmittel wird.
Die Bedeutung der Bahn für die Verkehrswende
Die Bahn spielt eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende und den Klimazielen der Bundesregierung. Jeder Fahrgast, der vom Auto oder Flugzeug auf die Schiene umsteigt, spart CO₂ und trägt zur Entlastung des Straßenverkehrs bei. Damit die Bahn dieses Potenzial entfalten kann, muss sie jedoch deutlich zuverlässiger werden – und genau hier setzt die aktuelle Reform an.
Ein neuer Kurs mit ungewisser Zukunft
Die Absenkung der Pünktlichkeitsziele mag auf den ersten Blick wie ein Rückschritt wirken, soll jedoch den Druck verringern und Raum für realistische Verbesserungen schaffen. Evelyn Palla steht vor der gewaltigen Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen, Milliardeninvestitionen zu steuern und die Bahn gleichzeitig wirtschaftlich zu stabilisieren. Ob dieser Balanceakt gelingt, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen – doch die Weichen sind gestellt.