
München, 18. Dezember 2025 – Der Moment, in dem ein Film plötzlich von Werbung unterbrochen wird, mag banal erscheinen. Doch für Millionen Abonnentinnen und Abonnenten von Amazon Prime Video berührt er eine grundsätzliche Frage: Was darf ein Anbieter nachträglich verändern – und was nicht? Ein Urteil aus München gibt darauf nun eine klare, verbraucherfreundliche Antwort.
Das Landgericht München I hat entschieden, dass Amazon mit der Einführung von Werbung bei Prime Video ohne ausdrückliche Zustimmung der Bestandskunden gegen geltendes Recht verstoßen hat. Der Konzern unterlag damit einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Das Urteil betrifft nicht nur ein einzelnes Produkt, sondern berührt den Kern digitaler Vertragsverhältnisse – und setzt Maßstäbe für den gesamten Streamingmarkt.
Werbung bei Prime Video als Vertragsänderung
Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Änderung, die Amazon Anfang 2024 angekündigt hatte. Kundinnen und Kunden von Prime Video wurden per E-Mail darüber informiert, dass Inhalte künftig Werbung enthalten würden. Gleichzeitig bot Amazon die Möglichkeit an, die Werbung gegen einen monatlichen Aufpreis von 2,99 Euro abzuschalten. Für viele Nutzer kam diese Ankündigung überraschend – schließlich war Prime Video über Jahre hinweg ausdrücklich als werbefreies Angebot vermarktet worden.
Das Landgericht München I bewertete diese Umstellung nicht als bloße technische Anpassung, sondern als wesentliche Änderung des Vertragsinhalts. Werbung bei Prime Video stelle eine spürbare Verschlechterung der Leistung dar, so die Richter. Ein solcher Eingriff könne nicht einseitig vorgenommen werden, sondern bedürfe der aktiven Zustimmung der Kundschaft.
Besonders deutlich fiel die Bewertung der zugrunde liegenden Vertragsklauseln aus. Amazon habe sich in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen kein ausreichendes Recht vorbehalten, das Streamingangebot in dieser Form zu verändern. Der Hinweis, man könne Leistungen „anpassen“, reiche nicht aus, um ein bislang werbefreies Abonnement nachträglich mit Werbung zu versehen.
Grenzen unternehmerischer Flexibilität
Das Urteil macht deutlich, wo aus Sicht der Justiz die Grenze zwischen unternehmerischer Gestaltungsfreiheit und Verbraucherschutz verläuft. Digitale Abonnements seien keine unverbindlichen Gefälligkeiten, sondern rechtlich bindende Verträge. Wer ein Produkt wie Prime Video mit bestimmten Eigenschaften verkauft, könne diese Eigenschaften nicht nach Belieben verändern – jedenfalls nicht zu Lasten der Nutzer.
Die Richter stellten zudem klar, dass auch die Art der Kommunikation problematisch war. Die bloße Information per E-Mail genüge nicht, um eine solch tiefgreifende Vertragsänderung wirksam werden zu lassen. Für Verbraucher sei der Eindruck entstanden, die Werbung bei Prime Video sei alternativlos – obwohl rechtlich ein Widerspruch möglich gewesen wäre.
Verbraucherschützer sehen deutliches Signal
Beim Verbraucherzentrale Bundesverband wurde das Urteil entsprechend deutlich bewertet. Dort sprach man von einer Stärkung der Rechte von Streaming-Abonnenten und einem wichtigen Schritt hin zu mehr Transparenz im digitalen Markt. Werbung bei Prime Video sei kein Detail, sondern greife unmittelbar in das Nutzungserlebnis ein, argumentierten die Verbraucherschützer.
Die Entscheidung aus München bestätigt damit eine Linie, die sich in der Rechtsprechung zunehmend abzeichnet: Anbieter dürfen ihre Geschäftsmodelle weiterentwickeln, müssen dabei jedoch bestehende Verträge respektieren. Insbesondere Zusatzkosten oder Leistungseinbußen dürfen nicht ohne Zustimmung eingeführt werden.
Für viele Nutzer ist das Urteil auch deshalb relevant, weil Prime Video Teil eines umfassenden Prime-Abonnements ist. Der Streamingdienst wird nicht isoliert gebucht, sondern ist in ein Gesamtpaket eingebettet, das unter anderem Versandvorteile und weitere digitale Leistungen umfasst. Gerade deshalb, so die Argumentation der Kläger, sei eine einseitige Veränderung besonders problematisch.
