
Gries am Brenner – Seit Jahresbeginn ist die berüchtigte Luegbrücke im Wipptal nur noch einspurig befahrbar. Die Sanierung und der geplante Ersatzbau sorgen nicht nur für Verkehrschaos, sondern auch für heftige politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Im kleinen Ort Gries am Brenner formiert sich Widerstand gegen die Pläne der ASFINAG – und der Konflikt droht, die gesamte Region in Atem zu halten.
Hintergrund: Eine Brücke am Ende ihrer Lebensdauer
Die Luegbrücke, ein 1,8 Kilometer langes Viadukt aus dem Jahr 1968, gilt seit Jahren als marode. Um die Stabilität zu sichern, wurden bereits Stahlstreben angebracht. Laut Experten hat das Bauwerk das Ende seines Lebenszyklus erreicht. Die österreichische Autobahngesellschaft ASFINAG plant daher, die Brücke vollständig zu ersetzen – und zwar durch einen sechsspurigen Neubau mit breiteren Pannenstreifen. Der Baustart ist für 2025 vorgesehen, die Fertigstellung bis 2030.
Doch schon jetzt beeinträchtigt der Zustand der Brücke den Verkehr: Seit dem 1. Januar 2025 gilt in beiden Fahrtrichtungen Einspurigkeit. Damit soll die Struktur entlastet werden, bis der Neubau beginnt. Schwerfahrzeuge müssen auf speziellen Spuren fahren, und temporäre Zweispurführungen werden nur an stark frequentierten Tagen eingerichtet.
Warum wird die Luegbrücke einspurig geführt?
Diese Frage stellen sich viele Autofahrer und Anwohner. Die Antwort ist eindeutig: Nach über 55 Jahren Betrieb ist die Tragfähigkeit eingeschränkt, und die Einspurigkeit ist eine Sicherheitsmaßnahme. Ein ASFINAG-Sprecher erklärte, dass die Regelung so lange bestehen bleibt, bis der Ersatzbau abgeschlossen ist. Dennoch sorgt sie in der Praxis für Staus, längere Reisezeiten und einen deutlich gestiegenen Planungsaufwand für Pendler und Transportunternehmen.
Widerstand im Dorf – Forderung nach einem Tunnel
Gries am Brenner, ein Dorf mit rund 1.350 Einwohnern, lehnt den geplanten Brückenneubau in der aktuellen Form ab. Bürgermeister und Bürgerinitiative fordern eine alternative Lösung: einen Tunnel oder zumindest eine Einhausung, um die Lärm- und Schadstoffbelastung im Tal zu verringern. Sie warnen vor einer Zunahme des Transitverkehrs, mehr Staus und weiteren gesundheitlichen Folgen. In der Gemeinde wird unter anderem auf erhöhte Krebsraten verwiesen, die auf die anhaltende Verkehrslast zurückgeführt werden.
„Wir wollen eine Lösung, die unsere Lebensqualität erhält und nicht verschlechtert“, betont ein Vertreter der Bürgerinitiative. Die Forderungen stoßen bei der ASFINAG auf Ablehnung, da ein Tunnel laut ihrer Berechnung nicht nur wesentlich teurer, sondern auch genehmigungsrechtlich deutlich langwieriger wäre. Man spricht von zusätzlichen zehn bis fünfzehn Jahren Planungs- und Bauzeit.
Behördliche Eingriffe und aufgeheizte Stimmung
Die Protestbewegung ist inzwischen so präsent, dass sie zu Konflikten mit den Behörden geführt hat. Eine geplante Protestversammlung des Bürgermeisters im Herbst 2024 wurde untersagt – offiziell aus Sicherheitsgründen. Für viele Bürger war das ein weiteres Signal, dass ihr Anliegen nicht ausreichend Gehör findet. In den sozialen Medien werden diese Entscheidungen intensiv diskutiert, oft mit dem Vorwurf, die Stimme der Anwohner solle zum Schweigen gebracht werden.
Verkehrliche Folgen für die Region
Die Einspurigkeit auf der A13 hat unmittelbare Auswirkungen auf den gesamten Brennerkorridor. Laut Verkehrszählungen der ASFINAG wurden an der Hauptmautstelle Schönberg 2022 über 2,5 Millionen Lkw registriert – ein Höchstwert, der im Jahr darauf noch leicht anstieg. Mit der aktuellen Verkehrsführung drohen Engpässe und längere Stauzeiten. Das führt zu Sorgen vor Ausweichverkehr über alternative Alpenrouten wie den Fernpass, was weitere Regionen belasten könnte.
Das Land Tirol versucht gegenzusteuern. Teil des „Maßnahmenpakets Wipptal“ sind Dosierampeln auf der B182, verschobene Baustellen sowie ein erweitertes Angebot im öffentlichen Verkehr. Ziel ist es, den Ausweichverkehr in Grenzen zu halten und die Belastung für die betroffenen Ortschaften zu reduzieren.
