Alarmierende Zahlen aus neuer Studie Wie schlimm ist die Jugendkriminalität tatsächlich angestiegen?

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November 09, 2025

Düsseldorf, 9. November 2025 – Eine aktuelle Untersuchung des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen (LKA NRW) und der Universität zu Köln zeigt einen deutlichen Anstieg der Jugendkriminalität in den vergangenen Jahren. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche unter 21 Jahren, die inzwischen in fast jeder fünften aufgeklärten Straftat als Tatverdächtige erfasst werden. Die Studie kombiniert polizeiliche Statistiken mit umfangreichen Schülerbefragungen und liefert ein detailliertes Bild der aktuellen Entwicklung.

Deutlicher Anstieg von Gewaltdelikten und Eigentumsdelikten

Die gemeinsame Analyse von LKA NRW und Universität zu Köln belegt, dass sowohl Eigentums- als auch Gewaltdelikte unter Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen stark zugenommen haben. In der sogenannten Dunkelfeldstudie, die mehr als 3.700 Schülerinnen und Schüler an 27 Schulen befragte, zeigte sich, dass Ladendiebstähle und Raubdelikte zwischen 2013 und 2024 teilweise um über 100 Prozent gestiegen sind. Bei Siebtklässlern ohne gymnasiale Schulform stieg der Anteil derer, die einen Ladendiebstahl angaben, von 3,5 auf 7,3 Prozent. Raubdelikte nahmen von 1,2 auf 3,2 Prozent zu.

Besonders auffällig ist die Zunahme leichter Körperverletzungen, während schwere Körperverletzungen nur leicht ansteigen oder stagnieren. Die Forscher stellen fest, dass ein kleiner Teil sogenannter Mehrfachtäterinnen und Mehrfachtäter für einen großen Anteil der Gesamtzahl an Delikten verantwortlich ist. Dieser Trend hat sich über die Jahre verstärkt und deutet auf eine Konzentration der Delinquenz bei bestimmten Gruppen hin.

Ein wachsender Anteil sehr junger Tatverdächtiger

Nach Angaben des LKA NRW waren im Jahr 2022 bereits rund 21.000 Kinder unter 14 Jahren als Tatverdächtige erfasst – ein Anstieg von mehr als 40 Prozent im Vergleich zu 2021. Obwohl Kinder unter 14 Jahren strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden können, zeigt dieser Befund eine Verschiebung der Altersstruktur hin zu jüngeren Tätergruppen. In der Kriminalstatistik werden sie zunehmend sichtbar, was in der öffentlichen und politischen Debatte Fragen zur Prävention und zur Verantwortung von Eltern und Schulen aufwirft.

Auf die Frage, welche Rolle Kinder unter 14 Jahren bei der Jugendkriminalität spielen, verweist die Untersuchung auf eine deutlich wachsende Gruppe von strafunmündigen Tatverdächtigen. Diese Entwicklung gilt als Hinweis darauf, dass Präventionsmaßnahmen früher ansetzen müssen, insbesondere im schulischen und familiären Umfeld.

Einfluss familiärer und sozialer Faktoren

Die Studie nennt familiäre Gewalt als einen der wichtigsten Treiber. Der Anteil Jugendlicher, die schwere Gewalt durch Eltern erlebt haben, stieg seit 2013 um 135 Prozent. Parallel dazu berichten Jugendliche häufiger über psychische Belastungen: Fast jede zweite Neuntklässlerin gab in der Befragung an, unter Angst oder depressiven Symptomen zu leiden. Forschende weisen darauf hin, dass familiäre Konflikte und emotionale Instabilität maßgeblich zur Entwicklung delinquenten Verhaltens beitragen können.

Darüber hinaus zeigt sich, dass moralische Normen im Alltag an Bedeutung verlieren. Zwar werden klassische Straftaten weiterhin klar abgelehnt, jedoch nimmt die Bereitschaft zu Regelverstößen im Schulumfeld zu. Dazu zählen das bewusste Nichtbefolgen von Hausaufgaben oder Schulregeln. Dieses Verhalten wird in der Forschung als ein frühes Signal für ein schwindendes Unrechtsbewusstsein gewertet.

Cyberkriminalität und Digitalisierung als neue Risikofaktoren

Die zunehmende Digitalisierung verändert auch die Formen von Jugenddelinquenz. Laut LKA NRW stiegen Straftaten mit dem Tatmittel Internet bei Tatverdächtigen unter 21 Jahren von 2022 auf 2023 um 13,6 Prozent. Dazu zählen Online-Belästigung, Cybermobbing und digitale Erpressung. Die Forscher betonen, dass diese neuen Deliktformen in engem Zusammenhang mit dem Nutzungsverhalten sozialer Medien stehen.

Die Studie weist außerdem darauf hin, dass Jugendliche, die weniger Zeit in sozialen Medien verbringen, seltener delinquentes Verhalten zeigen. Empfohlen werden daher klare Altersgrenzen für Social-Media-Plattformen sowie verbindliche Regelungen für Handynutzung an Schulen. Diese Beobachtung beantwortet zugleich die häufig gestellte Frage, inwiefern die Digitalisierung die Jugendkriminalität beeinflusst – sie verändert nicht nur Tatgelegenheiten, sondern auch soziale Strukturen und Kommunikationsmuster junger Menschen.