Amazon kündigt Prüfung weiterer Schritte an
Amazon selbst reagierte zurückhaltend auf die Niederlage. In einer Stellungnahme erklärte das Unternehmen, man respektiere die Entscheidung des Gerichts, teile jedoch die rechtliche Einschätzung nicht. Man habe die Kundinnen und Kunden rechtzeitig und transparent informiert und sehe sich im Einklang mit geltendem Recht.
Zugleich machte der Konzern deutlich, dass das Verfahren noch nicht abgeschlossen sei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Amazon prüft eine Berufung. Damit bleibt offen, ob sich höhere Instanzen mit der Frage der Werbung bei Prime Video befassen werden – und ob das Münchner Urteil Bestand haben wird.
Sammelklagen und mögliche finanzielle Folgen
Unabhängig von der Berufungsfrage hat das Urteil bereits jetzt praktische Konsequenzen. Parallel zu dem Verfahren in München laufen weitere juristische Schritte gegen Amazon. Unter anderem hat die Verbraucherzentrale Sachsen eine Sammelklage auf den Weg gebracht, mit der mögliche Rückforderungen geltend gemacht werden sollen.
Im Zentrum steht dabei die Frage, ob Amazon durch die Werbung bei Prime Video zusätzliche Einnahmen erzielt hat, die auf einer rechtswidrigen Vertragsänderung beruhen. Nach Einschätzung der Kläger könnte es dabei um Beträge in Milliardenhöhe gehen. Betroffene Nutzer können sich der Sammelklage anschließen und ihre Ansprüche bündeln lassen.
Auch wenn solche Verfahren erfahrungsgemäß Jahre dauern können, erhöht das Urteil aus München den Druck auf den Konzern erheblich. Es liefert eine rechtliche Grundlage, auf die sich weitere Klagen stützen können – und stärkt die Position der Verbraucher in laufenden Verhandlungen.
Ein Präzedenzfall für den Streamingmarkt
Über den konkreten Fall hinaus entfaltet die Entscheidung eine erhebliche Signalwirkung. Der Markt für Streamingdienste befindet sich seit Jahren im Umbruch. Steigende Produktionskosten, wachsender Wettbewerb und stagnierende Nutzerzahlen zwingen Anbieter dazu, neue Erlösmodelle zu entwickeln. Werbung gilt dabei als naheliegende Option.
Das Urteil zeigt jedoch, dass diese Strategie rechtliche Grenzen hat. Wer Werbung bei Prime Video oder vergleichbaren Diensten einführt, muss bestehende Verträge respektieren. Für die Branche bedeutet das: Künftige Änderungen müssen sorgfältiger vorbereitet, klarer kommuniziert und rechtlich sauber abgesichert werden.
Auch für andere Anbieter dürfte das Urteil aufmerksam registriert werden. Denn die Frage, ob ein ursprünglich werbefreies Angebot nachträglich verändert werden darf, betrifft nicht nur Amazon, sondern die gesamte Streaminglandschaft.
Einordnung: Verbraucherschutz im digitalen Alltag
Die Entscheidung des Landgerichts München I fügt sich in eine Reihe von Urteilen ein, mit denen Gerichte den Verbraucherschutz im digitalen Raum stärken. Streamingdienste, Cloud-Angebote und Plattformen sind längst Teil des Alltags – rechtlich werden sie jedoch oft noch wie klassische Verträge behandelt. Das Münchner Urteil zeigt, dass diese Einordnung trägt.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet das mehr Rechtssicherheit. Wer ein Abonnement abschließt, darf darauf vertrauen, dass zentrale Eigenschaften des Angebots Bestand haben. Werbung bei Prime Video ohne Zustimmung überschreitet nach Ansicht des Gerichts diese Grenze.
Ob Amazon den Rechtsstreit fortsetzt oder sich zu Anpassungen entschließt, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch schon jetzt: Das Urteil markiert einen Wendepunkt in der Debatte um Werbung, Abonnements und Vertragsbindung – und dürfte den Streamingmarkt in Deutschland nachhaltig prägen.