Polizistin packt aus: Brisante Aussagen im Untersuchungsausschuss zum Magdeburg-Anschlag

In Regionales
August 09, 2025

Magdeburg – Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum verheerenden Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024 gewinnt weiter an Brisanz. In der jüngsten öffentlichen Sitzung schilderte eine Polizistin ihre Sicht auf die Ereignisse – und stellte damit bislang bekannte Abläufe in ein neues Licht. Die Aussagen werfen nicht nur Fragen zum Einsatz am Tatabend auf, sondern auch zur generellen Sicherheitsorganisation und politischen Verantwortung.

Hintergrund: Ein Anschlag mit weitreichenden Folgen

Am 20. Dezember 2024 steuerte Taleb al-Abdulmohsen sein Fahrzeug durch eine unzureichend gesicherte Rettungszufahrt auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Die Bilanz: sechs Tote, knapp 300 Verletzte, teils mit schweren körperlichen und psychischen Folgen. Der Vorfall gilt als einer der schwersten Anschläge dieser Art in Deutschland seit Jahrzehnten.

Bereits kurz nach der Tat wurden Fragen laut: Warum war der Rettungsweg nicht besser gesichert? Welche Warnhinweise gab es im Vorfeld? Und wer trägt die Verantwortung für mögliche Versäumnisse? Zur Klärung setzte der Landtag von Sachsen-Anhalt Ende Januar 2025 einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) ein, der sich seither akribisch durch tausende Seiten Akten und Zeugenberichte arbeitet.

Die Aussage der Polizistin: Entscheidung unter Druck

Im Zentrum der jüngsten Ausschusssitzung stand die Aussage einer 29-jährigen Beamtin der Landesbereitschaftspolizei. Sie erklärte, warum sie ihren Polizeitransporter am Abend des Anschlags nicht an dem vorgesehenen Punkt abstellte. „Ich wollte vermeiden, dass wir dort Fußgänger gefährden, falls wir die Sperre kurzfristig schließen müssten“, schilderte sie. Stattdessen positionierte sie das Fahrzeug rund 30 Meter entfernt – mit Sicht auf die Zufahrt und der Option, bei Bedarf schnell zu reagieren.

Ihre Entscheidung meldete sie nicht an Vorgesetzte. Rückblickend beschrieb sie eindrücklich, wie sie den Schatten des Fahrzeugs des Täters wahrnahm, wie Menschen zu Boden stürzten und sie umgehend einen Funkspruch absetzte. Danach unterstützte sie den Rettungsdienst bis tief in die Nacht. Ihre Schilderungen geben einen seltenen Einblick in die Herausforderungen und den Entscheidungsdruck, dem Einsatzkräfte in solchen Momenten ausgesetzt sind.

Mängel im Sicherheitskonzept

Der Fall wirft erneut Licht auf die Sicherheitsplanung für den Weihnachtsmarkt. Der offizielle Plan sah zwar Betonsperren vor, doch diese wiesen Lücken auf, teilweise fehlten die notwendigen Stahlketten, um ein Durchfahren zu verhindern. Diese Schwachstellen waren offenbar schon vor dem Anschlag bekannt, wurden aber nicht vollständig behoben.

Ein zentrales Problem, das im Ausschuss immer wieder zur Sprache kommt, sind die unklaren Zuständigkeiten zwischen Polizei und Veranstalter. Laut Darstellung der Polizei lag die Verantwortung für den physischen Zufahrtsschutz beim Veranstalter, während die Polizei nur bei akuter Gefahrenlage eingreifen sollte. Diese Rollenverteilung führte offenbar zu Abstimmungslücken, die im Ernstfall fatale Folgen hatten.

Frage aus der Öffentlichkeit: „Warum gab es eine Lücke im Sicherheitskonzept auf dem Markt?“

Die Antwort des Ausschusses fällt bislang eindeutig aus: Die Lücke resultierte aus einer Kombination aus organisatorischen Fehlern, unklaren Zuständigkeiten und baulichen Mängeln. Obwohl die Risiken bekannt waren, wurden keine ausreichenden Maßnahmen getroffen, um die Zufahrt zuverlässig zu sperren.

Behinderung der Aufklärung

Der Ausschuss beklagt wiederholt, dass die Aufklärung durch mangelnde Transparenz behindert werde. Aussagegenehmigungen für Polizisten und Ministeriumsmitarbeiter werden teilweise eingeschränkt, relevante Dokumente geschwärzt oder gar nicht vorgelegt. Mehrere Abgeordnete kritisieren, dass wichtige Zeugen nicht öffentlich aussagen dürfen. Besonders umstritten war der Abbruch einer Zeugenvernehmung eines LKA-Mitarbeiters, weil dieser nur in nicht-öffentlicher Sitzung antworten durfte.

Der Grünen-Abgeordnete Sebastian Striegel forderte öffentlich eine „Kehrtwende zu vollständiger Transparenz“. Nur so könne man das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen und künftige Fehler vermeiden.

Politische und gesellschaftliche Reaktionen

Ministerpräsident Reiner Haseloff bezeichnete den Anschlag als „Zäsur für unser Land“. Innenministerin Tamara Zieschang räumte Versäumnisse ein, betonte jedoch, dass auch in Zukunft Rettungswege erhalten bleiben müssten – allerdings mit verbesserten Sicherheitsmaßnahmen. Auf Bundesebene nutzten Politiker den Vorfall, um grundsätzliche Sicherheits- und Migrationsfragen zu thematisieren. CDU-Chef Friedrich Merz forderte eine härtere Gangart in der Migrationspolitik, während Bundeskanzler Olaf Scholz mehr Kompetenzen für Sicherheitsbehörden verlangte.

