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S-Bahn-Verkehr in Berlin komplett eingestellt – Was du jetzt wissen musst

In Aktuelles
Juni 26, 2025

Berlin

Ein schweres Unwetter hat am Donnerstagabend weite Teile des Berliner Nahverkehrs zum Stillstand gebracht. Besonders betroffen: die S-Bahn Berlin, deren Betrieb vollständig eingestellt werden musste. Bereits zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage ist damit die Hauptstadt im Berufsverkehr lahmgelegt worden. Die Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf die verwundbare Infrastruktur der Metropole, aber auch auf den gesellschaftlichen Umgang mit zunehmenden Extremwettern.

Starkregen, Sturm und Stillstand: Was ist passiert?

Gegen 17:30 Uhr zog eine Unwetterfront mit Starkregen, Hagel und orkanartigen Böen über die Hauptstadt hinweg. Laut Wetterdienst erreichten die Windgeschwindigkeiten Spitzenwerte von bis zu 110 Kilometern pro Stunde. Zahlreiche Bäume stürzten auf Gleisanlagen, blockierten Fahrwege und beschädigten Oberleitungen. Die Berliner S-Bahn reagierte mit einem vollständigen Betriebsstopp auf allen Linien – von der S1 bis zur S9 sowie auf den Verstärkerlinien.

Die Bahn begründete die Maßnahme mit Sicherheitsgründen: Es bestand Lebensgefahr für Fahrgäste und Personal. Alle Züge wurden an den nächsten Bahnhöfen gestoppt. Fahrgäste mussten die Waggons verlassen, viele von ihnen standen bei Regen und stürmischem Wind ohne Anschlussverbindung da.

Bereits zweiter Totalausfall innerhalb einer Woche

Schon am Montag hatte ein Unwetter mit ähnlicher Intensität den gesamten S-Bahn-Verkehr lahmgelegt. Dabei kam es zu über 500 Feuerwehreinsätzen, eine Frau verlor ihr Leben, mehrere Menschen wurden schwer verletzt. Die Vorfälle vom Montag und Donnerstag markieren somit innerhalb kürzester Zeit zwei Ausnahmezustände im öffentlichen Nahverkehr der Hauptstadt.

Wie konnte es so weit kommen?

Berlin besitzt eines der größten S-Bahn-Netze Europas mit 340 Kilometern Strecke und rund 170 Bahnhöfen. An Werktagen nutzen bis zu 1,5 Millionen Menschen die S-Bahn. Doch das Netz ist in Teilen marode und empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen – besonders bei extremen Wetterlagen. Viele Trassen verlaufen oberirdisch, gesäumt von alten Bäumen, die bei Sturmböen zur Gefahr werden können.

Experten verweisen auf die geringe Redundanz im Netz: Wenn zentrale Strecken ausfallen, gibt es oft keine direkte Umfahrung. Die aktuell laufende Modernisierung – unter anderem durch das neue Zugbeeinflussungssystem (ZBS) und das Infrastrukturprogramm i2030 – zeigt bislang keine wetterfeste Wirkung.

Tabellarischer Überblick: Belastung der Infrastruktur

FaktorSituation
Gesamtlänge S-Bahn-Netzca. 340 km
Anzahl Stationen168
Oberirdische Streckenüber 85 %
Baumpflege entlang der Gleiseunregelmäßig, stark variierend
Modernisierungsstand ZBSnoch nicht flächendeckend

Politik und Experten fordern neue Strategien

Die Ereignisse haben eine Debatte über die Ausfallstrategien der Deutschen Bahn entfacht. Während manche Politiker und Fachleute die vollständige Einstellung des Betriebs als überzogen kritisieren, sehen andere darin eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. Der Fahrgastverband fordert differenziertere Entscheidungen – etwa Strecken individuell zu prüfen, statt das gesamte Netz lahmzulegen.