Maßnahmen bei hohem Verkehrsaufkommen
Viele fragen sich: Welche Maßnahmen gibt es bei hohem Verkehrsaufkommen auf der Luegbrücke? Die ASFINAG hat dafür ein System entwickelt, das an rund 170 bis 180 Tagen im Jahr eine temporäre Zweispurigkeit ermöglicht. Zusätzlich müssen Lkw über 3,5 Tonnen den inneren Fahrstreifen nutzen, um die Belastung gleichmäßig zu verteilen. Digitale Anzeigetafeln und Schrankenanlagen sorgen für die Umsetzung dieser Regelungen.
Die europäische Dimension: Transitpolitik im Fokus
Der Streit um die Luegbrücke ist nicht nur ein lokales Thema. Italien hat vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen Tiroler Maßnahmen wie Nachtfahrverbote, sektorale Fahrverbote und Dosierungssysteme eingereicht. Ziel ist es, die Beschränkungen des Schwerverkehrs auf der A12 und A13 zu kippen. Sollte Italien Erfolg haben, könnte das zu einer deutlichen Zunahme des Transitverkehrs führen – ein Szenario, das in Gries am Brenner auf breite Ablehnung stößt.
Lieferketten unter Druck
Wie wirkt sich die Einspurigkeit auf Lieferketten und Lkw-Verkehr aus? Logistikunternehmen berichten bereits von längeren Fahrzeiten und höheren Kosten. Um Engpässe zu vermeiden, setzen einige Firmen auf Nachtfahrten oder weichen auf alternative Routen aus, was jedoch nicht immer praktikabel ist. Ein Fahrkalender der ASFINAG sowie ein Prognose-Tool helfen, die Stauwahrscheinlichkeit im Voraus abzuschätzen.
Alltagsfolgen: Berichte aus Foren und sozialen Medien
In Reise- und Motorradforen tauschen sich Nutzer über ihre Erfahrungen aus. Besonders an Ferien- und Wochenendspitzen raten viele, deutlich mehr Zeit einzuplanen – teilweise den doppelten Puffer. Einige empfehlen, die Strecke ganz zu meiden, wenn Baustellen und starker Reiseverkehr zusammenfallen. Auf Facebook-Seiten lokaler Medien wie ORF Tirol oder Tirol TV wird das Thema emotional diskutiert, oft verbunden mit anderen regionalen Konflikten, die den Unmut zusätzlich verstärken.
Warum lehnt die Gemeinde den Neubau so entschieden ab?
Die ablehnende Haltung hat mehrere Gründe: Neben der Sorge um Lärm und Luftqualität befürchten viele, dass ein größer dimensionierter Neubau den Transitverkehr dauerhaft verstärken könnte. Ein Tunnel oder eine Einhausung würde aus Sicht der Gemeinde den Verkehr zwar nicht verringern, aber die Belastung für die Anwohner erheblich reduzieren. Die ASFINAG sieht dies jedoch als finanziell und zeitlich nicht realisierbar an.
Der Blick in die Zukunft: Brennerbasistunnel
Eine langfristige Entlastung erhoffen sich viele vom Brennerbasistunnel (BBT), der frühestens 2032 in Betrieb gehen soll. Dieses Großprojekt soll den Güterverkehr verstärkt auf die Schiene verlagern. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass der Nutzen für das Wipptal begrenzt bleibt, solange die Zulaufstrecken – insbesondere in Deutschland – nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. Bis dahin wird der Transitdruck auf der Straße hoch bleiben.
Wie lange dauert der Ersatzbau?
Der geplante Bauzeitraum von fünf bis sechs Jahren ist ambitioniert. Baustart ist für das Frühjahr 2025 angesetzt, Fertigstellung bis Ende 2030. Ob dieser Zeitplan eingehalten werden kann, hängt nicht nur vom Baufortschritt ab, sondern auch davon, ob es gelingt, die laufenden juristischen und politischen Streitigkeiten zu lösen.
Ein Projekt, das polarisiert
Der Streit um die Luegbrücke hat sich zu einem Symbolkonflikt entwickelt, der weit über das Wipptal hinaus Aufmerksamkeit erregt. Für die einen ist der Neubau eine notwendige Infrastrukturmaßnahme, um Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Brennerautobahn zu gewährleisten. Für die anderen ist er ein Ausdruck einer verfehlten Verkehrspolitik, die den Transitverkehr weiter fördert, statt ihn einzudämmen.
Ob Brücke oder Tunnel – die Diskussion um die Zukunft der Brennerautobahn spiegelt ein tiefer liegendes Dilemma wider: den Balanceakt zwischen wirtschaftlichen Interessen, Mobilitätsbedürfnissen und dem Schutz der Lebensqualität in einer sensiblen Alpenregion. Die kommenden Monate werden zeigen, ob es gelingt, einen Kompromiss zu finden, der sowohl die Verkehrsströme bewältigt als auch den Sorgen der Anwohner gerecht wird. Bis dahin bleibt die Luegbrücke nicht nur ein Nadelöhr im Transitverkehr, sondern auch ein Brennpunkt politischer und gesellschaftlicher Debatten.