Frage aus der Öffentlichkeit: „Wer sitzt im Untersuchungsausschuss und wie ist er zusammengesetzt?“

Der Ausschuss besteht aus 13 Mitgliedern und 13 Stellvertretern. Die Zusammensetzung richtet sich nach der Fraktionsstärke im Landtag: sieben Mitglieder kommen aus den Regierungsfraktionen CDU, SPD und FDP, drei von der AfD, zwei von den Linken und ein Mitglied von den Grünen.

Opferperspektive und gesellschaftliche Aufarbeitung

Abseits der politischen Debatten spielt auch die Erinnerungskultur eine wichtige Rolle. Auf einer öffentlichen Beteiligungsplattform des Landes konnten Bürgerinnen und Bürger bis Ende März 2025 Vorschläge zur Gestaltung einer Gedenkstätte einreichen. Insgesamt wurden 74 Beiträge eingereicht – von stillen Mahnmalen bis zu interaktiven Erinnerungsorten.

In sozialen Medien zeigten sich Solidaritätsbekundungen aus aller Welt. Diplomatische Vertretungen, Hilfsorganisationen und private Nutzer posteten Beileidsnachrichten, Fotos von Kerzenmeeren und Aufrufe zu Spendenaktionen. In lokalen Facebook-Gruppen bemühten sich Administratoren, unbestätigte Gerüchte zu löschen und verlässliche Informationen zu verbreiten.

Der Täter und die versäumte Gefährderansprache

Der Täter war den Behörden bekannt. Bereits 2023 hatte eine Aktivistin Anzeige gegen ihn erstattet, zudem gab es mindestens drei Warnungen aus Saudi-Arabien. Dennoch wurde er nicht als islamistischer Gefährder eingestuft. Eine geplante Gefährderansprache wurde nicht umgesetzt – ein Punkt, der nun im Ausschuss kritisch hinterfragt wird.

Frage aus der Öffentlichkeit: „War der Täter den Behörden bekannt und wie wurde er bewertet?“

Ja, er war bekannt, wurde jedoch nicht als unmittelbare Gefahr eingestuft. Diese Fehleinschätzung wird von Sicherheitsexperten und Angehörigen der Opfer als gravierendes Versäumnis betrachtet.

Diskussionen in sozialen Medien und Foren

In Foren wie Reddit wurde intensiv über die Wirksamkeit von mobilen Sperren diskutiert. Einige Nutzer zweifelten, ob improvisierte Barrieren – wie ein Polizeifahrzeug – in der Lage seien, schwere Fahrzeuge zuverlässig zu stoppen. Andere verglichen den Vorfall mit ähnlichen Anschlägen in Europa und forderten einheitliche Sicherheitsstandards für Großveranstaltungen.

Auch Desinformation spielte eine Rolle: Kurz nach der Tat kursierten in sozialen Medien Falschmeldungen zum Täterprofil, die in Online-Communities teils gezielt widerlegt wurden. Plattformen wie TikTok schränkten zeitweise Suchbegriffe ein, um die Verbreitung unbestätigter Videos zu bremsen.

Fragen der Bürger – und Antworten aus der Aufarbeitung

  • „Wie war der genaue Zeitplan des Magdeburg-Anschlags?“ – Der Anschlag ereignete sich am frühen Abend des 20. Dezember 2024, der Untersuchungsausschuss startete offiziell Ende Januar 2025, konstituierte sich im Februar und arbeitet bis heute an der Aufklärung.
  • „Welche politischen Reaktionen gab es nach dem Anschlag?“ – Neben den Stellungnahmen von Haseloff und Zieschang nutzten auch Bundespolitiker den Vorfall für sicherheitspolitische Debatten.
  • „Gibt es Hinweise auf internationale Warnungen zum Täter?“ – Ja, insbesondere aus Saudi-Arabien, diese wurden jedoch nicht mit entschiedenen Maßnahmen beantwortet.

Aktenberge und lange Aufarbeitung

Der Ausschuss arbeitet sich durch ein immenses Materialvolumen, das von Beteiligten auf „15 Tonnen Akten“ geschätzt wird. Diese enthalten Einsatzprotokolle, E-Mails, Funksprüche, Sicherheitskonzepte und interne Berichte. Der Zeitplan ist entsprechend lang: Ein Abschlussbericht wird nicht vor Sommer 2026 erwartet.

Parallel dazu müssen technische Details geklärt werden, etwa durch die Befragung von Firmen, die für die Aufstellung und Sicherung der Betonsperren verantwortlich waren. Unklar ist bislang, warum bestimmte Lücken im Aufbau blieben und ob dies vertraglich oder organisatorisch bedingt war.

Der Magdeburg-Anschlag hat nicht nur ein tragisches Kapitel in der Stadtgeschichte aufgeschlagen, sondern auch gravierende Schwächen im Zusammenspiel von Sicherheitsbehörden, Veranstaltern und Politik offengelegt. Die Aussagen der Polizistin, die offenen Fragen zu den Sicherheitslücken und die schleppende Aufarbeitung zeigen, wie komplex die Verantwortungskette in solchen Fällen ist. Für viele Angehörige und Betroffene steht die Hoffnung im Raum, dass die Untersuchung nicht nur Antworten liefert, sondern auch zu konkreten Veränderungen führt – damit sich ein solches Versagen nicht wiederholt.

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Als Autor für das Magazin "Nah am digitalen Rand" verbinde ich meine Germanistik-Expertise mit einem unstillbaren Interesse für redaktionell spannende Themen. Meine Leidenschaft gilt der Erforschung und dem Verständnis der digitalen Evolution unserer Sprache, ein Bereich, der mich stets zu tiefgründigen Analysen und Artikeln inspiriert.