Auch die Berliner Innensenatorin äußerte sich kritisch: „Wir müssen genau hinschauen, ob ein Komplett-Stopp bei jeder Sturmwarnung verhältnismäßig ist. Hier besteht Aufklärungsbedarf.“

Die Deutsche Bahn verweist auf das Prinzip Sicherheit vor Schnelligkeit. Aufgrund der sehr kurzen Vorwarnzeit bei Sturmfronten sei ein geordneter Teilbetrieb unter solchen Umständen kaum möglich.

Berliner reagieren mit Frust und Ausweichstrategien

Die Auswirkungen auf den Berufsverkehr waren erheblich. Soziale Netzwerke wie Reddit oder lokale Telegram-Gruppen zeigten ein eindeutiges Stimmungsbild: Viele Menschen waren verärgert, andere resignierten. Besonders Pendler aus dem Berliner Umland litten unter den fehlenden Alternativen.

Die BVG versuchte, mit Ersatzverkehr und der Aufrechterhaltung von U-Bahn, Tram und Buslinien gegenzusteuern. Doch auch hier kam es zu Verzögerungen und Kapazitätsproblemen. Einige Fahrgäste stiegen kurzerhand aufs Fahrrad um – trotz starkem Regen. Andere griffen auf Carsharing oder Taxidienste zurück, was zu erhöhtem Verkehrsaufkommen auf den Straßen führte.

Was andere Städte besser machen

Ein Blick in andere Metropolen zeigt, wie unterschiedlich mit Extremwetter und Nahverkehr umgegangen wird. Zürich etwa setzt auf eine dichte Verknüpfung aller Verkehrsmittel. Das ermöglicht flexible Umstiege bei Ausfällen. Zudem gibt es dort eine vorausschauende Baumpflege entlang der Trassen sowie abgestufte Notfallpläne nach Wetterlage.

Berlin hingegen setzt noch zu stark auf lineare Betriebsstrukturen. Eine stärkere Intermodalität – etwa durch Mobilitätsstationen mit Rad, Carsharing und Busanschluss – könnte künftige Krisen abfedern.

Der Klimawandel macht Umdenken notwendig

Laut Klimaforschern werden Extremwetterlagen in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Hitze, Starkregen und Sturmböen sind keine Ausnahmen mehr, sondern Teil der neuen Realität. Der S-Bahn-Ring gilt bereits heute als sogenannte „urbane Wärmeinsel“ – er ist bis zu fünf Grad wärmer als das Umland. Das beeinflusst nicht nur den Fahrkomfort, sondern auch Vegetation und Baumstabilität entlang der Strecken.

Fritz Reusswig, Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sagt: „Städte wie Berlin müssen lernen, als sozio-technische Systeme zu denken. Infrastrukturresilienz ist nicht nur eine technische, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.“

Fahrradverkehr als Gewinner der Krise?

Während der Autoverkehr auf den Hauptstraßen zäh floss und Busse im Stau standen, waren viele Berliner auf zwei Rädern unterwegs. Der Radverkehr hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen – nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie und des Ausbaus von Fahrradwegen. Studien prognostizieren weiterhin wachsende Nutzerzahlen, auch weil wärmere Sommer zum Radfahren einladen.

Langfristig könnte der Ausbau einer wetterfesten Radinfrastruktur zu einem wesentlichen Teil der Berliner Mobilitätsstrategie werden – als Ergänzung zu Bus und Bahn, nicht als Konkurrenz.

Warnung, Wendepunkt oder Weckruf?

Der zweite S-Bahn-Totalausfall binnen einer Woche ist mehr als ein Verkehrsproblem. Er ist ein Symptom für strukturelle Schwächen in der städtischen Infrastruktur – und ein deutliches Zeichen dafür, dass alte Strategien nicht mehr ausreichen.

  • Das Klima wandelt sich – die Stadt muss sich mitwandeln.
  • Technologie allein wird keine Lösung bringen, wenn Entscheidungsstrukturen nicht mitziehen.
  • Mehr Kooperation, dezentrale Lösungen und intelligente Notfallpläne könnten zukünftige Krisen abmildern.

Die Menschen in Berlin brauchen mehr als Durchhalteparolen – sie brauchen einen funktionierenden, resilienten Nahverkehr. Nicht irgendwann, sondern jetzt.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.