Politische Reaktionen und Präventionsstrategien

Im nordrhein-westfälischen Landtag wurde die Studie ausführlich diskutiert. Besonders die Zunahme von Messerangriffen und Bedrohungen im schulischen Umfeld sorgte für Aufmerksamkeit. Die Debatte drehte sich um die Frage, ob bestehende Gesetze und Präventionsangebote ausreichen. Betont wurde, dass eine kleine Gruppe von Intensivtätern für einen großen Teil der Straftaten verantwortlich ist, weshalb gezielte Maßnahmen gegen diese Gruppen wirksamer sein könnten als pauschale Verschärfungen.

Ein wichtiges Präventionsprogramm in NRW ist die Initiative Kurve kriegen. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche zwischen acht und fünfzehn Jahren, die bereits auffällig geworden sind. Ziel ist es, durch frühe Hilfsangebote kriminellen Karrieren vorzubeugen. Polizei, Jugendhilfe und Schulen arbeiten dabei eng zusammen. Dieses Modell gilt laut Landesinnenministerium als besonders erfolgreich, da es ansetzt, bevor Jugendliche in das formelle Strafsystem gelangen.

Entwicklung im bundesweiten Vergleich

Nach Daten der Bundeszentrale für politische Bildung lag der Anteil Jugendlicher an allen Tatverdächtigen im Jahr 2021 bei etwa 12 Prozent. Damit sind Jugendliche überproportional häufig in der Kriminalstatistik vertreten, da sie nur rund fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Bei bestimmten Delikten wie Raub oder Sachbeschädigung liegt der Anteil der unter 21-Jährigen sogar bei über 50 Prozent.

Im Jahr 2024 entfielen 4,7 Prozent der Tatverdächtigen bundesweit auf Kinder unter 14 Jahren, 8,8 Prozent auf Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren und 7,2 Prozent auf Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren. Fachbeiträge verweisen darauf, dass das Jugendstrafrecht angesichts dieser Entwicklung vor neuen Herausforderungen steht. Insbesondere Gruppen- und Cyberdelikte erfordern eine Neubewertung bestehender Sanktions- und Präventionsmechanismen.

Soziale Medien und öffentliche Wahrnehmung

In sozialen Netzwerken und Online-Foren wird die Zunahme von Jugendgewalt intensiv diskutiert. Nutzerinnen und Nutzer weisen darauf hin, dass die höhere Sensibilität von Medien und Gesetzgebung die Erfassungsraten beeinflusst. Neben einer tatsächlichen Zunahme könnte somit auch die veränderte Definition bestimmter Tatbestände zu höheren Fallzahlen geführt haben. Diese Perspektive zeigt, dass die öffentliche Wahrnehmung von Jugendkriminalität komplex ist und nicht allein auf statistische Zahlen reduziert werden kann.

Weitere Diskussionen auf sozialen Plattformen beleuchten die Rolle von Gruppendynamiken. Jugendliche verhalten sich in Gruppen häufig lauter und provozierender als allein. Diese sozialen Mechanismen gelten als begünstigende Faktoren für Regelverstöße oder Eskalationen, ohne zwangsläufig zu schweren Straftaten zu führen. Ergänzend dazu wird eine wachsende Zahl politisch motivierter Gewalttaten unter Jugendlichen berichtet, insbesondere im rechtsextremen Spektrum.

Entwicklungen und strukturelle Erkenntnisse

Die bisherigen Studien zeigen ein differenziertes Bild der Jugendkriminalität in NRW und bundesweit. Die folgende Tabelle fasst zentrale Daten aus den jüngsten Untersuchungen zusammen:

JahrAltersgruppeHauptdelikteVeränderung seit 2013
2024Siebte Klasse (nicht Gymnasium)Ladendiebstahl+109 %
2024Siebte Klasse (nicht Gymnasium)Raubdelikte+166 %
2022Kinder unter 14 JahrenAlle Delikte (Tatverdächtige)+40 % ggü. 2021
2023Unter 21 JahreCyberkriminalität+13,6 %

Gesellschaftliche Bedeutung und weitere Forschungsfelder

Die Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass Jugendkriminalität ein mehrdimensionales Phänomen ist, das über reine Straftatbestände hinausgeht. Psychische Belastungen, familiäre Konflikte, digitale Einflüsse und gesellschaftliche Dynamiken greifen ineinander. Während Eigentums- und Gewaltdelikte weiterhin im Vordergrund stehen, gewinnen Internet- und Gruppenphänomene zunehmend an Bedeutung. Die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Polizei und Bildungseinrichtungen gilt als entscheidend, um langfristig wirksame Präventionsstrategien zu entwickeln.

Damit steht fest: Die von LKA NRW und Universität zu Köln vorgestellten Daten liefern erstmals seit Jahren eine umfassende und wissenschaftlich fundierte Grundlage zur Einschätzung der Jugendkriminalität in Nordrhein-Westfalen. Sie zeigen nicht nur, wo die Probleme liegen, sondern auch, welche sozialen und institutionellen Faktoren künftig stärker berücksichtigt werden müssen.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.